„Er agierte bei seinen Taten intelligent - und völlig gefühlskalt“, sagt Ernst Geiger. In der „Krone“ erzählt der pensionierte Top-Fahnder über die aufreibende Jagd auf den Serienkiller.
Rückblende in das Jahr 1990: Ernst Geiger war gerade zum stellvertretenden Leiter des Wiener Sicherheitsbüros bestellt worden, „und schnell“, sagt er, „schien sich damals ein großer Fall anzubahnen.“
Gefesselt und erdrosselt
Vier Straßenprostituierte waren innerhalb kurzer Zeit verschwunden. Die Vermutung, dass sie ermordet worden sein könnten, lag also nahe. Ein Verdacht, der sich 1991 bestätigte: In Waldstücken wurden nach und nach die Leichen der vermissten Frauen entdeckt. Aufgrund der ähnlichen Auffindungssituationen, der Tatsache, dass die Opfer vor ihrem Tod offenkundig Grauenhaftes erleiden mussten - sie alle waren gefesselt und erdrosselt worden -, „ließ auf das Handeln einen Serienkillers schließen.“
Dass es sich dabei um den kürzlich erst aus dem Gefängnis entlassenen, längst zum Literatur-Star avancierten Jack Unterweger handeln könnte, diesen Tipp gab im Sommer 1992 ein pensionierter Salzburger Kriminalbeamter.
Machtdemonstrationen des Killers
Der Parallelen sah zu einem 1974 von dem „Häfenpoeten“ verübten Mord und zu einem vermuteten zweiten, der ihm nie hatte nachgewiesen werden können.
Etwa zur selben Zeit geriet Unterweger zudem durch eine, wie Geiger erklärt, „bewusste Machtdemonstration der Polizei gegenüber“ ins Fadenkreuz der Ermittler: „Er interviewte in seiner Funktion als freiberuflicher Journalist meinen Chef, Max Edelbacher, zu der ungeklärten Prostituiertenmordserie.“
Die Flucht vor den Ermittlern
Und flog bald darauf nach Los Angeles, wo er drei weitere Verbrechen beging. Letztlich ging die Kripo von elf Delikten aus - in den USA, in Tschechien, Wien, Niederösterreich, Vorarlberg und in der Steiermark.
„Wann immer er sich an bestimmten Orten aufgehalten hatte, waren dort Prostituierte getötet worden.“ Schließlich wurde seine Festnahme angeordnet, Unterweger erfuhr davon und flüchtete nach Miami.
„Er sprach kaum mit mir“
Später, in der U-Haft in Graz, hat Geiger ihn vernommen: „Er sprach kaum mit mir. Es war ihm anzumerken, dass er mich sehr hasste.“ Dafür, dass der Fahnder nie hatte locker lassen, „in diesem Fall, der mich laufend mehr gefangenen genommen hatte.“ Nicht nur wegen der umfangreichen Erhebungen dazu: Sämtliche Werke des Täters, sämtliche seiner Interviews hat Geiger einst analysiert.
Fazit: „Ich sah in ihm einen brandgefährlichen Psychopathen.“
Dem es Freude bereitete, wehrlosen Frauen unfassbares Leid zuzufügen; mit den Behörden „Katz-und Maus“ zu spielen - und sogar die Angehörigen der von ihm Getöteten zu quälen: „Er rief bei den Partnern zweier Opfer an, sprach lachend über Schuld, Sühne und Gott. Und er verwendete dabei - in seinen Allmachtsgefühlen - sogar Sätze aus seinen Gedichten.“
„Er ging bei seinen Taten intelligent vor“
„Denn ja, Unterweger war der Meinung, niemand würde es je schaffen, ihn zu überführen.“ Ihn, diesen „intelligenten Mann“, der bei seinen Verbrechen „überlegt vorgegangen war.“
Seine drei Autos hatte er etwa in verschiedenen Ländern verschrotten lassen oder versteckt - „und nicht damit gerechnet, dass wir genügend Langatmigkeit aufbringen würden, sie zu finden. Und: Als er begriffen hatte, dass er in unserem Fokus stand, hörte er sofort zu morden auf.“
Ist das nicht ungewöhnlich für einen Lusttäter? „Ich denke, er brachte es zuwege, seine Triebe zu kontrollieren.“
Als er wusste, dass wir ihn im Fokus hatten, hörte er sofort auf zu morden. Denn er konnte sich selbst sehr gut kontrollieren.
Ernst Geiger über Unterwegers Psyche
Wie erlebte Geiger Unterweger im Prozess? „Er schien mir stark. Kannte den ganzen Gerichtsakt und damit auch die Schwachstellen darin.“ 280 Fragen stellte der Killer während der Verhandlung dem Fahnder: „Viel härtere als seine Verteidiger. Er wollte zum Beispiel wissen, wann und wie die Prostituierten genau zu Tode gekommen waren. Exakte Antworten waren teilweise kaum möglich, da einige von ihnen bei ihren Auffindungen ja schon extrem verwest gewesen sind.“
„Im Heute hätten wir ihn viel früher gefasst“
Wirklich schlagkräftig letztlich: echte Sachbeweise. Das Haar eines Opfers, das in einem seiner Wagen und Fasern von ihm zuordenbaren Kleidungsstücken, die an einer der Leichen sichergestellt worden waren.
Wenige Stunden nach seinem - neunfachen - Schuldspruch erhängte sich Unterweger in seiner Zelle: „Vielleicht wollte er gar nicht sterben“, mutmaßt Geiger, „sondern - wie bereits ein paar Mal davor - mit einem Suizidversuch auf angebliche Ungerechtigkeiten gegen ihn hinweisen.“ Aber das sei bloß seine „Spekulation“.
Sicher ist sich der pensionierte Polizei-Hofrat allerdings, dass der Serienkiller, wären einst ihm und seinen Kollegen im Heute gängige Ermittlungshilfen - hochprofessionelle DNA-Untersuchungen, nachträgliche Rufdatenrückerfassungen und Handyortungen - zur Verfügung gestanden, rasch zu fassen gewesen wäre.
Wie hätte „Jack“ demnach im Jetzt agiert? „Noch viel vorsichtiger...“
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