6 Anklagepunkte

Strauss-Kahn sitzt jetzt im Alcatraz New Yorks in U-Haft

Ausland
17.05.2011 07:14
Der wegen Vergewaltigungsvorwürfen verhaftete IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bleibt in Untersuchungshaft und wird diese auf der New Yorker Gefängnisinsel Rikers Island verbringen. Wegen Fluchtgefahr sitzt er in einer Einzelzelle im "Alcatraz New Yorks" ein, die gebotene Kaution von einer Million Dollar wurde abgelehnt. Indes wird der Fall immer undurchsichtiger, in Frankreich kursieren wüste Verschwörungstheorien. Der 62-Jährige soll einerseits für die angebliche Tatzeit ein Alibi haben, andererseits untermauern die bisher gefundenen Spuren an seinem mutmaßlichen Opfer die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft.

Strauss-Kahn wurde noch am Montagabend in den Gefängniskomplex auf einer Insel im East River gebracht, der Platz für rund 17.000 Gefangene bietet. Der IWF-Chef werde keinen Kontakt zu anderen Insassen haben, sagte der Sprecher der New Yorker Justizverwaltung. Dies bedeute aber nicht, dass er immer in seiner Zelle bleiben müsse. Vielmehr werde er bei jedem Freigang von einem Gefängniswärter begleitet.

Die Zelle des IWF-Bosses ist 3,5 Meter mal 4,0 Meter groß und verfügt über eine Basis-Ausstattung. Dazu gehören ein Bett, eine Trinktasse, Seife, Shampoo sowie Zahnpasta. 

Anklage wegen sechs Delikten
Strauss-Kahn war am Samstag in New York festgenommen worden, weil er versucht haben soll, in einem Luxushotel ein Zimmermädchen zum Sex zu zwingen. Laut Anklageschrift soll er die Tür seines Zimmers zugeschlagen haben, als das Zimmermädchen eingetreten war. "Er griff dem Opfer ohne Einwilligung an die Brust, versuchte, die Strumpfhose herunterzuziehen und griff ihm in den Schritt. Sein Penis hatte gewaltsam zweimal Kontakt mit dem Mund des Opfers." Oberflächliche Spuren bzw. Verletzungen an der Frau, die nach der Attacke in einem Spital behandelt wurden, würden dies soweit bestätigen. Wegen dieses zweimaligen Kontakts wirft die Staatsanwaltschaft dem 62-Jährigen die "sexuelle Belästigung ersten Grades" vor. Dafür allein drohen 25 Jahre.

Hinzu kommt "versuchte Vergewaltigung ersten Grades", dafür könnten 15 Jahre verhängt werden. "Sexueller Missbrauch" steht zweimal in der Anklage, das wird ersten Grades mit sieben Jahren, dritten Grades mit drei Monaten Haft geahndet. Das Schließen der Tür, um die Frau am Weglaufen zu hindern, wird zudem als Freiheitsberaubung gewertet. Dafür droht Strauss-Kahn ein Jahr Gefängnis, ebenso wie für "unsittliches Berühren", den sechsten Anklagepunkt. Strauss-Kahn bekannte sich nicht schuldig.

Die Anklagevertreter verwiesen bei der Anhörung auf Berichte, wonach der IWF-Chef in der Vergangenheit "mindestens einmal" in einen ähnlichen Fall verwickelt gewesen sein soll. Strauss-Kahns Verteidiger wiederum wiesen die Vorwürfe zurück. Sie erklärten, dass der IWF-Chef das Hotel in Eile verlassen (und sein Handy vergessen) habe, weil er für ein Mittagessen verabredet gewesen sei. Dafür gebe es einen Zeugen.

Sein Mandant sei von der Haft-Entscheidung "enttäuscht", sagte einer der Anwälte, fügte jedoch hinzu: "Die Schlacht hat gerade erst begonnen." Eine sogenannte "Grand Jury" muss nun bis zum nächsten Anhörungstermin am Freitag über eine formelle Anklage des 62-Jährigen entscheiden. Die Sitzung der Geschworenen findet hinter verschlossenen Türen und ohne Anwesenheit eines Richters statt. Der IWF erklärte, Strauss-Kahns Immunität sei "begrenzt und in diesem Fall nicht anwendbar". Zuvor hatte bereits die US-Justiz erklärt, dass der IWF-Chef keine Immunität genieße.

Wüste Verschwörungstheorien in Frankreich
Unterdessen kursieren in Frankreich wüste Verschwörungstheorien. Medien berichteten, der 62-Jährige habe für die angebliche Tatzeit ein Alibi. Laut der französischen Tageszeitung "Le Monde" soll Strauss-Kahn Samstagmittag mit seiner Tochter Camille, die in New York studiert, in einem Restaurant zu Mittag gegessen haben. Demnach habe der IWF-Chef seine Hotelrechnung um 12.28 Uhr bezahlt und sich dann auf den Weg zum Essen mit seiner Tochter gemacht. Nach dem Essen sei er zum Flughafen gefahren. Diese Zeitangaben stehen in Widerspruch zu ersten Angaben der New Yorker Polizei, wonach Strauss-Kahn das Zimmermädchen gegen 13 Uhr in seiner Hotel-Suite sexuell belästigt haben soll.

Den Berichten zufolge widersprachen Zeugen auch der Schilderung der Polizei, wonach der IWF-Chef - der vor der Affäre als aussichtsreichster Kandidat der französischen Sozialisten für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr gehandelt wurde - das Hotel fast fluchtartig verließ. "Le Monde" verwies zudem darauf, dass der Franzose selbst im Hotel anrief, weil er dort sein Handy vergessen hatte. Dieser Anruf habe die Polizei erst auf die Fährte zum Flughafen gebracht. Strauss-Kahn wurde kurz vor dem Abflug der Air-France-Maschine festgenommen.

In den französischen Medien tauchen seit der Festnahme ständig neue Fragen auf, die nach Ansicht der Kommentatoren bisher nicht ausreichend geklärt wurden. Zum Beispiel: Was hatte Strauss-Kahn in New York zu tun, zumal er laut IWF-Angaben nicht auf einer Dienstreise war? Warum übernachtete er in einem teuren Hotel, obwohl ihm eine Wohnung in Manhattan zur Verfügung steht? Warum kam ein Zimmermädchen in sein Zimmer, obwohl er noch nicht abgereist war? Warum wusste die US-Presse so schnell so viele Details, noch bevor es eine Anklage gab? Die Zeitung "Le Parisien" merkte sogar an, dass die Zimmernummer der Luxus-Suite - 2806 - dem Datum der parteiinternen Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur entspricht.

"Neue Form eines politischen Attentats"
Die sozialistische Politikerin Michèle Sabban vermutet ein Komplott: "Ich bin von einer internationalen Verschwörung überzeugt. Dies ist eine neue Form eines politischen Attentats", sagte sie zu "Le Parisien". Auch Christine Boutin, Ex-Ministerin für Wohnungs- und Städtebau in der Regierung von Premierminister François Fillon, sprach von einer Falle, die Strauss-Kahn gestellt worden sei - "entweder vom IWF, von den französischen Rechten oder den französischen Linken". Einer von Strauss-Kahns Anwälten vermutet eine "mögliche Provokation".

Sarkozy und Le Pen profitieren von Affäre
Die Information, dass ausgerechnet ein junger Anhänger der französischen Regierungspartei UMP die Nachricht als Erster über Twitter verbreitet hatte, nährte die Komplott-Theorien. Die Affäre wurde zudem sehr früh von dem früheren Wahlkampfchef von Präsident Nicolas Sarkozy, Arnaud Dassier, aufgegriffen. In Frankreich wird der neue Staatschef im April und Mai kommenden Jahres gewählt. Obwohl Strauss-Kahn seine Kandidatur für die Sozialisten nie offiziell angemeldet hat, lag er in Meinungsumfragen weit vor Sarkozy, der in der Wählergunst sogar hinter der Rechtsextremen Marine Le Pen nur an dritter Stelle rangiert. Die Äffäre Strauss-Kahn kommt damit sowohl dem amtierenden Präsidenten als auch Le Pen sehr gelegen.

Loyale Ehefrau steht hinter Strauss-Kahn
Rückendeckung erhält der IWF-Chef von seiner Ehefrau, der früheren TV-Journalistin Anne Sinclair, die erklärte: "Ich glaube keine Sekunde lang den Anschuldigungen, die gegen meinen Mann erhoben werden." Und das, obwohl es nicht der erste Sturm ist, den Sinclair, die seit 20 Jahren mit Strauss-Kahn verheiratet ist, in ihrer Ehe durchsteht. 1999 wurde DSK, wie der 62-Jährige in Frankreich genannt wird, zum Rücktritt als "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen gezwungen. Er stolperte über eine Affäre um angeblich unzulässige Honorar- und Gehaltszahlungen und wurde erst zwei Jahre später reingewaschen. Schon damals kämpfte Sinclair um den guten Ruf des Finanzexperten.

Auch 2008 hielt Sinclair eisern zu Strauss-Kahn, als dessen Affäre mit einer ungarischen Angestellten des IWF bekannt wurde. Sie wolle das "Abenteuer einer Nacht" vergessen, schrieb sie in ihrem Blog. "Wir lieben uns wie am ersten Tag." Nach einer internen IWF-Untersuchung und einer öffentlichen Entschuldigung Strauss-Kahns bei seiner Ehefrau durfte DSK den Top-Job behalten. Danach schien Sinclair, die jahrelang am Sonntagabend die französischen Fernsehzuschauer fesselte, hinter den Kulissen bereits den Präsidentschaftswahlkampf ihres Mannes vorzubereiten.

Le Pen: "Jeder wusste von seiner Schwäche"
Die Chefin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, wiederum zeigte sich am Montag über die Anklage gegen Strauss-Kahn nicht überrascht. "Jeder wusste über die sexuelle Schwäche Strauss-Kahns, doch in politischen und journalistischen Kreisen herrschte eine Art von Redeverbot", sagte Le Pen, die am Montag von ihrer Partei einstimmig als Präsidentschaftskandidatin nominiert wurde, im Interview mit der italienischen Tdie mit jener Berlusconis verglichen werden kann. Es hat bereits viele Berichte über sexuelle Belästigungen gegeben. Ich begreife nicht, warum Sarkozy ihn für die Führung des IWF nominiert hat und somit Frankreichs Ruf in den internationalen Institutionen ruiniert hat", so Le Pen. "Schon 2008 war er in einen Sexskandal geraten. Diesmal sind die Vorwürfe noch erschütternder. Es ist wirklich unglaublich, dass die Sozialisten eine Person dieser Art für die Führung des Landes in Erwägung ziehen", sagte die Front-National-Chefin.

Auch Journalistin will Anzeige erstatten
Wie indes bekannt wurde, will auch in Frankreich eine Journalistin gegen Strauss-Kahn klagen. "Wir planen eine Klage. Ich arbeite mit ihr daran", sagte der Anwalt von Tristane Banon, die nach eigener Darstellung 2002 von Strauss-Kahn sexuell belästigt wurde, am Montag. Die 31-Jährige hatte schon 2007 in einer Fernsehsendung von dem Vorfall berichtet. Damals war der Name von DSK durch einen Piepton unkenntlich gemacht worden.

Laut Banon soll sich der Sex-Überfall in einer Pariser Wohnung ereignet haben, in der der damalige Finanzminister sie zu einem Interview empfangen habe. Plötzlich sei der DSK über sie hergefallen, habe ihren BH aufgerissen und versucht, sie zu missbrauchen: "Ich habe mit Händen und Füßen um mich geschlagen und 'Vergewaltigung' geschrien." Erst dann habe er von ihr abgelassen.

"Als ich sie danach gesehen habe, war der Reißverschluss ihrer Jeans zerrissen, und an einem Schuh war der Absatz abgebrochen", schilderte Banons Mutter. Dennoch habe sie ihre Tochter überzeugt, von einer Anzeige abzusehen. Schließlich sei sie selbst sozialdemokratische Abgeordnete gewesen und Strauss-Kahn sozialdemokratischer Minister. Außerdem waren ihre Tochter und eine Tochter des Polit-Stars eng befreundet. Angesichts der Verhaftung Strauss-Kahns in New York will Tristane Banon jetzt im Nachhinein aber dennoch Anzeige erstatten.

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