Der - längst berühmte - Gerichtspsychiater Reinhard Haller hat einst Jack Unterwegers Seele durchleuchtet. In der „Krone“ berichtet er nun über seine vielen Gespräche mit dem Serienkiller.
Reinhard Haller hat „das genetisch bedingte Glück“, wie er sagt, „jünger auszusehen, als ich bin. Weshalb es früher häufig vorkam, dass mich Menschen unterschätzten, für unerfahren und leicht beeinflussbar hielten“. Wie einst Jack Unterweger.
„Er dachte er wäre klüger als ich“
Fest steht: Standhaft hatte sich der Killer in der U-Haft geweigert, von Psychiatern untersuchen zu lassen; mit keinem der vielen Sachverständigen, denen er vorgeführt worden war, geredet.
Letztlich bestellte die Justiz daher Haller dazu, den Angeklagten während seines Prozesses zu beobachten, „um später von mir zumindest eine kleine Seelenanalyse über ihn zu bekommen“.
Schon am ersten Verhandlungstag saß der Gutachter also „als fachkundiger Zuschauer“ im Verhandlungssaal: „In einer Pause ging ich zu Unterweger, stellte mich ihm vor; erklärte ihm den Grund für meine Anwesenheit.“
Jacks Reaktion? „Er taxierte mich zunächst ein paar Sekunden mit einem fast hypnotischen Blick und meinte dann: ,Sie sind mir sympathisch. Wenn Sie Zeit haben, können Sie mich bereits heute gerne im Gefängnis besuchen.’“ Der Täter hielt Haller demnach für „harmlos“: „Ich war damals 41, wirkte wie 30.“
„Er bedankte sich für mein Interesse“
Das erste „echte Gespräch“ zwischen ihm und dem Mörder - wie ist es verlaufen? „Unterweger wollte mich, mit seinem für Psychopathen typischen ,bubenhaften Charme’, vereinnahmen. Er machte mir tolle Komplimente; behauptete, von Freunden aus Vorarlberg, meiner Heimat, Gutes über meine bisherigen Leistungen erfahren zu haben. Ich glaubte ihm kein Wort, aber ließ ihn das freilich nicht merken.“
Es folgten acht weitere, stundenlange „Sitzungen“, „in denen wir uns beide stets sehr höflich einander gegenüber verhielten.“
Er versuchte, mich mit seinem für Psychopathen so üblichen Charme zu vereinnahmen. Indem er mir Komplimente machte.
Haller über sein erstes Gespräch mit Unterweger
Was erzählte Unterweger dabei? „Er berichtete ausführlich über die schlimmen Umstände, unter denen er aufgewachsen war; und darüber, dass er zu Unrecht der Taten an den Prostituierten beschuldigt würde. Irgendwann bedankte er sich bei mir sogar dafür, dass ich mich für ihn interessierte, ihm zuhörte. Noch nie zuvor, sagte er, hätte das nämlich jemand getan.“
Der „besondere Moment“
Und irgendwann hätte es zwischen Jack und Haller auch diesen „besonderen Moment“ gegeben, „der manchmal bei Begutachtungen passiert - diesen Moment, in dem die Wahrheit plötzlich greifbar wird“. Damals, nachdem der Killer gerade von DNA-Beweisen gegen ihn erfahren hatte: „Tränen standen in seinen Augen, als er mich - ohne eine Antwort zu erwarten - fragte: ,Und ein Haar soll mir jetzt zum Verhängnis werden?’“
Bis heute ist Haller der Überzeugung, dass Unterweger damit vor ihm ein „indirektes Geständnis“ abgelegt hat: „In meinen Ausführungen über ihn bin ich darauf jedoch nicht eingegangen. Denn Aufgabe eines Gerichtspsychiaters ist schließlich nicht, über Schuld oder Unschuld zu entscheiden - sondern das Seelenleben eines Verdächtigen zu erkunden.“
Ich diagnostizierte Unterweger als einen Menschen, der Freude dabei empfindet, anderen Leid zuzufügen; der Lust am Töten hat. Dennoch: Letztlich bedankte er sich bei mir über meine Fairness ihm gegenüber.
Reinhald Haller über sein letztes Gespräch mit dem Killer
Sein Resultat? „Ich diagnostizierte Unterweger als einen bösartigen Narzissten. Als einen völlig gefühlskalten, sadistischen Menschen, der Freude dabei empfindet, anderen immenses Leid zuzufügen. Und beim Töten seine Sehnsucht danach, entsetzliche Macht auszuüben, befriedigt.“
„Manchmal war er auch zur Empathie fähig“
Wie entstehen solch grauenhafte „Gelüste“? „Oft durch schreckliche Erlebnisse in der Kindheit“, sagt Haller. War das auch bei Unterweger so? „Ich gehe davon aus.“ Fand Haller bei dem Serienkiller - er hatte einen IQ von 116 - auch positive Seiten?
„Als er, mit 24, zum ersten Mal wegen Mordes verhaftet wurde, lag eine lange ,Karriere’ als Straftäter hinter ihm, wegen kleinerer Delikte; er konnte kaum eine Schulbildung vorweisen, war beinahe ein Analphabet. Hinter Gittern entwickelte er allerdings die Kraft, sich zu bilden, er las Weltliteratur und die Werke von Philosophen; und begann sogar, selbst Bücher zu schreiben.“
„Im Gefängnis nie eine Therapie bekommen“
Womit er zum umjubelten „Häfenpoeten“ avancierte - wodurch seine vorzeitige Entlassung möglich wurde: „Was seine zahlreichen Bewunderer - und auch die Justiz - dabei leider übersahen: Er hatte im Gefängnis nie eine Therapie bekommen. Die er dringend gebraucht hätte.“
Er, dieser - laut Hallers Diagnose - geistig hochgradig gestörte und dennoch „voll zurechnungsfähige“ Mann: „Der manchmal, so denke ich, sogar zur Empathie fähig gewesen ist.“ Wie reagierte Unterweger einst auf Hallers Gutachten über ihn? „Er ,lobte’ mich für meine Fairness.“
Hat der Psychiater mit Unterwegers Selbsttötung - im Falle einer Verurteilung - gerechnet? „Nein. Ich glaube bis heute, dass sein Freitod ein ,Unfall’ war. Ich wusste nämlich von ihm, dass er mit einem Schuldspruch gerechnet hatte; in der Folge in die zweite Instanz gehen, also weiterhin um seine Freilassung kämpfen wollte.“ Wäre es dazu gekommen - hätte Jack danach abermals gemordet? „Eher nicht. Zumindest nicht gleich.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.