Ikonen der Schuld

Bilder von DSK-Verhaftung: “Perp Walk” hat Tradition

Ausland
22.05.2011 12:57
Für Verstörung in seinem Heimatland Frankreich hat die öffentliche Behandlung von Dominique Strauss-Kahn, bis vor kurzem IWF-Chef und aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat Frankreichs, bei seiner Verhaftung in New York gesorgt. Man würde einen Angeklagten nie so an den Pranger stellen, hieß es, die Unschuldsvermutung sei in Frankreich sakrosankt. Doch in den USA und dort vor allem in New York hat der "Perp Walk", wie das Abführen von Verdächtigen vor den – oft herbeibestellten - Augen von Journalisten genannt wird, eine lange Tradition.

Angewidert und zugleich fasziniert schauten viele Franzosen auf die Bilder, die es so nie gegeben hätte, wäre DSK, wie er in Frankreich genannt wird, in Paris unter den Verdacht der Vergewaltigung geraten. Aber Bilder wie die von Strauss-Kahn als Häftling auf einem offenen Leiterwagen gehören in den Vereinigten Staaten seit einem knappen Jahrhundert zur Tagesordnung.

Zurschaustellung als Ikonen der Schuld
Der sogenannte "Perp Walk" ist eine "glorreiche" amerikanische Tradition, bei der eine Person, die noch nicht für ein Verbrechen verurteilt worden ist, in Handschellen vor den Medien zur Schau gestellt wird – als eine augenblicklich erkennbare Ikone der Schuld. Er halte es für erniedrigend, sagte der Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, nach der Verhaftung von Strauss-Kahn. Doch wolle man den Perp Walk nicht machen, dann solle man auch nicht das Verbrechen begehen, so Bloomberg.

Die Tradition wird oft auf den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani zurückgeführt. Er ließ in seiner Amtszeit als Staatsanwalt in den 1980er-Jahren mit großer Schadenfreude eine Reihe von Wirtschaftskriminellen - von denen einige nicht einmal vor Gericht gestellt wurden – vor den Kameras aufmarschieren. Tatsächlich erstreckt sich die Tradition aber über einen weitaus längeren Zeitraum als die 80er-Jahre.

Show sollte Ansehen der Ankläger heben
Der berühmt-berüchtigte FBI-Direktor J. Edgar Hoover nutzte den Perp Wark bereits in den 1930er-Jahren zur Profilierung seiner Ankläger im öffentlichen Ansehen. Hoover machte die Festnahme von Gangstern wie etwa dem Staatsfeind Nummer eins Alvin Karpis (Bilder) zu einer regelrechten Show für die Kameras. John F. Kennedys Attentäter Lee Harvey Oswald wurde 1963 nach seiner Verhaftung gleich zu mehreren Perp Walks gebracht und durfte währenddessen sogar zur Presse sprechen. Einer dieser Aufmärsche sollte dann zugleich auch Oswalds letzter Gang werden. Er wurde von einem Mann aus der Menge erschossen (Bilder).

Verletzt Perp Walk konstitutionelle Rechte?
Für juristische Komplikationen sorgte 1973 der Perp Walk von Jerome Rosenberg. Ihm wurde wegen des Mordes an zwei Polizisten der Prozess gemacht. Seine Anwälte erhoben dabei Vorwürfe, dass Rosenbergs konstitutionellen Rechte verletzt worden waren. Die Polizei hatte Rosenberg, nachdem er sich freiwillig gestellt hatte, auf dem Weg zur Polizeiwache aus dem Streifenwagen geholt und vor die wartenden Kameras gehalten. 

Für zusätzliche Brisanz sorgten die Aussagen eines Polizeibeamten, der der aufgebrachten Menge sagte: "Er ist der Killer und er wird brennen." Die Geschworenen befanden Rosenberg daraufhin für nicht schuldig. Ein Bundesberufungsgericht hob die Entscheidung mit der Begründung wieder auf, dass sich das Recht auf Privatsphäre nicht auf diese Situation erstrecke.

Perp Walk auf Bestellung der Medien
Ein weiterer Fall, der zu einer juritischen Auseinandersetzung mit dem Perp Walk führte, war die Festnahme des New Yorker Portiers John Lauro. Mit dem Vorwurf, die Unterwäsche-Laden eines urlaubenden Mieters durchwühlt zu haben, wurde Lauro verhaftet und in eine Polizeistation gebracht. Kurz darauf fragte ein lokaler TV-Sender des Medienunternehmens Fox wegen Filmmaterials des Mannes an. Ein Polizist verfrachtete Lauro daraufhin in einen Streifenwagen, fuhr mit ihm einmal um den Block und ließ ihn dann in Handschellen zurück auf die Wache bringen – während ein Fox-Kamerateam filmte. 

Die Anklage gegen Lauro wurde fallengelassen, da in der Wohnung des Mieters nichts fehlte und Bezirks- und Berufungsgericht befanden, dass der Perp Walk Lauros Rechte auf Privatsphäre nach dem vierten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten verletzt hatte. Für die Zurschaustellung habe es keine legitimen Interessen der Regierung oder der Strafverfolgungsbehörden gegeben, so die Argumentation. Der Fall wäre aber nicht illegal gewesen, ergänzten die Gerichte, wenn es sich um den tatsächlichen Transfer vom Polizeiauto zur Wache gehandelt hätte. Die Interessen der Presse und der Öffentlichkeit, die Perp Walks sehen möchten, seien nämlich nicht zu vernachlässigen, hieß es.

Parade noch vor offizieller Festnahme
Noch vor seiner offiziellen Festnahme wurde dem Oklahoma-City-Bomber Timothy McVeigh 1997 die Ehre eines Perp Walk zu teil (Bilder). Seine Anwälte protestierten, der Aufmarsch sei zeitlich für eine maximale Publicity im Fernsehen festgelegt worden. Die Vorwürfe der Verteidiger wurden noch durch die Tatsache untermauert, dass etwa ein Dutzend FBI-Agenten zur Eskortierung McVeighs ausgewählt worden waren – als Belohnung für seine Festnahme.

Steigerung der Transparenz des Strafrechtssystems
2003 verklagten Rocco Caldarola und James Santerello, zwei wegen schweren Diebstahls verhaftetete Beamte der US-Gefängnisbehörde, den Bezirk Westchester. Behördenmitarbeiter hatten den Transfer der beiden in eine Polizeistation gefilmt und die Videobänder anschließend den Medien zugespielt.

Ein Berufungsgericht, in dem auch die mittlerweile als Richterin am Obersten Gerichtshof tätige Sonia Sotomayor saß, befand den Perp Walk der beiden Männer einstimmig für legal. Die Begründung der Justiz: "Die Bekanntmachung von Festnahmen steigert auch die Transparenz des Strafrechtssystems und kann andere davon abbringen, ähnliche Verbrechen zu begehen". Zudem ermögliche das öffentliche Zeigen von Bildern der Festgenommenen weiteren Personen, sich mit zu Ermittlungen relevanten Hinweisen zu melden, so das Gericht.

Das richtige Outfit für den Perp Walk
Neben Prominenten wie etwa Russell Crowe, der 2005 in New York nach seiner Festnahme – der Schausspieler und Oscar-Preisträger hatte ein Telefon nach einem Hotelmitarbeiter geschmissen - den Kameras vorgeführt wurde (Bilder), setzten die US-Behörden den Perp Walk im vergangenen Jahrzehnt vor allem bei Wirtschaftskriminellen gerne ein. Berühmte Fälle waren unter anderem Ken Lay (Bilder), CEO des Energiekonzerns Enron, und Scott Sullivan, Finanzchef der Telefongesellschaft Worldcom. Die Perp Walks der Bear-Stearns-Hedgefond-Manager Ralph Cioffi (Bilder) und Matthew Tannin im Jahr 2009 veranlassten das "Wall Street Journal" sogar zu der Mutmaßung, sie seien rechtzeitig benachrichtigt worden und hätten so Zeit gehabt, das richtige Outfit für ihre Parade zu wählen. 

Scharlachroter Buchstabe und Pranger als Wurzeln
Tatsächlich dürften die Wurzeln des Perp Walk sehr früh in der amerikanischen Geschichte, nämlich bei der puritanischen Praxis des Beschämens, zu finden sein. Als Beispiel nennt der amerikanische Jurist Howard W. Goldstein in einem Zeitungsartikel im "New York Law Journal" Ehebrecherinnen, die dazu verdammt wurden, ein scharlachrotes "A" auf der Kleidung zu tragen. Ein puritanischer Mann, verurteilt wegen einer vorehelichen Beziehung zu einer Frau, wurde an den Pranger gestellt.

Unschuldsvermutung wird untergraben
Doch die puritanische Praxis des Beschämens und der heutige Perp Walk unterscheiden sich in einem kritischen Aspekt: Der beschämte Puritaner wurde zuvor verurteilt, während die "Perp Walkers" lediglich verhaftet wurden und theoretisch vom Mantel der Unschuldsvermutung verhüllt werden. Eben diese Unschuldsvermutung werde durch die Praxis des Perp Walk untergraben, so Goldstein. Der Perp Walk sei eine Form von unkonstitutioneller, vorverurteilender Bestrafung, zitiert Goldstein einen Rechtsexperten.

Was die politische Zukunft Strauss-Kahns betrifft, ist eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit einer solchen Vorverurteilung letztlich irrelevant. Seine Karriere ist - auch bzw. gerade wegen den entwürdigenden Bilder in Handschellen - endgültig zu Ende. Unabhängig davon, ob die Erzählung der Zimmerfrau nun stimmt oder nicht, ob Strauss-Kahn schuldig ist und verurteilt wird oder nicht.

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