Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Manche von Ihnen werden sich darüber ärgern, manche blättern einfach drüber und wiederum andere lassen sich davon sogar zu einem unerwarteten Spontankauf überreden. Die Rede ist von der Zeitungsbeilage. Vor allem Sportartikel-, Möbel- und Elektrohändler lassen es sich auch im digitalen Zeitalter nicht nehmen, aktuelle Tagesmedien verschiedenster Anbieter mit Werbung zu füllen. Besonders schlimm wird es vor Wahlen, wenn politische Parteien unterschiedlichster Couleur mit bunten Botschaften um die Stimmen der Bürger geifern. Doch damit das alles überhaupt erst möglich gemacht wird, müssen die Beilagen in die Zeitung kommen. Was heute in Rekordtempo von hochtechnisierten Maschinen erledigt wird, musste früher manuell funktionieren.
Mohammed arbeitete jahrelang in einer Liesinger Druckerei und war für diese Aufgabe zuständig. Bis 2010 führte er die Tätigkeit aus, danach übernahmen die Maschinen die Oberhand und radierten den Job mehr oder weniger aus. „Wir waren früher 30-35 Leute, die in der Druckerei arbeiteten“, erinnert er sich zurück, „heute sind meines Wissens noch drei übrig, die aber mehrere Aufgaben absolvieren.“ Lose Beilagenblätter, Kuverts oder auch Broschüren hat der Endvierziger jahrelang in Tageszeitungen gesteckt, was natürlich nicht spurlos an seinem Körper vorüberging. „Nicht nur die Hände und Arme beginnen dadurch zu schmerzen. Das geht in den ganzen Bewegungsapparat über. Ich hatte ständig Nackenschmerzen und auch die Bandscheibe hat darunter gelitten.“
Mohammed arbeitete rund zehn Jahre lang im Schichtbetrieb und fand die Aufteilung immer fair. Manche Tage konnten 13, 14 Stunden dauern, dafür gab es auch sehr viele freie Tage. „Manchmal musste ich vier Tage lang voll durcharbeiten, hatte dann aber auch drei oder vier Tage am Stück frei. Ich habe das immer toll gefunden, weil ich dadurch mehr Zeit für meine Familie hatte.“ Laut Mohammed konnten die schnellen Kollegen durch ein ausgeklügeltes System bis zu 1200 Blätter pro Stunde in eine Zeitung geben. Um diese Zahl begreifbarer zu machen: alle drei Sekunden wurde manuell eine Zeitung belegt. „Das hat man nach der Schicht schon gespürt“, lacht er, „aber ich habe den Job geliebt.“
Dass die Automatisierung Mohammed früher oder später den Job kosten würde, hat er schon relativ früh geahnt. So machte er sich mit den Straßen Wiens vertraut, denn Taxis werden immer gebraucht. „Ich bin nicht so extrem zufrieden mit dem Job, aber die Möglichkeiten waren beschränkt. Ich bin heute 49 Jahre alt und habe Kinder. So kommt zumindest regelmäßig Geld rein.“ Den Taxischein hat er im zweiten Anlauf geschafft. Dass er noch einmal antreten musste, sei nur teilweise sein Verschulden gewesen. „Wenn sie dir beim mündlichen Teil der Prüfung das Leben schwermachen wollen, dann tun sie es. Jeder Antritt kostet extra und einmal durchfallen passiert schnell.“
Auch die Fahrgäste grätschen Mohammed oft dazwischen. „Wir können heute alle nach dem Navi fahren. Das GPS zeigt dir ja sogar an, wo ein Stau ist, damit du den Kunden so schnell wie möglich zum Ziel bringst. Aber viele wissen es besser und wollen ihre Strecke fahren. Am Ende wundern sie sich, warum es so lange gedauert hat.“ Das Thema Geschwindigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch Mohammeds Leben. In der Druckerei mit den Händen beim Befüllen der Zeitung, im Taxi mit dem Fuß am Gaspedal. Zeit zum Durchatmen bleibt ihm nur zuhause. „Deshalb fahre ich nach der Pandemie keine Nachtschichten mehr. Irgendwann muss Schluss sein.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.