Verwackelte Bilder im Hochformat: In den sozialen Medien kursieren seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine viele scheinbar mit dem Handy aufgenommene Videos, auf denen Kampfhandlungen zu sehen sein sollen. Unter anderem solche, in denen angeblich ein ukrainisches Pilotenass in einer MiG-29 russische Kampfflugzeuge abschießt. Doch der Schein trügt: Die Clips, in denen der „Geist von Kiew“ Russlands Piloten das Fürchten lehren soll, stammen aus einem Kampfjet-Simulator für den PC.
Seit Kriegsbeginn kursieren auf Twitter, YouTube und anderen sozialen Medien mit entsprechenden Hashtags versehene Clips, die aus der Ukraine stammen sollen. Dem Fakten-Check - krone.at berichtete - halten viele nicht stand: Im Propagandakrieg werden alte Videos von Militär-Shows, Chemieunfällen oder Szenen aus Computerspielen als Berichte von der Front verkauft. Social-Media-Nutzer werden in die Irre geführt.
Propaganda-Mythos vom „Geist von Kiew“
Ein Beispiel dafür sind Videos, die den Abschuss russischer Kampfflugzeuge durch den „Geist von Kiew“ zeigen sollen - ein angebliches Pilotenass, das Angst und Schrecken unter Putins Fliegern verbreiten soll. Am Wochenende verbreiteten sich die Aufnahmen wie ein Lauffeuer auf YouTube und Twitter.
Doch die Videos sind nicht echt: Sie stammen aus dem Kampfjet-Simulator „Dynamic Combat Simulator“, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters nach einer digitalen Spurensuche.
Urheber klärt Fake im Begleittext auf
Das ursprüngliche Video, das am Samstag auf YouTube veröffentlicht wurde und mittlerweile mehr als zwei Millionen Mal angeklickt wurde, klärt den Schwindel im Begleittext direkt auf: „Diese Szenen stammen aus ‚DCS‘ und wurden als Anerkennung für den ‚Geist von Kiew‘ erstellt. Wenn er echt ist, möge Gott ihm beistehen. Wenn er ein Fake ist, bete ich für mehr davon.“
Nutzer, die das Video herunterluden und ihrerseits in sozialen Medien weiter verbreiteten, unterschlugen diese Informationen allerdings - und behaupteten, es handle sich um echte Aufnahmen.
Bilder aus Videospielen immer realistischer
Es ist nicht das erste Mal, dass Bilder aus einem Computerspiel als Kriegsaufnahmen verkauft werden: Schon in den Tagen zuvor verbreiteten Social-Media-Nutzer Aufnahmen aus Militär-Simulationen wie „War Thunder“ oder „ARMA 3“ und versahen sie mit Hashtags, die den Anschein erwecken sollten, sie stammten aus der Ukraine. „ARMA 3“ musste vor einigen Jahren sogar schon einmal im russischen Staats-TV als Bildquelle für einen Bericht über Russlands Militäreinsatz in Syrien herhalten.
Bilderstrecke: So realistisch sieht der „DCS“ aus
Die immer realistischere Grafik der Spiele macht es für Laien schwer, die Bilder von echten Videoaufnahmen zu unterscheiden - vor allem, wenn sie noch mit Filtern manipuliert, ins nach Handyvideo aussehende Hochformat gedreht oder mit dramatischen Audiospuren hinterlegt werden.
Simulator-Hersteller bittet um Zurückhaltung
Bei den Machern des „DCS“ nimmt man die Verwirrung zum Anlass für eine Warnung. Auf Facebook schreibt der Simulator-Hersteller Eagle Dynamics: „Mit dem außergewöhnlichen technischen Fortschritt in der Hardware und Software ist es schwierig, den Unterschied zwischen ‚DCS‘ und Filmmaterial aus der echten Welt zu erkennen.“
Angesichts der dramatischen Situation in der Ukraine bittet der Hersteller aber, von angeblichen Kampfhandlungs-Videos abzusehen: Diese könnten falsch verstanden werden und schlimmstenfalls Leben in Gefahr bringen. „Vermeiden Sie es bitte, ‚DCS‘ zu verwenden, um Videos dieser Art zu erstellen.“ Die Community rufen die Entwickler auf, „DCS“-Videos, die als echte Aufnahmen verkauft werden, konsequent zu melden. Nur so können die Betreiber der Social-Media-Angebote angesichts der steten Propaganda-Flut im Ukraine-Konflikt schnell auf Fakes reagieren und die Verbreitung unterbinden.
Achten Sie auf Absender, Inhalt und Quelle!
Weil die Löschtrupps kaum hinterherkommen, ist aber auch jeder Internetnutzer selbst angehalten, vermeintliche Kriegsaufnahmen in den sozialen Medien kritisch zu hinterfragen. Hier sollte man vor allem drei Punkte genau prüfen: den Absender eines Postings, den Inhalt selbst und, bei Links auf externe Websites, die genutzte Internetadresse.
Ist der Absender-Account sehr neu und hat kaum Follower, ist nicht auszuschließen, dass es sich um ein Propagandakonto handelt. Bei Bildern bietet sich eine Rückwärts-Bildersuche an: Suchmaschinen wie Google erlauben, auf Basis hochgeladener Fotos die ursprüngliche Quelle zu identifizieren.
Bei auf Twitter angepriesenen Websites, die oft im Look klassischer Nachrichtenangebote daherkommen, sollte man Internetadresse und Impressum überprüfen. Bei angeblichen Screenshots von News-Artikeln ist ebenfalls Vorsicht geboten, hier sollte man die Ursprungsquelle konsultieren: Mit Bildbearbeitungs-Software können schnell Fälschungen erzeugt werden.
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