Mit „Pompeii“ haben die britischen Indie-Rocker Bastille vor knapp zehn Jahren einen Superhit geschrieben. Auf ihrem vierten Album „Give Me The Future“ tauchen Frontmann Dan Smith und Co. in ganz neue Sphären ein. Auf dem Rücken einer fiktiven Geschichte vergleicht die Band Analoges mit Digitalem und man lässt alle negativen Strömungen bewusst beiseite. Im Interview mit der „Krone“ zeigt sich Smith sympathisch und enthusiastisch. Wohl auch, weil das Werk musikalisch ein Volltreffer ist.
„Krone“: Dan, euer neues Album nennt sich „Give Me The Future“ und transportiert einen sehr positiven Kanon. Es wirkt fast so, als würdet ihr voller Optimismus in die Zukunft eintauchen. Diesen Optimismus regelrecht einfordern.
Dan Smith: Mir gefiel die Idee, ein ganzes Album über die Unsicherheiten der Zukunft und die Tatsache, wie Technologien unser gesamtes Leben komplett verändert haben, zu schreiben. Wenn du dir heute die Nachrichten ansiehst, dann kommt es dir vor als würde die Welt untergehen. Aber mir ist eine Botschaft wichtig: hör kurz auf, dich um die Zukunft zu sorgen und genieße den Moment. Habe Vertrauen in uns Menschen. Wissenschaftler und Aktivisten geben alles, um die Zukunft möglichst gut zu gestalten und gewisse Turnarounds zu schaffen. Glauben wir an sie und unterstützen wir sie. Wir müssen irgendwie die richtige Balance finden. Natürlich sollen und dürfen wir uns um die Zukunft sorgen und ihr verunsichert entgegenblicken. Gleichzeitig sollten wir aber auch unser Leben leben. Und es so gut wie möglich genießen.
Auf dem Album stellst du die analoge und die digitale Welt gegenüber. Du bist noch aus einer der allerletzten Generationen, die eine analoge Welt aus der Kindheit kennt. Bist du manchmal überfordert von den technologischen Fortschritten?
Der Grundgedanke des Albums war, sich über all diese Dinge zu unterhalten, ohne sie zu verteufeln oder zu glorifizieren. Die Realität ist wesentlich komplizierter. Die rapide Weiterentwicklung von Technologien ist unglaublich. Schau dir nur all die Kommunikationstools oder auch die Fortschritte in der Medizin an - das ist ein Wahnsinn. Es verändert unser aller Leben. Das ist eben gleichermaßen faszinierend wie gefährlich. Das Internet hat mittlerweile jeden noch so kleinen Winkel unseres Daseins erreicht und wir leben alle im digitalen Zeitalter, was uns sozial nicht immer guttut. Wir brauchen aber Technik und das reale Leben gleichermaßen. Die digitale Welt kann lustig, furchterregend, verängstigend und grandios sein. Es kommt immer auf den Kontext an. Egal wo auf der Erde du wohnst, während der Lockdowns hast du neue Perspektiven der Technologie kennengelernt. Einfach, weil es nicht mehr anders möglich war. Man konnte Menschen nicht mehr treffen und es war faszinierend zu sehen, wie sie mit der verteufelten Technologie plötzlich die letzte Chance hatten, sozial miteinander in Interaktion zu treten.
Stell dir nur einmal vor, wir hätten diese Lockdowns vor dem Internet und all den sozialen Kommunikationstools gehabt…
Wie damals während der Spanischen Grippe. Das muss ja unendlich langweilig gewesen sein. Außerdem hat man auch keine Informationen über den Verlauf bekommen und war verunsicherter. Kurioserweise ist die Idee des Langweilens mittlerweile komplett verschwunden. Wenn du einen Zugang zum Internet oder ein Smartphone hast, dann wird es dir heute nie mehr langweilig. Es gibt einfach keinen Raum mehr für Langeweile, weil du permanent unterhalten wirst. Das ist extrem faszinierend. Ein modernes Phänomen.
Das Album dreht sich mitunter um die fiktive Geschichte der Tech-Firma Future Inc. und ihre Erfindung „Futurescape“. Kannst du diese Handlung ein bisschen zusammenfassen?
Immer wenn wir die Musik für ein Album fertiggestellt haben, machen wir uns einen Spaß daraus, um das Album eine eigene Welt zu bauen. Es gibt eine Storyline, die durch alle Videos geht und so haben wir eine fiktive Tech-Firma gegründet, die diese Erfindung hat. Es ist so, als wenn du dich in der Matrix bewegst oder eine VR-Brille aufsetzt. Du kannst in der Geschichte jeder und überall sein. Alles machen was du willst - komplette Freiheit für alles also. Es ist ein augenzwinkernder Hinweis auf all die großen Tech-Giganten, die mittlerweile eigentlich die Welt regieren. Es ist lustig, dass wir diese fiktive Firma gegründet haben und der Begriff „Innerverse“ darin vorkommt. Vier Monate später hat Facebook sein „Metaverse“ vorgestellt. Wir haben einfach herumgescherzt und plötzlich wurde das ironischerweise zur Realität. Wir verwenden Science-Fiction auch deshalb so gerne, weil das Genre so unglaublich interessant ist. Man kann mit diesen Themen fantastisch erzählen und kreuzt dabei trotzdem immer wieder das wahre Leben.
Mich interessiert auch der Vergleich mit früher. Wenn du dir ansiehst, wie die Popkultur die Zukunft voraussagte und wir in der Realität oft längst darüber hinausgeschossen sind. Unglaublich. Die Welt, in der wir leben, wirkt wie ein einziger großer Science-Fiction-Film. Es gibt selbstfahrende Autos, Milliardäre schießen sich ins Weltall und jemand aus Asien kann per Videoschaltung eine Operation in den USA durchführen. Das alles ist für mich oft gar nicht mehr fassbar. Und dann kam die Pandemie mit den Lockdowns. Auch das kannte mir nur aus Hollywood-Blockbustern. Plötzlich war sie aber ein Teil von unserem Leben. „Give Me The Future“ ist wie ein bizarrer Science-Fiction-Film, der aber eigentlich die Wirklichkeit widerspiegelt. Wir werden permanent mit unterschiedlichen Formen der Zukunft konfrontiert und merken das oft gar nicht. In der Rückschau fällt uns das dann auf.
Wenn wir schon über die Zukunft reden - was hältst du denn für gefährlicher? Die zunehmend populistischeren Politiker oder die steinreichen Tech-Pioniere, die bereits im Hintergrund die Fäden ziehen?
Ich bin nur ein kleiner Idiot in einer Band aus Großbritannien, ich habe keine Ahnung. (lacht) Die ganzen Tech-Giganten sind doch immer noch sehr unerforschtes Gebiet oder? Die haben so viele Möglichkeiten, die wir gar nicht spüren. Sie beherrschen Nationen und Kontinente. Das ist so neu, dass wir es nicht fassen können. Andererseits befinden wir uns in einer Post-Wahrheits-Ära und das ist genauso bizarr. Politiker lügen uns ins Gesicht und wir vertrauen ihnen. Die Welt verängstigt mich heute. Man vertraut den Lenkern, aber wird immer wieder enttäuscht und das rüttelt an den Menschen. Wir leben wie in einer Blase, in der man richtig nicht mehr von falsch unterscheiden kann. Die Deformation der Demokratie in den USA ist furchtbar. Sie beruht auf einem nicht korrupten System und das wird gerade aus den Angeln gehoben. Aber was weiß ich schon? Es gibt aber auch viele tolle Dinge. Aktivisten, Wissenschaftler und Bürgerrechtler, die jeden Moment ihres Lebens darauf verwenden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Da kommen wir wieder zum zweischneidigen Schwert Internet. Es kann verbinden, schützen und unterhalten, aber auch zerstören, spalten und korrumpieren. Ich habe keine Antworten auf die Probleme der Welt, aber wir nutzen diese Gedanken für eine halbe Stunde eingängiger Popmusik.
Eines der Probleme ist sicher auch, dass wir speziell seit den Lockdowns das Gespür für den Unterschied zwischen Realität und Fiktion verlieren. Viele Menschen verlieren sich völlig in der großen weiten Welt des Internets. Bemerkst du das manchmal an dir selbst?
Absolut. Ich habe eine Smartphone-Sucht, die mit Worten gar nicht mehr zu beschreiben ist. (lacht) Wenn ich mir den Spiegel vorhalte bin ich der Allerletzte, der irgendjemandem einen Ratschlag geben darf. Ich versuche nur die Welt widerzuspiegeln. Es gibt viele Kids, die unglaubliche Probleme haben, sozial zu interagieren. Dann schalten sie aber „Fortnite“ ein, setzen das Headset auf und tauchen in eine ganz andere Welt ein, in der sie oft mit Wildfremden völlig offen kommunizieren können. Auch das ist eine Seite der modernen Technologien. Natürlich versitzt du dann aber auch schnell das ganze Wochenende vor einer Spielkonsole. Für mich waren die Lockdowns wie eine Zeitreise und mein Smartphone war in den prekärsten Zeiten ein Fenster nach draußen. Ich hatte durch FaceTime die Möglichkeit, mich mit Leuten zu vernetzen, die ich sonst nicht sehen hätte dürfen. Ich habe für nichts mehr Zeit aufgewendet, als mit Freunden zu schreiben und zu reden. Natürlich war es ein bisschen viel, aber es hat mich gleichzeitig geistig gesund und fit gehalten. Ich wäre sonst wahrscheinlich durchgedreht. Ich habe unlängst einen Podcast gehört, in dem es darum ging, dass manche Menschen ihr Online-Alter-Ego so dermaßen überhöhen, dass sie sich nicht mehr in die reale Welt wagen, weil sie diesem Profil nicht mehr gerecht werden können. Schon unglaublich, wie weit wir dahingehend gekommen sind oder? Das ist ein bizarres Phänomen, das kann ich gar nicht in Worte fassen.
Im Video zum Song „No Bad Days“ geht es um eine Technologie, die einen geliebten Menschen wieder zurück ins Leben holt. Ist das eine klare Vision, die du für die Zukunft hast?
In gewisser Weise schon. Der Song dreht sich um Verlust und er ist sehr traurig gehalten. Es geht darum, dass man keine Zukunft hat, weil man nicht mehr existieren kann. Wir leben in einer Zeit, wo wir jemanden verlieren und trotzdem Tausende digitale Fragmente dieser verlorenen Person im Netz herumschwirren hat. Es gibt Sprachnachrichten, Fotos, Videos oder Texte. Man versucht dann verzweifelt diese Person für immer am Leben zu erhalten, aber das kann einen auch umbringen, weil man nicht dadurch nicht loslässt. Vor 50 Jahren hattest du vielleicht eine Handvoll alter Fotos. Heute gibt es ganze digitale Identitäten. Wie bei einer Folge von „Black Mirror“. Die Digitalisierung hat Emotionen wie Trauer, Wut und das Gefühl des Verlusts in den Menschen verändert. Man erlebt Dinge ganz anders als früher und das fasziniert mich extrem.
Es gibt auch analoge Momente am Album. Etwa den Song „Thelma & Louise“, der an das kultige Roadmovie angelegt ist, das letztes Jahr 20 wurde. Oder auch „Club 57“, ein kultiger Nachtclub in New York in den 70er- und 80er-Jahren. Als der Club schloss, warst du noch nicht einmal auf der Welt.
Die Grundidee des Albums ist eben, dass man sich selbst anstecken und mithilfe der eigenen Träume und Visionen überall in der Geschichte hinreisen kann. Es geht um Eskapismus und Zeitreisen. Es ist im Prinzip eine überhöhte Vision des Wunsches vieler Menschen im Lockdown, den eigenen vier Wänden entfliehen zu können. „Thelma & Louise“ ist ein feministischer Klassiker und das Sinnbild für Eskapismus. Zwei starke Frauen wollen einem Leben entfliehen, das ihnen nicht gefällt und sie lassen sich nichts mehr sagen. „Club 57“ geht zurück auf mein Interesse an der New Yorker Partykultur der 80er-Jahre. Der Song dreht sich um die Perspektive eines Außenseiters, der in der Stadt ankommt und dort all das tun darf, was er im realen Leben nicht erfahren würde. Er ist in der Szene inkludiert und gehört dazu. Ich habe mir überlegt, wie genial das sein muss, wenn man sich in diese Szenerie katapultieren kann und ein Teil von etwas ist, nachdem man sich sehnt. Das ist über das Konzept von „Give Me The Future“ realisierbar.
Dann gibt es auch noch das wunderbare Interlude „Promises“, auf dem der britische Schauspieler Riz Ahmed zu hören ist, den die meisten von „Sound Of Metal“ kennen. Ist das ein entscheidender Schlüsselmoment des Albums?
Das ist er definitiv. Es war mir extrem wichtig, dass ich bei all diesen großen Themen die Perspektive eines der Band Außenstehenden auf dem Album habe. Ich habe Riz gefragt, ob er ein Teil davon sein wollte und liebe das Ergebnis. Er subsummiert so genial die Menschlichkeit, die im Kontext zu all der Technologie und Digitalisierungen steht. Das Album reitet oft in weite Sphären aus und ich liebe es, wie Riz in diesem Teil sofort eine Art von intimer Kommunikation wiederherstellt. Er erdet die Themen und sorgt für eine kräftige Dosis Menschlichkeit. Er ist die Brücke zwischen den beiden Albumhälften und ein genialer Texter und Wortspieler. Frank Ocean hat auf seinem Album „Blonde“ ein Interlude, auf dem André 3000 zu hören ist. Das war mein Vorbild für dieses Album. „Blonde“ bekam dadurch eine andere Farbe und das wollte ich auch für „Give Me The Future“. Riz hat alle meine Erwartungen übertroffen. Vor allem, weil Kollaborationen auf diesem Weg immer eine gewisse Unsicherheit mittragen.
Ist „Give Me The Future“ der Beginn eines neuen Kapitels in der Karriere von Bastille?
Unsere ersten drei Alben waren sehr stark miteinander verflochten. Personell und auch inhaltlich. Wir waren ein kleines Team, das sich austobte. Wir wollten uns mit dem vierten Album neu ausdrücken, wachsen und den nächsten Schritt gehen. Das Team ist viel größer geworden. Wir haben Ryan Tedder und andere Songwriter, wir haben noch mehr Musiker und noch mehr Leute, die bei der Produktion mitgearbeitet haben. Es ging mir darum, dass das Album wie ein in sich geschlossenes Dorf klingt. Am Ende haben Produzent Mark Crew und ich - wie auch früher - alles finalisiert, aber der Weg zum Ergebnis hat viel mehr Menschen involviert. Dieser neue Weg hat auch den Sound verändert. Er gab uns neues Selbstvertrauen und hat das Album weiter gebracht, als ich es anfangs für möglich hielt. Das hat großen Spaß gemacht, denn ich habe dadurch eine lose Vorstellung davon, wo wir als nächstes hingehen. Es lässt sich gut an „Give Me The Future“ anknüpfen. Wir werden aber jetzt eher keine Trilogien mehr machen. Die Alben werden eher alle für sich stehen. Das gibt uns mehr Freiheiten.
Und was bringt die unmittelbare Zukunft 2022 nun Bastille?
Wir haben viele Konzerte in Großbritannien geplant, spielen einige Festivals und eine USA-Tour. Es wird noch viel Musik vom Album rauskommen und auch neue Videos geben. Wir ziehen das ganze Jahr über dieses Album durch. Außerdem habe ich Musik für den Abspann der Dokumentation „From Devil’s Breath“ geschrieben, die Leonardo Di Caprio produziert hat. Die ist komplett anders als unser Album, zeigt eine ganz andere Seite von Bastille. Ich habe mit vielen Freunden Songs geschrieben und für andere Songs verfasst, was ich auch extrem liebe. Live sind wir ohnehin auf die Fortschritte in der Pandemie angewiesen, aber mir ist es extrem wichtig, dass ich plane und mir ein normales Leben vor Augen halte. Auch wenn es nicht immer ganz so klappt, wie ich es vielleicht gerne hätte.
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