Filzmaier analysiert

Ewige Streitthemen: Politische Bildung als Lösung

Politik
20.02.2022 06:00

Coronaregeln, Steuerreform und Straßenbau. Das sind beispielhaft drei politische Themen, bei denen wir trefflich streiten. Bis hin zu Demonstrationen und Besetzungen. Gut so. Demokratie ist von der Pandemie bis zur Umweltbewegung die Auseinandersetzung von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen. Solange man sachlich diskutiert. Tun wir das? Nein.

1. Man kann - unabhängig von der Wichtigkeit der Impfungen - inhaltlich für oder gegen die Impfpflicht sein. Genauso gibt es Argumente pro und contra eine Zusatzbesteuerung des Autofahrens. Beim Wiener Aufreger Lobautunnel detto. Doch für die demokratiepolitische Einordnung des Covid-19-Impfpflichtgesetzes, des Staatsbudgets sowie von Verkehrsprojekten braucht es auch Wissen über unsere Verfassung und mehr.

2. Wer gar etwas als „undemokratisch“ bezeichnet, muss sowohl die Organisation von Parlament, Regierung und Justiz sowie deren wechselseitige Macht und Kontrolle bestens kennen. Zudem braucht es politische und rechtliche Kenntnisse über Parteien und Wahlen als Mehrheitsfindung. Ansonsten wäre ja vieles eine Empörung nach Bauchgefühl, ob Impfpflichten oder CO2-Steuern oder Tunnelbauten verfassungswidrig sind.

3. Apropos Empörung: Hier geht es nicht (!) um Impfen und Impfpflicht, also können sich alle wieder abregen. Es geht um politische Bildungsarbeit und darum, ob wir bestmöglich politisch gebildet sind. Da ist es für jeden eine Holschuld, sich seriös zu informieren. Vor allem aber besteht eine Bringschuld des Staates, für uns alle viel mehr politische Bildungsangebote zu machen.

4. In den Schulen ist Politische Bildung ein Unterrichtsprinzip. Das bedeutet, es müsste in allen Schultypen und allen Schulstufen und allen Schulfächern behandeln werden. Nur gibt es zehn solche Prinzipien. Von der Sexual- bis zur Verkehrserziehung. Wie soll ein Mathematiklehrer zusätzlich zu dem ihm per Verordnung vorgeschriebenen Lehrplan Geschlechtsverkehr, das rechte oder linke Abbiegen und unser Wahlrecht gleichermaßen unterrichten?

5. Das schafft niemand. Warum hat es Politische Bildung mit Ausnahme der Berufsschulen nirgendwo zum eigenständigen Fach gebracht? Neben dem beschriebenen Unterrichtsprinzip und nicht stattdessen. Liebe Politiker, das wäre jenseits von Corona & Co. ein Langzeitvorhaben, mit dem ihr euch beschäftigen solltet.

6. Bitte beschränkt Politische Bildung dabei nicht auf die Schule! Noch bedeutender sind Programme in der offenen Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung. Ältere Menschen sind nicht zwangsläufig politisch gebildeter. Jüngere werden vom Fußballkäfig bis zum Jugendzentrum in ihrem demokratischen oder antidemokratischen Bewusstsein intensiver geprägt als in der Schule. Leider fehlen Großvorhaben der Politik für Politische Bildung.

7. Klar, kaum jemand glaubt, politisch noch viel lernen zu müssen. Nur die jeweils anderen werden da als dumm, undemokratisch oder Schlimmeres gesehen. Das ist traurig. Es darf keine Scheu davor geben, mehr über Demokratie lernen zu wollen! Nicht was Stammtischkumpels als Wahrheit erzählen. Sondern in Bildungsprogrammen. Ist ja logisch, oder?

8. Allzu reflexartig kommt an dieser Stelle der Vorwurf, dass die Menschen durch Politische Bildung manipuliert und indoktriniert würden. Dabei durchlaufen gerade staatliche Programme einen direkt oder indirekt demokratischen Prozess, was wo von wem an Politischer Bildung gemacht wird. Ein indoktrinierender Lehrer oder eine für ihre Bildungsarbeit geförderte Nichtregierungsorganisation würden im Manipulationsfall Ärger kriegen. Selbst ernannte Politikvermittler im Internet hingegen tun, was sie wollen. Ohne sich zu rechtfertigen, wenn sie Radikalinskis sind oder Fake News verbreiten.

(Bild: ©Photographee.eu - stock.adobe.com)

9. Kann man beweisen, ob Politische Bildung etwas bringt? Ja. 2008 durften 16-Jährige erstmals wählen. Begleitend gab es eine Demokratieinitiative. Die damaligen Jungwähler sind heute 30 Jahre. Studien zeigen, dass sich ihr politisches Interesse langfristig erhöht hat. Das ist entscheidend, weil ansonsten 20- bis 30-Jährige am ehesten desinteressiert an Politik sind.

10. Politische Bildung soll es übrigens auch für Politiker geben. Ohne, dass jemand darüber lacht! Im Nationalrat, den neun Landtagen und mehr als 2000 Gemeinderäten Österreichs sitzen Tausende Volksvertreter mit verantwortungsvollen Aufgaben. Deren Schulung soll man nicht allein den Parteien überlassen, sondern parteiübergreifend dem Parlament und anderen öffentlichen Einrichtungen.

Ach ja, politische Bildungsarbeit kostet Geld. Unser Geld. Steuergeld. Weder Lehrer noch Jugendarbeiter und Erwachsenenbildner arbeiten umsonst. Hinzu kommen Unterrichtsmaterialien und so weiter. Viele Millionen dafür sind trotzdem ein Klacks im Vergleich zu den Milliarden für andere Staatsausgaben. Politische Bildung für mehr Sachlichkeit in der politischen Debatte ist mindestens gleich wichtig. Warum? John F. Kennedy sagte: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“

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