Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Dienstag zum Krieg in der Ukraine einen eindringlichen Appell gehalten. „Wir sehen, dass Charkiw massiv getroffen wird, der Ring um Kiew wird immer enger, Menschen rechnen stündlich mit bevorstehenden Angriffen“, schilderte er die Lage, nachdem er Kontakt mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten und dem Kiewer Bürgermeister gehabt hatte. Er forderte Russland auf, humanitäre Korridore zu bilden, vor allem für die Ballungsräume Charkiw und Kiew. Die Russische Föderation könne das sicherstellen, „wenn sie das will“.
Der Kanzler verurteilte den „beispiellosen Völkerrechtsbruch“ Russlands, der zu unfassbar viel Leid führe. Es gebe „ein hohes Maß an Verteidigungsbereitschaft und Wehrhaftigkeit“ in der ukrainischen Bevölkerung, für die Menschen, die die Städte verlassen wollen, gebe es aber keine sicheren Korridore. „Das betrifft auch Österreicher“, betonte Nehammer. Durch Korridore sollen „besonders vulnerable Gruppen proaktiv aus dem Krisengebiet“, gerettet werden.
„Humanitäre Katastrophe vor unser aller Augen“
Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, habe ihm gesagt, dass die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten in der ukrainischen Hauptstadt nur „noch ein paar Tage“ reiche, „dann beginnt die humanitäre Katastrophe“, unterstrich Nehammer. Diese geschehe nicht vor aller Augen, vor allem aber vor den Augen des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
„Wir werden Wladimir Putin voll verantwortlich machen, wenn Österreicher zu Schaden kommen, und wenn es darum geht, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuklären“, erklärte der Bundeskanzler. Es sei dramatisch, wie viele jetzt sterben müssten, weil sich „einer und sein Zirkel eingebildet haben, dass jetzt Krieg herrschen muss“, verurteilte Nehammer den Überfall auf die Ukraine. Dieser werde nicht toleriert. Er appelliere gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) an Putin und alle Russen eine Waffenruhe einzusetzen. Das sei jetzt gebotener denn je.
Der Kanzler richtete auch Worte an Kritiker, die seinen Appell als „naiv“ abtun könnten: „Jedes Gespräch mit Menschen in der Ukraine bezeugt, dass Menschlichkeit von wahrer politischer Größe zeigt“, erklärte Nehammer.
Botschafter herbeizitiert
Er habe Außenminister Schallenberg (ÖVP) beauftragt, den russischen Botschafter zu sich zu zitieren - eines der schärfsten diplomatischen Mittel. Schallenberg erklärte dazu, er habe dem Botschafter gesagt, dass es für den Angriffskrieg Russlands „keine Rechtfertigung“ gebe. Er habe drei Dinge vom Botschafter gefordert: die Einhaltung der Menschenrechte, einen Korridor für Flüchtlinge und die Sicherstellung des vollen Zugangs für humanitäre Organisationen. Sollten Zivilisten zu Schaden kommen, werde dies „der russischen Führung angelastet werden“.
Nach Worten von Außenminister Alexander Schallenberg befinden sich noch 89 Österreicher in der Ukraine, rund 40 im Großraum Kiew. „Wir sind mit jedem Einzelnen täglich verbunden“, so Schallenberg. Die Botschaft sei nicht geschlossen, betonte der Minister, sie sei in die Westukraine verlegt worden. Es gebe Bemühungen, humanitäre Konvois zu schaffen. Der Außenminister sprach davon, dass man sich „gefoppt“ fühle von Russland, das „wortbrüchig“ geworden sei. Klar sei, dass Russland die „Hauptverantwortung“ trage. „Der, der den Krieg begonnen hat, trägt die Hauptverantwortung.“
EU-Beitritt „sehr komplex“
Was die Frage eines EU-Beitritts der Ukraine angehe, so sei diese „sehr komplex“, sagte Nehammer. Sie bedürfe der Zustimmung aller 27 EU-Länder. Beitrittsverhandlungen dauerten lang. Deswegen sei es „nicht das geeignete Mittel, das zu erreichen, was wir gerade tun“, nämlich die Solidarität und Partnerschaft mit der Ukraine so eng und so unkompliziert wie möglich zu gestalten sowie schnelle Hilfe zu leisten. Nehammer äußerte außerdem sein klares Bekenntnis zur Ukraine als europäisches Land.
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