Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Montagnacht. Ein eiskalter Wind zieht über den leergefegten Gürtel, die Menschen an der angrenzenden U6-Station kann man an einer Hand abzählen. Ein vorerst letztes Mal gilt montags die Sperrstunde um Mitternacht, aber die meisten Beisln in der Gegend sind etwas kulanter und geben den Stammkunden noch einige extra Minuten Gnadenfrist, um das Fluchtachterl gebührend leeren zu können. Mein Uber-Fahrer Dusan rauscht anfangs geschwind an mir vorbei und mokiert sich gleich nach dem Einsteigen über die ungenaue Positionsbeschreibung der App. „Jedes Mal dasselbe. Der Kunde gibt seine aktuelle Position an und steht dann doch ein paar Meter weiter entfernt. Das muss wohl an diesem GPS liegen, ein Teufelszeug.“
Dusan ist gefühlt Mitte 60 und ganz und gar nicht gut gelaunt. Ein langer Tag läge hinter ihm, nicht alle seine Fahrgäste hätten gute Stimmung gefördert. Er habe es ein bisschen mit dem Bein, sagt er auf Nachfrage, und da ist das andauernde Sitzen natürlich auch nicht vorteilhaft. Außerdem erfasst ihn offenbar gerade eine nicht näher definierte Krankheit, mit der sich gerade viele von uns identifizieren können: kollektiver Weltschmerz. Zwei Jahre lang fährt er wegen des Corona-Virus nun schon auf Sparflamme, die immer strengeren Klimaschutzoffensiven machen ihm das Leben in seinem Benziner nicht einfacher, die Teuerungen spürt er besonders hart und jetzt, wo sich die Pandemie ein bisschen weniger bemerkbar zu machen scheint, droht Europa ein Krieg, mit dem wohl niemand gerechnet hätte.
„Langsam reicht es mir, es ist überhaupt keine Besserung in Sicht“, beschwert er sich mir gegenüber in harschem Ton über die allgemeine Befindlichkeit. Eine gewisse Lethargie sei nicht nur in seiner Zunft spürbar, erzählt er weiter, er merke auch seinen Fahrgästen zunehmend Gereiztheit und Anspannung an. Zudem fühlt er sich beim Thema Corona nicht abgeholt. „Ich bin geimpft, weil ich meinen Job sonst nicht ausüben könnte, aber ich vertraue den Mitteln nicht so ganz.“ Das fehlende Vertrauen liegt aber nicht an den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auf meine Nachfrage, welch schlechte Erfahrungen diesem Urteil zugrunde liegen, entgegnet er mit einem konkreten Beispiel aus seinem direkten Umfeld. „Meine Tochter hat seit der ersten Impfung permanent Kopfschmerzen.“ Dusan geht es aber nicht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren, er fühlt sich schlichtweg nicht ausreichend informiert.
„Einmal so, dann wieder so. Wer kennt sich denn da noch aus? Zuerst erzählen dir die Politiker, dass du dich verkriechen sollst, weil die Variante so extrem ansteckend ist. Dann reißen sie plötzlich alles auf, aber die Infektionszahlen sind ja noch immer so hoch.“ Dusan steckt in einem persönlichen Zwiespalt. Einerseits freut er sich über das immer stärker werdende Taxigeschäft, andererseits fühlt er sich missverstanden und hat ein persönliches Problem mit der Diktion aus der Regierung. „Es heißt immer nur: muss. Alles muss man machen. Wo bleibt die Entscheidungsfreiheit? Wie soll das weitergehen?“ Dusan ist von Bevormundung genervt und sieht darin einen Mitgrund, weshalb die allgemeine Stimmungslage im Land so steif geworden ist.
Einem richtigen Wiener gleich, ertränkt er seine Sorgen und Nöte aber sofort in morbidem Humor. „Vielleicht kann uns das alles aber eh bald egal sein, wenn sich die Lage im Osten nicht beruhigt.“ In erster Linie federn die zunehmenden Nachtfahrten viele seiner finanziellen Sorgen ab. „Ich fahre normalerweise immer in der Nacht. Es ist nicht einfach, aber da kann man viel mehr Geld verdienen.“ Das eingangs erwähnte Fluchtachterl muss jetzt auch nicht mehr bis Mitternacht konsumiert werden und Dusan hofft darauf, seiner Profession wieder wie früher nachgehen zu können. Denn „Wien ohne Nachtleben, das ist nix.“
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