Diplomat zur „Krone“
„Russland hat uns über viele Jahre angelogen“
Der Diplomat Wolfgang Ischinger war bis vor Kurzem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Im „Krone“-Interview spricht er über den Ukraine-Krieg und seine Hoffnung in China.
„Krone“: Herr Ischinger, wie lange wird der Krieg noch dauern?
Wolfgang Ischinger: Eine gute Frage, der Westen ist da ein gebranntes Kind. 1999 ging die NATO davon aus, der Kosovo-Krieg würde wenige Tage dauern. Er hat fast 80 Tage gedauert. Es ist schwer, eine Prognose abzugeben. Das russische Ursprungskalkül, die Ukraine in wenigen Tagen zu übernehmen, ist aber nicht aufgegangen.
Warum hat man Putin so lange gewähren lassen?
Wir haben im Westen sogar bis nach der illegalen Annexion der Krim die Hoffnung gehegt, eine nachhaltige Sicherheitsordnung mit und nicht gegen Russland aufbauen zu können. Es hat jetzt dieses kriegsverbrecherischen Angriffs bedurft, um uns vor Augen zu führen, dass wir über Jahre angelogen wurden. Wir haben es nicht kommen sehen, das war ein schweres Versagen, über das wir lange werden nachdenken müssen.
Wir haben es nicht kommen sehen, das war ein schweres Versagen, über das wir lange werden nachdenken müssen.
Diplomat Wolfgang Ischinger
Sie haben in Ihrem Buch „Die Welt in Gefahr“ die Ukraine als Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen angekündigt.
Seit 1990 dachte man, jetzt ist der ewige Landfrieden in Europa ausgebrochen. Aber wir haben uns kollektiv geweigert zu erkennen, dass sich hinter der Fassade in Moskau ganz andere Ambitionen aufbauten.
Sie sagen, man dürfe Putin jetzt nicht mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag drohen, das wäre provozierend.
Wenn wir auf eine Beendigung dieses Kriegs am diplomatischen Weg hoffen, dann darf man nicht gleichzeitig dem Gegner androhen, dass er jetzt erst mal kapitulieren muss und sich vors Kriegsgericht begeben soll. Aber natürlich soll man sämtliche kriegsverbrecherischen Vorgänge im Detail sammeln.
Man kann ja auch nicht allem nachgeben, nur weil Putin unberechenbar ist.
Ich habe in der deutschen Debatte seit Längerem dafür plädiert, dass Deutschland seine traditionelle Zurückhaltung aufgeben sollte. Aber jetzt ist Krieg. In Moskau überlegt man vielleicht, dass Länder, die die Ukraine mit Waffen versorgen, möglicherweise Kriegsbeteiligter werden. Und wir wollen alle nicht, dass dieser Krieg zu einem Flächenbrand wird.
Muss man das euro-atlantische Sicherheitskonzept vielleicht neu denken?
Wir haben Glück, dass wir im Augenblick einen US-Präsidenten haben, der ein überzeugter Transatlantiker ist. Aber: Die Fähigkeit Europas zur Verteidigung unserer eigenen Interessen müssen wir nachhaltig stärken. Wir dürfen nicht darauf vertrauen, dass auf ewig die USA ihren Schutzschild über uns ausbreiten.
Der Ukraine-Krieg ist auch ein Härtefall für die EU.
Bisher ist alles gut, mal sehen, ob es hält. Und ob und wie die russische Seite uns unter Druck setzt. Dieser Test hat noch nicht stattgefunden.
Gibt es für Putin eigentlich noch eine Exit-Strategie?
Das ist die wichtigste diplomatische Aufgabe. Hier sprechen wir von möglichen kriegsbeendenden Verhandlungen. Aber sie sind wie zwei streitende Kinder. Die einigen sich nicht selber. Da braucht es eine Respektsperson, die sagt, jetzt vertragt euch wieder.
Wir hatten so eine entscheidende Epoche, wie wir sie jetzt in diesen Tagen erleben, in vielen Jahrzehnten nicht. Hier geht es um die europäische und internationale Ordnung insgesamt.
Diplomat Wolfgang Ischinger
Wer kann das sein?
China. Die Chinesen haben sich im Sicherheitsrat der UNO interessanterweise bei der Resolution nicht auf die Seite Russlands geschlagen, sondern haben sich enthalten. Das ist ein Land mit großer Macht, das Putin auch nicht ignorieren kann. Wir hatten so eine entscheidende Epoche, wie wir sie jetzt in diesen Tagen erleben, in vielen Jahrzehnten nicht. Hier geht es um die europäische und internationale Ordnung insgesamt.
Lesen Sie auch:
Geht das Eskalationspotenzial über die Ukraine hinaus? Sind Georgien, Moldawien und das Baltikum in Gefahr?
Das Baltikum ist in der NATO, das kann ich mir nicht vorstellen, dass Putin NATO-Territorium angreift. Das Thema Georgien und Moldawien betrachtet Putin als noch nicht erledigt. Ich bin nicht imstande zu sagen, das macht er nicht, nach dem, was uns in den letzten Tagen vorgelogen worden ist.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.