Im Laufe ihrer fast 29-jährigen Karriere haben die Nu-Metal-Pioniere Korn musikalisch auch schon mal danebengegriffen, aber das kurze und kurzweilige „Requiem“ ist zweifellos das stärkste Band-Statement seit vielen Jahren. Frontmann Jonathan Davis empfing uns im Zoom-Talk, um über die dicken Freundschaften innerhalb der Band, den Albumprozess während der Pandemie, innere Dämonen und die Lust am Schießen zu reden.
„Krone“: Jonathan, du hast gemeint, das neue Korn-Album wäre „aus der Zeit heraus geboren“ worden. Meinst du damit die schwierigen Umstände, die sich durch die Pandemie ergaben?
Jonathan Davis: Definitiv. Das war das erste Album in unserem Leben, wo rundherum absolut nichts passierte. Wir wussten nicht, wann wir wieder auf Tour gehen könnten, was in der Welt da draußen so passiert, oder was der morgige Tag bringt. Anfang März 2020 haben wir noch in den USA gespielt und wenige Tage später hat die ganze Welt zugemacht. Wir haben uns dann ein paar Monate daheim eingesperrt und sind dabei fast verrückt geworden. Es war klar, dass wir wieder mit dem Songwriting beginnen müssten, um ein Ziel vor Augen zu haben. Wir haben unser eigenes Studio und waren dadurch total sicher. Sobald sich jemand krank fühlte, haben wir alles abgebrochen. Wir haben die Songwriting-Sessions aufgeteilt. Haben zehn Tage gearbeitet und sind dann für drei Wochen heim. Das haben wir vier- oder fünfmal so gemacht. In einer Woche war das Ganze dann aufgenommen, weil ich quasi im Studio lebe. (lacht) „Requiem“ ist für mich schon verdammt alt, wir sind ja schon seit gut einem Jahr damit fertig.
Dann habt ihr wahrscheinlich schon das nächste Album in den Startlöchern?
Wir arbeiten tatsächlich schon daran. Ein eigenes Studio zu haben ist der allergrößte Luxus. Sobald jemand Zeit oder Lust hat, kann man sich für eine paar Tage darin einsperren und kreativ sein. Man ist nicht von anderen abhängig. Ich arbeite oft an Melodien und dann steigen die anderen Jungs ein. Wir haben fast 30 Jahre lang gebraucht, um draufzukommen, dass man mit so einer lockeren Arbeitsweise eigentlich ganz gut vorankommt. (lacht)
Man hört „Requiem“ an, dass ihr nicht abgelenkt wart und einfach voll in das Projekt eintauchen konntet. Das war wahrscheinlich so wie ganz früher, als es noch keine Deadline gab und niemand was von euch erwartet hat?
Damit liegst du richtig. Wir hatten wirklich alle Freiheiten und extrem viel Zeit. Mein Freund Chris Collier hat das Album produziert und das hat extrem viel Spaß gemacht. Es war alles extrem familiär und entspannt. Er ist Produzent und Techniker, aber er hat es auch verstanden, den alten Vibe von Korn klanglich einzufangen. Wir wollten wie klassische Korn klingen und haben dadurch hauptsächlich analog aufgenommen. Das Album klingt so frisch, weil wir es nicht auf dem PC aufgenommen und zu Tode bearbeitet haben. Alles klingt sehr lebendig, genau dort wollte ich hin. Es war Zeit, wieder so ein organisches und energetisches Album aufzunehmen. „Requiem“ hat etwas, das ich heute in der Musik vermisse.
So ganz kann man sich den Mechanismen des Marktes natürlich trotzdem nicht entziehen. Korn sind seit jeher eine Albumband, aber die Menschen da draußen, die hören heute lieber einzelne Songs …
So ist die Welt heute, das ist schon okay. „Requiem“ hat nur neun Songs und dauert eine gute halbe Stunde. Selbst wenn du eine sehr schwache Aufmerksamkeitsspanne hast, solltest du das durchhalten können. Die Songs sind gut genug, um dich konzentriert zu halten. Wir haben insgesamt 14 Songs aufgenommen, aber schnell gemerkt, dass die neun besten gut genug sind.
So ein kurzes Album gab es in nunmehr fast drei Dekaden Korn tatsächlich noch nie …
Ich folge immer meinem Bauchgefühl und bin kein Perfektionist. Ich kann nicht für die Jungs sprechen, aber wenn mein Gefühl richtig ist und meine Gesangsmelodie sich richtig anfühlt, dann folge ich dieser Idee - ohne Kompromisse. Wir haben Songs geschrieben, wo ich die Texte innerhalb von 40 Minuten dazu gebastelt habe und wenn alles gut klang, dann haben wir es genommen. Ich tausche vielleicht eine Zeile oder einen Ton, aber tauche nicht mehr tiefer ein, wenn ein Song steht. Ich will die Grundidee nicht mehr zerstören, denn sie ist aus gutem Grund gut genug. Ich bin mir sehr bewusst, dass nicht all unsere Alben gleich gut sind. Wir haben schon ziemlich tief ins Klo gegriffen, aber manchmal passiert einfach etwas Magisches und alles passt irgendwie zusammen. So fühlt sich „Requiem“ für mich an. Wir hatten genug Zeit, wir hatten genug gute Songs und wir haben gut zusammengearbeitet. Wie ein perfekt wirbelnder Orkan.
Hat dich die Pandemie zu einem anderen Menschen gemacht oder dir andere Sichtweisen aufs Leben eröffnet?
Die Pandemie ist grauenhaft. Mein Stiefvater starb an Covid und viele Menschen haben gesundheitliche und existenzielle Probleme, seit wir davon überrollt wurden. Andererseits hatte ich genug Zeit, um herauszufinden, wer ich wirklich bin. Ich konnte endlich ein Vater sein und ganz normales Familienzeugs machen, denn normal bin ich mehr als zwei Drittel des Jahres mit Korn auf Reisen. Ich habe eine wundervolle Freundin, die sich um mich sorgte. Ich war wie alle anderen dazu gezwungen in meinem Haus zu bleiben und mich mit meinen Dämonen arrangieren zu müssen.
„Requiem“ kann man als Totenmesse übersetzen. Ist das Album als Totenmesse für diese schwierige Zeit gedacht? Wollt ihr die Pandemie damit auf eure Art und Weise begraben?
Kann man so sagen. Wir sagen Goodbye zu den alten Zeiten und Hallo zu den neuen. Korn hat immer Titel gewählt, die einen tieferen Sinn haben oder gut klingen. Lass dir „Requiem“ nur einmal über die Zunge rollen. Herrlich oder? Das Wort an sich hat schon so einen grandiosen Vibe - und da habe ich noch keine Bedeutung hineingepackt. Es geht auch um die Schönheit der Sprache, wir überanalysieren die Dinge nicht. Munky hat den Titel gut zusammengefasst. Es geht um all die Menschen, die wir in dieser verdammten Zeit verloren haben. Auch bei uns intern hat jeder eine andere Sicht auf den Titel, was ich verdammt cool finde. Genau das macht ihn aus.
Das Album schließt mit dem Song „Worst Is On Its Way“ - sind das wir Menschen, die den Planeten sukzessive zerstören?
Gar nicht, der Song ist viel persönlicher. Ich hatte in meinem Leben immer mit mentalen Problemen zu kämpfen, hatte viele Aufs und Abs, aber derzeit befinde ich mich in einer positiven und stabilen Lage. Ich habe aber Angst, dass das Schlimmste wieder zurückkommt. Weißt du, was ich meine? Diese Angst, dass es nicht so gut bleiben kann, wie es gerade ist. Dass irgendwo hinter der nächsten Ecke die nächste Depression lauert. Es ist wie eine endlose Schleife, in der ich mich befinde. Auch das Album schlägt seine Haken und zeigt sich positiv, aber es wiegt sich nicht in Sicherheit. Am Ende sagt es dir, dass es nicht so toll bleiben wird. Mach dir keine falschen Hoffnungen.
Das Album dreht sich stark um Tod und Wiedergeburt. Themen, die man auch gut mit Korn selbst in Verbindung setzen kann. Glaubst du, dass Korn wesentlich härtere Zeiten durchmachen mussten als andere Bands?
Wir hatten wirklich oft die Kacke am Dampfen. Der Tod und die Wiedergeburt ziehen sich durch alle 28 Jahre, die es Korn gibt. Wir haben aber immer alles überstanden und sind gestärkt aus den harten Zeiten hervorgegangen. In vielen Bands hassen sich die einzelnen Mitglieder und können noch nicht einmal mehr ein Wort miteinander wechseln - das war bei uns nie der Fall. Wir sind kein Businessprojekt, sondern eine Familie. Wir lieben Songwriting, wir lieben die Musik, die Tourneen, die Kreativität und zuletzt auch uns selbst. Ich war über die Jahre oft mit alten und auch jungen Bands unterwegs und da siehst du erst, wie schlimm es oft um die steht. Wir haben Glück, denn wir verstehen uns untereinander bestens.
Jeder von euch kann so seine eigene Geschichte erzählen, die man locker zwischen zwei Buchdeckel pressen könnte. Ist die Freundschaft nach fast drei Jahrzehnten Gemeinschaft mit vielen Schwankungen wichtiger denn je zuvor?
Die Freundschaft ist alles. Wenn du mit jemandem arbeitest, den du nicht ausstehen kannst, wirst du niemals kreativ sein. Ich will nicht mit Typen im Bus sitzen, die ich nicht aushalte. Viele Bands würgen sich so durch ihre ganze Karriere, aber das ist doch kein Leben. Wir können stolz behaupten, dass jeder von uns den anderen glücklich machen will. Ich liebe die Arbeit in der Band, weil ich die Passion der anderen sehe. Es herrscht so viel Leidenschaft und wenn ich das spüre, dann würde ich für die anderen sterben. Ich würde meinen rechten Arm für die Jungs geben. Wir haben natürlich auch stark ausgeprägte Egos, nicht falsch verstehen, aber diese Egos funktionieren in der Gemeinschaft sehr gut. (lacht)
Im Juni letzten Jahres hat Bassist Fieldy eine Pause auf unbestimmte Zeit aus persönlichen Gründen angekündigt. Wird man ihn heuer wieder bei euch auf Tour sehen?
Nein, die Pause ist noch nicht beendet. Ich glaube nicht, dass er bis zu den Shows wieder gesund und fit genug ist. Egal, wie viel Zeit er dafür braucht, er kriegt sie natürlich. Der Weg in die Band ist immer geebnet. Gesundheit ist das Allerwichtigste. Wir arbeiten natürlich weiter. Ich respektiere und schätze ihn dafür, dass er seine Probleme erkannt hat und sich nicht davor scheute, offen und ehrlich damit zu uns zu kommen. Er ist wie ein Bruder für mich und ich wünsche ihm nur das Beste, aber er soll sich jetzt einmal in Ruhe auskurieren. Bis dahin wird JR Bareis bei uns Bass spielen und diesen Job auch gut machen.
Das Geheimnis von Korns Langlebigkeit ist das Teamwork. Auch Brian „Head“ Welch hatte so seine bekannten Untiefen, aber ihr habt ihn trotzdem niemals fallen lassen. Auch hier gab es einen Weg zurück.
Head brauchte acht Jahre, um sein Leben wieder in Ordnung zu bringen und zur Band zurückzukehren. Es gibt kein Zeitlimit für Probleme, man muss mit den Sachen leben, die einen beschäftigen. Aber wir stehen immer zusammen.
Ein weiteres Highlight des Albums ist der Song „My Confession“. Welche Beichte hast denn du gerade abzulegen?
Eine ganze Menge, aber in erster Linie muss ich mir diese Geständnisse selbst machen. Wir verbringen so viel Zeit im Leben damit, uns rauszureden oder zu entschuldigen. Aber wenn man wirklich einmal reinen Tisch macht und all die Probleme ehrlich vorbringt, dann kommt man besser mit seinem Leben zusammen. Es ist schwierig, aber es macht dein Leben besser. Es ist auch interessant, wie diese Texte zustande kommen. In erster Linie müssen die Wörter phonetisch richtig klingen, damit sie zum Song passen. Ich versuche seit gut 20 Jahren draufzukommen, wie ich eigentlich texte, aber Lösung habe ich dafür noch keine gefunden. (lacht) Irgendwann erfasst der Inhalt das Grundthema immer. Wie das passiert, das ist mir selbst ein Rätsel.
Wird es nach fast 30 Jahren Bandkarriere nicht zunehmend schwierig, neue Themen zu finden?
Sehr schwierig sogar. Ich hasse das Texten und es ist das Allerletzte, das bei Korn fertig wird. Heute habe ich meinen Frieden damit gefunden und sehe das nicht mehr ganz so negativ wie früher. Wir alle erleben Tag für Tag Scheiße im Leben und sind mit Problemen und Hürden konfrontiert. Es gibt also immer Themen, die man in Songs übertragen kann. Die Frage ist nur, wie gehst du damit um und wie lässt du diese Sorgen frei? Die Ventile ändern sich im Leben, aber die Grundkreativität ist immer da.
Du kämpfst in deinen Texten seit jeher gegen die inneren Dämonen, die dich belasten. Ich weiß, dass du ein ziemlicher Videospiel-Nerd bist, aber wie würdest du abseits von Musik mit deinen Belastungen und Unsicherheiten umgehen? Durch das Zocken von „Call Of Duty“?
Das mit den Spielen ist schon mal nicht schlecht, aber ich schieße auch verdammt gern. (lacht) Ich bin oft an der Langstreckenschießanlage und ballere dort was das Zeug hält. Die dickste Munition. Das ist gar nicht so laut und manchmal mache ich das bei mir im Hinterhof. Es ist die perfekte Form, um Frust rauszulassen und zur Entspannung zu kommen. Ich stelle mir dann ganz kleine Dosen oder Minimünzen hin und schieße aus gut 20 Metern Entfernung. Wenn ich das treffe, bin ich der glücklichste Mensch der Welt. (lacht) Ansonsten spiele ich mit meinen Kids oder arbeite im Garten. Ich liebe es, das Leben komplett normal zu verbringen. Das habe ich den Großteil meines Lebens nicht gemacht und umso mehr kann ich es jetzt genießen. Und natürlich liebe ich meine Hunde und hänge so oft wie möglich mit ihnen ab.
Korn waren Mitte der 90er-Jahre nicht nur Nu-Metal-Pioniere, ihr wart im Bandsektor auch die lauteste Stimme für eine ganze Generation, die sich von der Realität abgehängt fühlte. Hast du das Gefühl, davon ist noch immer etwas in der Band vorhanden?
Ich bin noch eine Stimme für die Leute von früher und manche von denen, habe ihre Kids auf uns aufmerksam gemacht. Ich bin aber nur eine Stimme, es gibt sehr viele mehr. Meine eigenen Kids hören viel Trap und Mumble Rap. Ich weiß, dass sehr viele Leute über diesen Sound schimpfen, aber ich liebe ihn, weil er Punkrock ist. Die Interpreten scheren sich einen Dreck um ihre Außenwirkung und genau das ist der Geist, der uns damals ausgezeichnet hat. Sie sagen das, was sie sagen wollen und achten nicht auf andere. Dazu sind die Beats extrem hart. Ich habe mir Dokus angesehen von Lil Peep und Juice World. Die haben so viel Talent und sind das, was Korn 1995 waren. Ich verstehe das. Die Leute hassen den Sound, aber meine Kids sind dem total verfallen. Absolut nachvollziehbar, denn diese Künstler verstehen sie und sprechen ihre Sprache. Nebenbei hören sie auch Ghost oder Yes. Wirklich bunt gemischt. Und das Beste daran - die brauchen mich dafür gar nicht, weil sie das alles selbst finden. Ich freue mich natürlich, dass ich als eine der vielen Stimmen für eine Generation da draußen hilfreich war.
Mein absoluter Lieblingssong auf dem Album ist „Disconnect“. Fühlst du dich heute manchmal noch immer von der Welt und der Realität, in der wir uns befinden, entkoppelt?
Eigentlich permanent. Wenn ich den Fernseher einschalte brauche ich keine fünf Minuten um mich zu wundern, in welchem verdammten Universum wir uns offenbar befinden. Am Liebsten würde ich irgendwo am Land leben, mein eigenes Gemüse anbauen, ein paar Pferde haben und mich so weit wie möglich von der Außenwelt entfernen. Lasst mich einfach in Frieden leben, bis ich dort sterbe. Ganz so einfach ist das nun einmal nicht, aber die Welt, wie sie heute ist, hasse ich wirklich.
Es besteht Hoffnung, dass ihr es heuer wirklich zum Nova Rock nach Österreich schafft. Hast du, als Stammgast hier, besondere Erinnerungen, die dir spontan hochkommen?
Ich liebe Wien so sehr. Was für eine grandiose Stadt. Wir sind immer in einem wirklich fantastischen Hotel untergebracht und Wien ist die Stadt der Musik. Das ist gar kein Geschleime, es ist einfach wahr und ich tauche jedes Mal gerne darin ein. Ihr seid dort geboren und aufgewachsen und wisst ja gar nicht, was ihr hier habt. Mein Land ist ein paar Hundert Jahre alt, eures gibt es seit Urzeiten. (lacht) So viel Schönheit und tolle Architektur sind wir hier überhaupt nicht gewohnt.
Nova Rock
Unter www.novarock.at finden Sie Karten, die Tages-Line-ups und weitere Infos für das Nova Rock, das von 9. bis 12. Juni auf den Pannonia Fields im burgenländischen Nickelsdorf über die Bühne geht. Mit dabei sind auch Korn.
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