Wer die Geschichte von Band Of Horses und ihrem Frontmann Ben Bridwell ein bisschen besser kennt weiß, dass ein Album namens „Things Are Great“ nur voller Ironie und Sarkasmus stecken kann. Im ausführlichen Gespräch hat uns der emotionale Frontmann auf eine Reise durch seine Psyche mitgenommen und erklärt, warum man trotz allem nie die Hoffnung verlieren darf. Dafür eignet sich dieses feine Indie-Dream-Rock-Album umso mehr. Schade, dass der geplante Wien-Auftritt der Absagenflut zum Opfer fiel.
„Krone“: Ben, wie hast du die beiden letzten Jahre persönlich überstanden?
Ben Bridwell: Puh, es ist immer noch ein andauernder Prozess. (lacht) Ich bin wirklich viel auf meinem Hintern herumgesessen und habe mich mit meiner Hündin beschäftigt. Es hat sich gleichzeitig auch einiges in meinem Leben getan. Es war gar nicht so einfach, mit dieser Zeit klarzukommen. Nachdem das Album im Großen und Ganzen schon fertig war, ließ auch die Inspiration nach. Ich bin ziemlich faul geworden, das muss ich schon zugeben.
Die Menschen verlernen sowieso zunehmend, Langeweile anzunehmen. Doch daraus kann wieder Kreativität entstehen.
Das mag sein. Die Natur zeigt uns, dass wir uns alle ein bisschen einbremsen sollten. Wie schön war die Phase, wo die Autos in den Garagen blieben und die Luft spür- und fühlbar reiner wurde. Es war offenbar notwendig, dass wir daran erinnert wurden.
Zwischen dem schönen neuen Album „Things Are Great“ und dem letzten sind mehr als fünf Jahre vergangen. In dieser Zeit gab es eine Pandemie, Line-Up-Wechsel und persönliche Umwälzungen. War es die herausforderndste Phase deines Lebens?
Mit Sicherheit sogar. Ich war zeitweise wirklich verzweifelt und fühle das heute noch so. Vor allem finanziell, denn es gibt ja eigentlich seit zwei Jahren keine Einnahmen ohne die Livekonzerte.
Line-Up-Wechsel gab es bei Band Of Horses viele, den letzten großen vor ziemlich genau fünf Jahren. Hat das die Band anfangs zurückgeworfen?
Ganz alltägliche Dinge wie fehlende Konzerte waren schon schlimm genug, aber die Wechsel waren notwendig. Ich möchte niemals wen verletzen und Freunde verlieren, aber zur gleichen Zeit spüre ich, wenn eine Veränderung notwendig ist. In einer Band muss man manchmal wirtschaftlich denken und ich kann niemanden von uns größer werden lassen, als das große Ganze, dass die Band an sich ist. Keine einzelne Person ist stärker als die gesamte Gruppe. Es tut weh, auf diesem Weg Freunde zu verlieren, denn manche nehmen solche Entscheidungen natürlich sehr persönlich.
Welche Kriterien müssen neue Bandmitglieder erfüllen, damit sie in deine Band passen?
Ich habe sehr oft falsch gewählt, vielleicht bin ich der Falsche für die Frage. (lacht) Ich hätte gerne Bandmitglieder, die hungrig und ambitioniert sind. Ich würde wirklich alles machen, um nicht an einer Bar oder im Walmart arbeiten zu müssen. Diesen Hunger nach Musik will ich auch bei den anderen spüren. Dass die Musik über allem steht. Heute ist es mir aber auch wichtig, dass die Leute sich nicht zu sehr von ihrem eigenen Ego treiben lassen und menschlich komplett daneben sind. Damit kann ich nicht mehr umgehen, das habe ich zu oft erlebt.
Du hast schon früher betont, dass die Stimmung in der Band nicht immer gut war. Ging es irgendwann zu sehr um die Egos und das Business und zu wenig um die Musik selbst?
Wir hatten ein Konzert in England und ich habe in dem Moment gespürt, dass etwas nicht passt. Frontmänner sind geborene Arschlöcher und natürlich war ich sehr pingelig und streng, aber ich habe genau gemerkt, dass manchen in der Band der Drive fehlt. Ich lebe und atme die Musik, ich gebe mein ganzes Leben dafür. Wenn meine Kollegen nicht in derselben Schlacht sind wie ich, dann muss ich mich trennen. Ich nehme ihnen das nicht einmal böse, aber es ist unmöglich für mich, in der Form gemeinsam weiterzuarbeiten. Entweder ganz oder gar nicht.
„Things Are Great“ ist das musikalische Dokument vieler Veränderungen. Fühlt sich das Album daher besonders intensiv für dich an?
Ich bin ihm Frieden mit dem Album, aber es hat sich schon einiges getan. In den textlichen Strängen findest du Verweise auf all das, was passierte und ich ahnte, dass es passieren würde. Persönlich als auch mit der Band. „Why Are You OK“, der Vorgänger von 2016, hatte schon erste Ansätze der Klänge, die wir jetzt hören. Und auf dem neuen Album ging es mir darum, wieder auszustrahlen, wer wir eigentlich sind.
Songs wie „Crutch“ oder „Lights“ tragen eine gewisse Form von Unschuld und jugendlicher Naivität mit. Das neue Album klingt phasenweise wie eine große Erleichterung.
Das stimmt auch so. Die Freiheit und Unabhängigkeit, wieder etwas schlampiger und nicht so perfekt zu klingen, kam in den letzten Jahren wieder zu uns zurück. Ich bin kein großer Könner an der Gitarre und über die Jahre habe ich mich mit viel besseren Gitarristen verstärkt, um meine Verantwortung zurückzuschrauben. Jetzt wollte ich keinen Produzenten mehr haben, der mir über die Schulter blickt und mir sagt, wie das Album klingen sollte. Ich bin extrem stolz auf „Things Are Great“, weil du unsere Verletzlichkeit spürst. Die schwachen Momente sind bewusst da, denn wir stehen dazu und verstecken uns nicht mehr dahinter.
„Things Are Great“ ist in Zeiten wie diesen natürlich eine Ansage. Steckt da viel Ironie dahinter oder ist es eher dahingehend gedacht, dass man sich trotz all der furchtbaren Dinge auf diesem Planeten immer wieder sagen muss, dass das Leben doch schön ist?
Ich muss ja selbst darüber lachen, wenn ich den Titel von anderen gesagt bekomme. Das Album dreht sich stark um persönliche Probleme, also sind Ironie und Sarkasmus natürlich treibende Kräfte. In gewisser Weise wurde der Titel zu einer Art Mantra. Es gibt noch immer genug Großartiges im Leben, aber vielleicht will ich mich mit dem Titel auch nur selbst täuschen.
Ist der Song „Lights“ auch so etwas wie eine persönliche Wiedergeburt?
Es war einer der ersten Songs, die ich mit meinem Freund Wolfgang Zimmermann hier in South Carolina als Demo aufgenommen habe. Die Gitarren klingen ein bisschen trashig und wir haben aus dem Nichts einen Song gemacht. Später im Albumprozess bin ich wieder zu Wolfgang gegangen, damit er mir hilft, das Album zu beenden. Er ist vielleicht der Katalysator dafür, dass ich wieder etwas jünger und frischer klinge. So wie es früher war. Ehrlich gesagt weiß ich aber nie, was ich eigentlich mache. Ich lasse der Kreativität freien Lauf und hoffe das Beste. Ich habe keine großen Ziele und bin froh, wenn die Leute den Klang mögen.
Vielleicht ist das aber auch der Grund dafür, dass deine Songs so gut sind. Weil du sie niemals überdenkst oder zu Tode analysierst.
Der Vibe auf diesem Album war so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Ich hatte zu viele hochprofilierte Produzenten. Ich will jetzt nichts gegen sie sagen, aber sie haben nicht zur Band gepasst. Wir haben jetzt wieder diese Freiheit, die mir ein paar Jahre gefehlt hat. Natürlich ist es mir wichtig, was die Leute denken, aber ich habe keinen Bock mehr, nach irgendwelchen Spielregeln zu spielen. Ich schreibe Songs, ich veröffentliche sie und dann schaue ich einfach, wie sie ankommen.
Nicht jede Band braucht einen Max Martin als Produzenten.
(lacht) Genau das ist der Punkt.
Viele Songs auf dem Album sind extrem persönlich geraten. Hast du in der Vergangenheit öfters mal die falsche Abzweigung genommen und sprichst diese Entscheidungen hier deutlich an?
Ich war schon immer sehr ehrlich und manchmal sind die Metaphern über mein Leben etwas obskur ausgefallen. Ich bin nicht der Meinung, dass ein gebrochenes Herz oder schlimme Phasen automatisch zu guter Kunst werden. Ich liebe „Things Are Great“, aber es war eine verdammt harte Fahrt, bis wir ans Ziel kamen. Diese Schmerzen vergesse ich nicht automatisch. Ich erzähle Geschichten aus meiner Perspektive, aber es muss sich nicht immer alles um mich drehen. Ich versuche möglichst universell zu sein und den Menschen von außen einen Zugang zu geben, sodass sie sich damit identifizieren können. Andererseits will ich auch nicht für andere schreiben. Ich weiß ja selbst nicht, was ich tue. (lacht)
Schon im Opener „Warning Signs“ gehst du zurück zu deinem Geburtsjahr 1978. Im weiteren Verlauf geht es um das legendäre Konzert im Opernhaus in Sydney 2016, wo du plötzlich deine Stimme verloren hast und eine Welt in dir zusammengebrochen ist.
Es ist wirklich schwierig zu singen, wenn man weint. Das ist so gut wie unmöglich. Das war ein verzweifelter Moment, der noch bis heute nachhallt. Wir waren in einem so prestigeträchtigen Venue. Es war ein Höhepunkt in unserer Karriere und dann bröckelte plötzlich alles zusammen. Ich habe mich in dem Song auf diesen Moment berufen, aber nicht nur. Es geht auch um andere Menschen in anderen Berufen, die einmal den schlimmsten Tag ihres Lebens erleben. Ich war einer von jenen, die nicht zum Doktor wollten. Die es nicht für nötig befanden, Hilfe zu suchen, wenn die geistige Gesundheit zusammenfällt. Dieser Zugang ist auch für andere spürbar, das war mir an dem Song sehr wichtig.
Spürst du die Warnsignale deines Körpers und auch deines Geistes heute besser als damals?
Schwierige Frage. Es ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Wenn es dir etwas besser geht, dann schiebst du all diese Probleme sofort wieder in die Ecke. Ich lebe in diesem Scheißland USA, wo es unglaublich teuer ist, medizinische Hilfe zu suchen und Medikamente zu bekommen. Das kann dich finanziell an den Abgrund führen. Im Großen und Ganzen habe ich wohl weniger dazugelernt, als ich gerne hätte.
Sprechen wir noch einmal über den Song „Crutch“, also „Krücke“. Wer sind die wichtigsten Krücken in deinem Leben? Familie? Freunde? Die Band? Deine Hündin?
Ich habe vier Töchter. Die jüngste tritt mich die ganze Nacht und die zweitjüngste kroch heute um 5 Uhr morgens in mein Bett. Das war es dann mit dem Schlaf. Meine Hündin Lucille ist mir auch unheimlich wichtig. Und dann natürlich die Band. Meine Musik, Kreativität, aber auch Gespräche wie dieses hier sind wichtig, um gesund zu bleiben und nicht manchmal durchzudrehen. Es ist für mich schwierig Konversationen zu führen, aber sobald es einmal los geht, bin ich voll drin und kann das meist genießen.
Ist es für dich manchmal mehr Fluch als Segen, wenn deine Songs andere Menschen emotional so exakt treffen und deren Leben beeinflussen?
Manchmal kann es schon wie ein Fluch sein. Den Song „The Funeral“ nehmen viele Menschen zu wörtlich. Sie haben auch Menschen verloren, die ihnen wichtig waren, und überschütten dann dich mit all ihrer Trauer. Im Großen und Ganzen ist es aber eine willkommene Verantwortung, die ich dabei fühle. Ich freue mich über jede Reaktion auf Songs, die ich geschrieben habe. Ich kann mich oft sehr gut in die Geschichten anderer einfühlen, bin ein extrem emotionaler Mensch. Es ist nur selten ein Fluch.
Wie hast du dich über die Jahre als Songwriter und Geschichtenerzähler entwickelt?
Solang ich mich nicht zurückentwickelt habe, bin ich schon zufrieden. (lacht) Ich bin mir oft nicht ganz sicher, was wichtig und entscheidend für die Identität dieser Band ist. Sollte ich mich entwickelt haben, dann in dem Sinne, dass ich mich in die Zeit zurückversetzt habe, in der ich mit der Band und mit Musik begann. Ich wollte die Schlüsselelemente von damals wiederaufleben lassen, den Kern der Band in den Vordergrund rücken.
Ist es mit dem Wissen von heute vielleicht leichter für dich in die frühen Tage der Band zurückzureisen? Als die Band Of Horses noch niemand waren und sich auch niemand irgendetwas von euch erwartet hat?
Ich habe dieses Gefühl gar nie verloren. Ich weiß noch, als wir das erste Mal in Europa auf Tour waren. Das war ein wirklich großer Schritt, den ich niemals vergessen werde. Ich habe immer Angst davor, dass die Dinge nicht mehr so funktionieren und ich wieder im Café kellnern muss. Alles andere als das Musikmachen würde mich niederschmettern.
Wie wichtig ist dir denn das Teamwork heute? Nicht nur innerhalb der Band, obwohl die sich dauernd verändert, sondern auch außerhalb? Management, Plattenfirma, Crew etc.
Das war immer entscheidend für unseren Erfolg. Ich rede jetzt nicht von Geld oder Finanzen. Wir müssen alle glücklich und gesund sein, damit wir überhaupt spielen und Erfolg haben können. Es ist schwer zu sagen, wie es bei uns gerade aussieht, weil uns die Pandemie so stark auseinanderdividiert hat. Wir sind jetzt nicht mehr so dicht beieinander als wir es früher gewohnt waren, deshalb ist das gesamte Team noch wichtiger als früher. Die Regierung hat uns nicht stark unterstützt, aber wir haben als Band extrem darauf geachtet, dass keiner in unserem Team auf der Straße landen muss. Die Leute sollen ihre Miete zahlen können, diese Loyalität ist mir extrem wichtig. Es lässt sich leider nicht vorhersagen, wie es weitergeht, aber ich werde immer auf die Menschen achten, die in meinem Umfeld sind.
Ist „Tragedy Of The Commons“ ein dezidiert politischer Song?
Ein bisschen schon. Ich habe an all die Menschen gedacht, die sich von ihren Eltern und Großeltern distanzieren, weil durch die rechten Medien überall eine Spaltung eintritt. Die Leute können in Amerika oft noch nicht einmal gemütlich miteinander Abendessen, weil es politisch sofort total eskaliert. Sie sind gehirngewaschen von der Propagandamaschinerie der Rechten und lassen überhaupt keine Argumente mehr zu. Ich weiß schon, dass es in Europa auch nicht toll ist, aber bei uns ist das derzeit richtig brutal. Mir ging es da um die Tragödie, dass sich ganze Familien entzweien. Grauenhaft.
Auf „Things Are Great“ findest du wieder zu dir und dem Kern der Band zurück. Gab es einen bestimmten Moment, an dem du dich verloren hast?
Ein schwieriges Thema. Ich habe den Menschen erlaubt, mir meine Fehler aufzuzeigen. Mein Bauchgefühl ist meist richtig, aber ich habe keine Allwissenheit gepachtet. Andererseits gab es ein paar wirklich wichtige Momente, die die Zukunft der Band prägten, wo ich es zuließ, dass andere mir sagten, ich würde falsch liegen. Daraus wurde dann nie was Gutes. Das war 2012, die schlimmste Zeit der Band. Ich will da auch gar nicht mehr so sehr ins Detail gehen.
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