Nach monatelanger Besetzung ist am Dienstag die Wiener Polizei zum Protest-Camp der Umwelt-Aktivisten, die gegen den Bau der Stadtstraße protestieren, angerückt. Verlief die Räumung erst noch ruhig, verbarrikadierten sich am späteren Vormittag zwei der Aktivisten und ketteten sich an. Weitere Demonstranten durchbrachen kurz darauf einen aufgestellten Bauzaun (siehe Videos oben und unten). Im Zuge des stundenlangen Einsatzes wurden insgesamt 48 Personen vorläufig festgenommen, der Großteil nach dem Verwaltungsstrafgesetz. „Fünf Festnahmen erfolgten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt“, berichtete Polizeisprecher Markus Dittrich am Abend.
Die Stimmung begann sich zu Mittag mehr und mehr aufzuheizen, einige Aktivisten schafften es auch, erneut ins Camp vorzudringen. Kurz vor 13.30 Uhr erklärte die Polizei die Räumung für beendet, die Unterkünfte wurden auch bereits planiert. Bereits vergangene Woche waren Gerüchte rund um eine bevorstehende Räumung des Wiener Protest-Camps aufgekommen, sie hatten sich allerdings nicht bewahrheitet. Am Dienstagvormittag rückte aber schließlich doch die Polizei an, und begann mit der Räumung des Camps und der „Auflösung der Versammlung“, wie die Exekutive mitteilte.
„Stellen uns friedlich gegen die Räumung“
Die Aktivisten - acht befanden sich am Dienstag vor Ort - würden sich friedlich gegen die Räumung stellen, ließ Sprecherin Lena Schilling in der Früh wissen. Gleichzeitig kündigte die Bewegung an, den Widerstand „bis zum Stopp des fossilen Megaprojekts fortzusetzen“. Man sei seit Wochen „räumungsbereit gewesen“, sagte Schilling - aber dass es jetzt passiere, sei schon überraschend gewesen: „Wir versuchen jetzt alles, was geht hinzumobilisieren.“
Via Social Media wurden Demonstranten dazu aufgerufen, sich bei der Baustelle für eine Spontan-Demo zu versammeln - die Polizei sperrte das Areal großräumig ab, um Sympathisanten am Kommen zu hindern. Auch auf die umliegenden Öffi-Stationen hatte die Sperre Auswirkungen, so wurde unter anderem die dem Camp nahe gelegene U2-Station Hausfeldstraße nicht angefahren, wie die Wiener Linien bestätigten. Weiters betroffen waren die Bimlinien 25 und 26 sowie die Buslinien 85 A, 95 B, 97A.
Im Laufe des Vormittages versammelten sich nahe der U-Bahn-Station nach und nach Sympathisanten mit Bannern, um ihre Solidarität zu zeigen.
Demonstranten verbarrikadiert, angekettet, eingegraben
Die „Krone“ und krone.at machten sich vor Ort ein Bild der Lage, die Situation war zunächst ruhig. Zwei Demonstranten verbarrikadierten sich allerdings am späteren Nachmittag in der hölzernen Pyramide und ketteten sich dort an. Diese mussten freigeflext werden - die Arbeiten dauerten Stunden, gegen Mittag war ein Mann „befreit“. Auch auf einen in der Nähe abgestellten Bagger kletterten Aktivisten und besetzten ihn, andere wiederum kletterten auf Bäume oder versuchten sich einzugraben.
Zaun niedergerissen, Stimmung aufgeheizt
Nach und nach begann sich die Stimmung vor Ort aufzuheizen. Gegen Mittag versuchten mehrere Demonstranten, eine von der Polizei errichtete Sperre um das Areal gewaltsam zu durchbrechen. Teile des Bauzaunes wurden niedergerissen. Es kam zu ersten Festnahmen. Die Lage spitzte sich mehr und mehr zu - es kam seitens der Polizei zum Einsatz von Pfefferspray.
Weitere Videoaufnahmen der „Krone“:
Die Zahl der Teilnehmer der Solidaritäts-Demo nahe dem Baustellenareal wuchs stetig, etwa 250 Menschen hatten sich gegen Mittag versammelt. Zwischenzeitlich hatten bereits erste Aufräumarbeiten am Areal des Camps begonnen.
380 gerodete Bäume
Parallel zur Räumung wurden am Dienstag auch Bäume entlang der Stadtstraßen-Trasse gefällt. Es müssen insgesamt 380 weichen, wie der Leiter der Straßenbauabteilung MA 28, Thomas Keller, betonte. Diese müssten gemäß UVP-Bescheid gerodet werden. Es sei jedoch geplant, eine Ersatzpflanzung von insgesamt 1000 Bäumen vorzunehmen - unter anderem in den neuen Stadtteilen, die dort errichtet würden. Auch dagegen wurde seitens der Aktivisten demonstriert.
Insgesamt 48 Festnahmen
Kurz vor 13.30 Uhr teilte die Wiener Polizei via Twitter mit, dass das Protest-Camp vollständig geräumt wurde. Auch die letzten beiden Aktivisten seien „unverletzt aus dem Camp gebracht“ worden. Kurz darauf wurde auch die hölzerne Pyramide in dem Lager niedergerissen. Am Dienstagabend zog Polizeisprecher Markus Dittrich Bilanz: Demnach wurden letztlich insgesamt 48 Personen vorläufig festgenommen. Fünf Festnahmen erfolgten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.
„Räumung unausweichlich“
„Wir haben als Stadt Wien auf sämtlichen Ebenen seit Oktober versucht, in Gespräche mit den Besetzerinnen und Besetzern zu kommen. Es gab dazu unzählige Angebote, leider ohne Erfolg. Auch wir hätten uns eine friedliche Lösung gewünscht“, so Keller. Die Versammlung der Aktivistinnen und Aktivisten auf der Baustelle in der Hausfeldstraße sei bereits im Dezember von der Polizei behördlich aufgelöst worden. „Nun war eine Räumung unausweichlich, da der Bau an behördliche Auflagen gebunden ist.“
Es gab dazu unzählige Angebote, leider ohne Erfolg. Auch wir hätten uns eine friedliche Lösung gewünscht.
betonte Thomas Keller, Abteilungsleiter der MA 28
„Weiterhin leistbares Wohnen ermöglichen“
Verwiesen wurde einmal mehr auf die Notwendigkeit des Projekts, um weiterhin leistbares Wohnen in Wien ermöglichen zu können. „Der Bau der Stadtstraße ist für die klimafreundliche Stadtentwicklung im Nordosten Wiens alternativlos“, so Keller. Es gehe um leistbare Wohnungen für rund 60.000 Menschen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung für die Stadtstraße dauerte mehrere Jahre, Änderungen würden ein völlig neues Verfahren zur Folge haben, das sich über viele Jahre ziehen und den Wohnungsneubau im Nordosten massiv verzögern würde, gab er zu bedenken.
Protestiert wird, wie mehrfach berichtet, grundsätzlich gegen eine geplante Stadtautobahn, seitens der Aktivisten wird eine nachhaltige Schädigung und Zerstörung der Lobau befürchtet. Seitens der Stadt betonte man bis zuletzt, gesprächsbereit zu sein und eine friedliche Lösung suchen zu wollen, doch mehrfach führten Verhandlungen zu keinem Ergebnis. Zuletzt stand fest: Alles läuft auf eine Räumung des Camps hinaus.
„Soziale Wohnbauten und Naturschutz vereinen“
Kritik an der Räumung übte unter anderem die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und zeigte sich solidarisch mit den Aktivisten. Gerichtet an die Stadt und Bürgermeister Michael Ludwig erklärte Geschäftsführerin Agnes Zauner: „Anstatt wichtige Zeit damit zu verschwenden, gegen Naturschützer:innen anzukämpfen, sollten sie sich endlich bemühen, Zeit und Ressourcen in klimafreundliche Verkehrswege zu investieren. Soziale Wohnbauten und Naturschutz sollten kein Abwiegen des ‚entweder, oder‘ sein, sondern miteinander einhergehen.“
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