In der Ukraine ist Krieg, Menschen sterben, Häuser werden zerbombt, ganze Stadtteile unbewohnbar. Dieser Krieg ist nicht weit weg von uns, sondern vor unserer Haustür, das Leid der Bevölkerung unermesslich und geradezu spürbar. Wir im sicheren Westen bekommen das vor allem über die Nachrichten mit, aber die Folgen werden auch unseren Alltag immer mehr beeinflussen, vor allem finanziell. Bis hin zu abermals verlängerten Lieferzeiten bei Autos.
Durch die Chipkrise mussten sich viele Kunden bereits darauf einstellen, dass sie ihr Wunschauto teilweise erst über ein Jahr nach Unterzeichnung des Kaufvertrages bekommen. Nun kann man oft noch eine unbestimmte Zeit draufschlagen: Weil der Warenstrom von Zulieferfirmen in der Ukraine abgerissen ist, müssen viele Fabrikbänder in der Autoproduktion angehalten werden.
So hat der Nürnberger Autozulieferer Leoni in seinen beiden Werken in Stryji und Kolomyja nahe Lwiw in der West-Ukraine bereits bis 24. Februar Kabelbäume für mehrere Autohersteller gebaut, dann wurden die 7000 Mitarbeiter nach Hause geschickt. Ohne Kabelbaum kein Auto, es ist ein zum Großteil handgefertigtes, an die 70 Kilogramm schweres Kabelkunstwerk, das alles, was in einem Auto elektrisch ist, verbindet. Eines der teuersten Bauteile überhaupt.
Produktionsausfälle bei vielen Herstellern
VW hat in Zwickau (Elektroautos) und Dresden die Fertigung eingestellt. Demnächst wird es auch in Wolfsburg eng, wo unter anderem VW Golf, VW Tiguan und Seat Tarraco gebaut gebaut werden. Ab 14. März werden die Bänder im Stammwerk komplett angehalten. Betroffen sind auch VW Multivan und ID.Buzz am Nutzfahrzeuge-Standort Hannover und das Komponentenwerk in Salzgitter, wo Motoren produziert werden. Bei Porsche pausiert die Fertigung von Macan und Panamera in Leipzig sowie die des Taycan im Stammwerk Stuttgart-Zuffenhausen.
Skoda schränkt die Produktion im tschechischen Mlada Boleslav ein, dort kommt das Elektro-SUV Enyaq her.
BMW will nächste Woche das größte europäische Werk des Konzerns in Dingolfing schließen, wo unter anderem 5er und 7er gebaut werden, aber auch der iX. Auch das Werk München schließt (3er, 4er …) Für 1er und 2er wird es in Leipzig eng, für 1er und X1 in Regensburg. Auch die Motorenfertigung Steyr wurde ausgesetzt. Das Mini-Werk in Oxford ist dicht.
Auch der Lkw-Erzeuger Steyr Automotive stoppte mangels Kabeln vorerst eine Woche das Werk. Bei Magna Steyr in Graz ist man derzeit noch mit allen Teilen für die Produktion von Mercedes G, BMW 5er usw. versorgt, doch das kann sich stündlich ändern, heißt es aus dem Unternehmen. „Für die Beschaffung sind unsere Auftraggeber zuständig.“
Im Audi-Werk Neckarsulm (PHEV-Versionen des A6 und A7) sowie der zugehörigen Manufaktur Bölliger Höfe (Audi e-tron GT) wir die Produktion am Montag angehalten. Während Audi im Stammwerk Ingolstadt mit nur fünf Ausfalltagen plant, sollen in Neckarsulm fast zwei Wochen keine Autos gebaut werden. Audi hat mittlerweile einen Bestellstopp für seine Plug-in-Hybriden verhängt, die Jahresproduktion 2022 ist bereits vergeben.
Bei Mercedes laufen die Werke noch, Ausfälle sollten „bestmöglich“ vermieden werden, teilte das Unternehmen mit. Es müsse jedoch vorübergehend die Schichtplanung in einzelnen Werken angepasst werden.
Ersatz ist nicht leicht zu finden
Die Lieferung von Kabelbäumen aus der Ukraine lässt sich nicht von heute auf morgen ersetzen. Branchenkenner rechnen mit drei bis sechs Monaten, bis der Ausfall aufgefangen werden kann.
Und Leoni ist nicht der einzige Zulieferer, der Einfluss auf die Autoproduktion in Europa hat: Laut der Regierung in Kiew haben 22 internationale Autozulieferer insgesamt mehr als 600 Millionen Dollar in 38 Werke investiert.
Darüber hinaus haben europäischen Hersteller haben auch ihre Produktion in Russland und den Export dorthin eingestellt. Allein die deutschen haben laut Branchenverband VDA im vergangenen Jahr etwas mehr als 40.000 Fahrzeuge in beide Länder - Russland und Ukraine - exportiert. Konkret waren es 4100 Pkw in die Ukraine und 35.600 Pkw nach Russland.
Rohstoffe werden knapper und teurer
Der VDA geht langfristig von einem Preisanstieg bei Rohmaterialien aus. So ist die Ukraine einer der wichtigsten Lieferanten des Edelgases Neon, das in Hochleistungs-Lasern bei der Halbleiterproduktion zum Einsatz kommt. Auch Palladium und Nickel könnten kurzfristig knapp werden. Ersteres wird für Katalysatoren benötigt, Letzteres zur Produktion von Lithium-Ionen-Batterien. Deutschland importiert ein Fünftel des Palladiums und fast die Hälfte des Nickelerzes aus Russland. Mit steigender Verbreitung der Elektromobilität wird sich der Bedarf an Nickel vervielfachen.
Wie teuer was für den Endkunden wird und wie weit die Lieferzeiten steigen, ist noch nicht abzusehen. Im Vergleich zur Lage der Bevölkerung vor Ort ein Luxusproblem.
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