Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Manchmal spürt man die ausnehmende Freundlichkeit schon beim Einsteigen. Wie von Geisterhand, so als wären übernatürliche Mächte im Spiel. Predrag ist Mitte 50 und hat ein ausnehmend einnehmendes Wesen. Er grüßt freundlich beim Einsteigen, fragt nach der Befindlichkeit und freut sich über die temporäre Windstille, die in Wien dieser Tage ein seltenes Gut ist. Schon früh in unserer Unterhaltung erfreut er mit poetischer Weisheit. „Schöne Worte sind das beste Medikament“, sagt er und meint damit die prekären Situationen, in denen man in seiner Zunft mit den Fahrgästen kommen kann. „Egal wie aggressiv die Menschen auch sein mögen, die in mein Auto steigen. Ich versuche sie immer nett und freundlich zu behandeln.“
Predrag fährt seit mehr als 20 Jahren Taxi bzw. Uber und ist viel gewohnt, auch wenn er die Tagschichten bevorzugt. „Es geht bei mir nicht anders. Ich kann am Tag nicht schlafen, das bringt mich um.“ Als er jünger war, hat er es öfters mit dem Nachtleben probiert und geriet in so manch skurrile Situation. Etwa, als er drei volltrunkene Nachtschwärmer in den 9. Bezirk fahren musste, sie aber bei der Endstation nicht mehr aus dem Auto bekam, weil sie komatös illuminiert waren. „Keiner der drei hat sich mehr bewegt. Was macht man da? Es war Winter. Ich kann sie nicht so einfach auf die Straße schmeißen und ich wusste auch nicht, wo sie hingehören.“
Predrag handelt geistesgegenwärtig und greift sich die Mobiltelefone. Eines der drei ist nicht versperrt und er ruft die zuletzt gewählte Nummer an. Eine Dame hebt ab, pendelt ob Predrags Erzählung zwischen Schock und Amüsement und gibt ihm ihre Adresse, damit er die Nachtschwärmer dort abladen kann. Man kann in diesem Fall getrost von Detektivarbeit sprechen. „Ansonsten hätte ich die Rettung rufen müssen, aber das will ich vermeiden. Es ist schon erstaunlich, wie betrunken man sein kann. Ein Wahnsinn.“ Predrag hat normalerweise 15 bis 20 Fahrten am Tag und ist nur selten mit Aggressionen konfrontiert. Wenn, dann ist die jeweilige Person auf der Rückbank in ihrem Wuttunnel aber kaum in Zaum zu halten.
„Einmal fuhr mit mir ein Schwarzer mit, der über Gott und die Welt schimpfte. Alle Menschen würden ihn und andere Schwarze hassen. Ich habe ihm gleich gesagt, dass mir das alles völlig egal wäre und ich die Menschen schätze, wie sie sind. Dann beruhigte er sich und hat sich am Ende sogar für sein Verhalten entschuldigt.“ Selbsterkenntnis tritt freilich nicht immer ein, aber je besonnener man am Steuer agiert, umso verständnisvoller reagieren die Menschen auf der Rückbank. „Ich kenne viele Kollegen, die jedes halbe Jahr eine Schlägerei haben. Das wäre fast immer vermeidbar. Manchmal muss man halt weghören oder gut zureden, aber man darf sich niemals von der Wut des Mitfahrers mitreißen lassen.“
Mit seiner fast buddhistischen Einstellung konnte Predrag selbst in einer nicht immer einfachen Stadt wie Wien Ärger von sich fernhalten. „Ich merke natürlich auch, dass die Grundstimmung seit der Pandemie viel negativer ist. Die Leute haben Angst, sie sind wütend, sie haben weniger Geld. Das Geschäft läuft längst nicht mehr so gut, aber wir müssen alle durch diese Situation durchkommen.“ Predrags ruhiges Gemüt und die lächelnden Augen, die über seiner weißen Maske deutlich hervorstechen, verleihen ihm eine freundliche Autorität. In seiner Profession ist er gleichermaßen Fahrer wie Psychologe. Wer Ärger sucht, ist beim Montenegriner garantiert an der falschen Adresse.
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