Wer online Informationen zu einer Erkrankung sucht, landet eher auf der Website eines Medikamentenherstellers als beim Online-Auftritt einer Selbsthilfegruppe. Die Logik dahinter ist einfach: Das Unternehmen scheint aus verschiedenen, meist kommerziellen Gründen weiter oben in der Suchleiste auf. Wie es anders ginge, hat sich die Sozialwissenschafterin Astrid Mager anhand von Beispielen angesehen. Echte Alternativen zum Branchenprimus Google tun sich aber noch schwer.
Dafür gibt es mehrere Gründe, wie etwa Googles Nahezu-Monopolstellung und das auf „Datenhandel“ basierende Geschäftsmodell. Wer im Netz nach Informationen sucht, nutzt jedenfalls fast immer das Google-Angebot. Daher gibt es viele Unternehmen und Institutionen, die für Suchmaschinenoptimierung bezahlen, um in einer wie immer gearteten Suche weiter oben platziert zu werden. Auch die Suchen selbst beeinflussen zukünftige Ergebnisse, die zunehmend personalisiert werden. Dazu kommt, dass Google und viele andere Akteure das Online-Verhalten minutiös analysieren, um möglichst auf Einzelpersonen angepasste Werbeangebote einzublenden.
Letztlich gehe es hier um Marktmacht, die es gut betuchten Unternehmen eher erlaubt, sich prominenter zu positionieren als das etwa NGOs können. So liegt das Angebot der Pharmabranche oder von großen Gesundheitsportalen quasi näher als die einschlägige Selbsthilfegruppe, so Mager, die am Dienstagnachmittag einen Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit dem Titel „Algorithmische Imaginationen. Von der kapitalistischen Ideologie zur Suchmaschinen-Diversität?“ hält.
Eine unverzerrte Suche „gibt es nicht“
Eine unverzerrte oder „ungebiaste“ Internetsuche im engeren Sinne „gibt es nicht“, wie die Forscherin im Gespräch mit der APA festhält. Das gelte für alle Suchmaschinen, egal ob sie kommerziell orientiert sind oder gemeinnützige Anliegen verfolgen, so die am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW tätige Wissenschaftlerin. Nicht kommerzielle Alternativen täten sich jedoch eindeutig schwerer, ihre Wertesysteme in Technologie zu „übersetzen“.
Das beginnt schon dann, wenn ein eigener, unabhängiger Web-Index angelegt werden soll. Dahinter verbirgt sich eine Art Landkarte aller durch sogenannte Crawler auffindbarer Internetseiten als Datenbank, in der dann gesucht wird. Hinreichend umfassende Web-Indexe haben derzeit nur Google, Microsoft und je ein russischer und chinesischer Anbieter. Viele alternative Angebote basieren auf Kooperationen mit diesen kommerziellen Akteuren.
Drei Beispiele aus Europa hat sich Mager näher angesehen: Eines davon ist das niederländische Unternehmen Startpage, das zwar Suchergebnisse von Google nutzt, aber Nutzerdaten nicht abgreift und damit auf personalisierte Werbung verzichtet. Open Web Index ist wiederum im akademischen Umfeld in Deutschland entstanden. Daraus hat sich die Open Search Foundation entwickelt. Hier wird versucht, selbst einen offenen, möglichst umfassenden und am besten „öffentlich finanzierten“ Index aufzubauen, auf den dann eine ganze Reihe alternativer Suchmaschinen aufsetzen könnten. Wissen transparent und basisdemokratisch erschließen, will auch die deutsche Suchmaschine YaCy.
Mangelnde Investitionen
An der Herausforderung des Index-Aufbaus scheitern aber viele kleinere Vorhaben, weil große technische Infrastrukturen dazu gebraucht werden, so die Technikforscherin. Eine Art europäischer Web-Index würde vermutlich ohne große EU-Förderungen schwer vom Fleck kommen: „Die Rieseninvestition ist leider noch nicht passiert“, so Mager. Während Europa bei der Regulierung, dem Schutz der Online-Privatsphäre und beim Datenschutz viel bewegt habe, tue sich an anderer Stelle deutlich weniger.
Vorurteilsbehaftete Algorithmen
Ein zusätzliches Problem sei, dass Algorithmen, auf denen die Suche basiert, mittlerweile mit Methoden des maschinellen Lernens arbeiten. Die Regeln werden also aus großen Mengen an Daten mitabgeleitet - und übernehmen mitunter diskriminierende Inhalte und Werte der Internetnutzer. Dieses Phänomen wurde bereits in mehreren Studien beschrieben. So werden Stereotype etwa in Übersetzungsdienstleistungen digital reproduziert. In Sprachen mit nur einem Pronomen wird die weibliche Ärztin plötzlich quasi per Definition zum Mann, während „Nurse“ zur weiblichen Krankenschwester wird, „weil statistisch gesehen eher der Mann der Arzt ist und die Frau die Krankenschwester“. Nach einer ähnlichen Logik werden Bildersuchen nach Schlagworten wie „Professor“ oder „CEO“ primär mit Bildern von weißen Männern bestückt.
Aufbau einer europäischen Lösung verabsäumt
Solche Verzerrungen seien oft ein Zusammenspiel vieler Faktoren und nicht Folge von bewusst schlecht oder tendenziös aufgesetzten Algorithmen, so die Forscherin. Im Rahmen der „kritischen Informatik“ gebe es dafür bereits viel Bewusstsein. All das zeige, welch zentrale Rolle Technologiekonzerne im Zugang zu Wissen und gesellschaftlichen Diskursen einnehmen. Suchmaschinen seien mittlerweile wichtige „Gatekeeper“ für Informationen geworden, „wie es früher Bibliotheken waren“.
Bei kommerziellen Akteuren wisse man jedoch gar nicht wie unser Wissen kuratiert wird oder was die Tech-Konzerne eigentlich mit all ihren Daten tun. Europa habe es hier verabsäumt, selbst etwas aufzubauen, was den hiesigen Werten entspricht. Das bringt laut Mager natürlich eine Reihe von Fragen und bisher nur den Weg der nachträglichen Regulierung durch die EU mit sich.
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