13.000 Kolumnen in der „Krone“. Geliebt von Millionen. Gefürchtet bei Politikern, die er zum Rücktritt schrieb. Wer war Richard Nimmerrichter, der geniale Kolumnist hinter dem Pseudonym einer Figur des Alt-Wiener Volkstheaters, der 37 Tage nach seinem 101. Geburtstag starb? Sein Erbe geht an den Stephansdom und das Land Niederösterreich.
Staberliaden. Das „Morgenblatt für gebildete Leser“ beschreibt die Staberl-Figur 1834 so: „Roter Rock, grauer Hut, blaue Weste, Schnürstiefel, krummer, dünner Zopf. Er weiß sich immer wieder durch Mutterwitz zu helfen.“ Dramatiker und Schauspieler Johann Nestroy fühlte sich eng verbunden mit der Figur.
Nestroy spielte eine zentrale Rolle im journalistischen Leben Richard Nimmerrichters. Wie der Dichter vereinte der Staberl der „Krone“ Hoch- und Umgangssprache, gepflegte Mundart und sprechende Namen. „Rebensaftverschandler“ - ein Wirt, der panscht. „Lebensfadenabschneider“ - jemand, der den Tod bringt. Stilmittel der Neuprägung.
Die Sprache. Nimmerrichter entwickelte Nestroys Ausdrücke genial weiter. Selbst gestrenge Medienrichter schmunzelten bei den zahlreichen Prozessen wegen vermeintlicher Ehrbeleidigung. Staberls Wortspiele schrammten meist haarscharf am berüchtigten Paragrafen 111 vorbei. 58 Verurteilungen steckte er weg.
„Krone“-Gründer Hans Dichand hatte den Sportreporter in seine Zeitungsfamilie aufgenommen. Ein Staberl für jeden Tag, so lautete die Abmachung, mit allen Freiheiten; jede einzelne dieser 13.000 mit der Schreibmaschine zu Papier gebrachten Kolumnen mit „di“, der Signatur des Chefs, abgezeichnet. Im Schreibtisch lag das Fangnetz: eine fix und fertige belanglose Betrachtung über Wetterkapriolen, die nie erscheinen musste.
Verschmelzung. Der blitzgescheite, asketisch lebende und durchtrainierte Schnelldenker verschmolz mit dem „Staberl“. Eine Szene aus der „Waldschenke“ bei Mauerbach: Aus einer Stube ertönt unüberhörbar eine markante Stimme. Druckreif, voll mit Pointen, ohne plötzliche Atempause: Richard Nimmerrichter „leibhaftig“, wie eine seiner Lieblingsbezeichnungen lautete, streifte am Bauerntisch die Themen der Woche. Heute würde man „Podcast“ dazu sagen; vom Autor im Internet vorgetragene Artikel.
Ein Theaterstück schreiben, so wie es Peter Turrini mit „Mein Nestroy“ im Josefstadt-Theater gelang? Das wollte Nimmerrichter nie. Stilgerecht verabschiedete sich der Sohn einer sozialistischen Arbeiterfamilie an einem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, in die Pension.
Sportlich. Tennis bis zur Erschöpfung im Wiener Park Club oder in Pörtschach, Tiefseetauchen. Skifahren in Lilienfeld oder auf der Gasteiner Schlossalm. Nimmerrichters Perfektionismus entwickelte sich zum Schrecken des Pistenchefs: Am Muckenkogel bat er eindringlich, Unebenheiten so zu planieren, dass seine in den frisch gefallenen Schnee gezogene Spur perfekt war.
So wie es in 13.000 zweispaltigen Kolumnen keinen einzigen Druckfehler gab.
Hausmeisters Voice? Die Zahl seiner Gegner erreichte Rekord-Niveau. „Sie hören das Gras wachsen, in das sie bald selbst beißen werden“, schleuderte er den Angriffen in den Zeitungen der Konkurrenz entgegen. Wöchentliche Pflichtbesuche in der „Sauna im Grünen“ im Wiener Prater gehörten zu Nimmerrichters Programm: Er hörte ins Volk, wusste, was die Menschen bewegt, erkannte Trends und aufstrebende Politiker, aber er schrieb dem Volk nie nach dem Mund. Das hatte er sich mit Dichand ausgemacht.
Eher hätte er seine Kolumne aufgegeben, als dem heute als „Mainstream“ bezeichneten „Schreib-Gebot“ zu folgen. Louise Martini, die umjubelte Kabarettistin, Ö3-Stimme, Schauspielerin in der Josefstadt und bei den Festspielen in Salzburg, prägte den viermal verheirateten kinderlosen Kolumnisten in einem Abschnitt seines Lebens.
Und mit dem „bedingungslosen Hass auf Hitler“ (Nimmerrichter musste in den Krieg und verbrachte Hungerjahre in sowjetischer Gefangenschaft) wies Staberl jede Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut von sich.
Prölls Begegnung. Als wäre es von Nestroy erdacht: Mit einem Paar Würstel am Buffet einer Landesausstellung im Waldviertel begann eine für Niederösterreich bedeutende Freundschaft. Erwin Pröll verschlang einen Bissen und wollte zum nächsten Termin des Wahlkampfs hetzen. Zufällig stand der Staberl in der Nähe: „Wissen S’ was, Herr Landeshauptmann, richten Sie denen da draußen etwas Bekanntes aus, und essen S’ doch in Ruhe Ihr Würstel fertig!“, feixte der Kolumnist.
„Daraus“, so Erwin Pröll am Sonntag zur „Krone“, „entwickelte sich eine Freundschaft.“ Nimmerrichter vermachte seine gigantische Kunstsammlung aus dem Biedermeier Niederösterreich. Pröll verrät die einzige Bedingung: „Es muss ,Nimmerrichter-Sammlung‘ bei den geplanten Ausstellungen in Krems und St. Pölten stehen. Ein unfassbares Geschenk für unser Land!“
Für den Steffl. Was viele seiner Kritiker nicht erwartet hätten: Nimmerrichters gesamtes Vermögen (abgesehen von der Bildersammlung) geht an „Rettet den Stephansdom“, die auch von der Familie Dichand unterstützte Organisation zur Renovierung der Kathedrale.
Hans Peter Hasenöhrl
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