Putins neue Welt?
„Jeder Tag ein Gewinn für die Ukraine“
In Europa wütet Krieg. Keine tausend Kilometer entfernt kämpfen die Ukrainerinnen und Ukrainer um jede Straße und um jeden Ort. Russland hat einen gnadenlosen Angriff gestartet, unterscheidet nicht mehr zwischen zivilen und militärischen Zielen, begeht Kriegsverbrechen und setzt in Russland Zensurmaßnahmen und verhaftet Demonstranten. Was bedeutet dieser historische Einschnitt für die Ukraine, für Russland und für die Weltordnung? Das bespricht Damita Pressl in einer letzten Folge „Moment Mal“ mit der Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova und dem Historiker und Autor Muamer Becirovic.
„An der Ukraine entscheidet sich, ob Russland ein Imperium ist, oder nicht“, zitiert Becirovic einen außenpolitischen Berater Jimmy Carters. Russland habe, so Becirovic, immer schon imperiale Ambitionen gehabt: „Die Russen haben das Selbstverständnis, sie hätten eine besondere Mission auf dieser Welt. In Wirklichkeit hat man das kommen sehen. Die Geschichte war nie ausgeklammert, aber wir wollten nicht hinsehen. Jetzt sind wir aufgewacht.“ Tchakarova bestätigt: „Die Mehrheit der Analysten lag falsch.“ Sie selbst habe gemeint, die Invasion würde sich auf den Osten der Ukraine beschränken. Nun zeichne sich aber ab, dass der russische Diktator Vladimir Putin einen Unionsstaat mit Belarus und zumindest einem Teil der Ukraine anstrebt: „Er könnte - und darin sehe ich die größte Gefahr - das Land teilen.“
Tchakarova rechnet aber mit mehreren Wochen oder Monaten, bis eine Konfliktpartei die Überhand gewinnt und es zu sinnvollen Verhandlungen kommt. Die bisherigen hätten pro forma stattgefunden, seien in einem Krieg üblich und hätten wenig Bedeutung: „Putin hat nicht vor, aufzuhören.“ Dass die NATO eingreift, schließen beide aus: „Wir werden weder eine Flugverbotszone einrichten, noch militärisch eingreifen“, so Becirovic, „denn das würde den dritten Weltkrieg bedeuten.“ Doch die Waffenlieferungen müssen weitergehen und intensiviert werden, sagt Tchakarova: „Jeder Tag zählt und jeder Tag ist ein Gewinn für die Ukraine.“ Gemeinsam mit den Sanktionen sei dies ein „Zusammenspiel aus Faktoren“, das den Ausgang beeinflussen könnte, glaubt auch Becirovic: „Wenn Vladimir Putin etwas schaden wird, dann sind es die Wirtschaftssanktionen und der ukrainische Widerstand“. Diesen gelte es zu unterstützen.
Optimistisch schätzen die beiden Experten die Prognose nicht ein: „Ich habe meine Zweifel, ob die Russen Halt machen“, so Becirovic; dass es in anderen Ländern weitergehe, sei nicht ausgeschlossen. Auch das Risiko einer Atomkatastrophe nicht, so Tschakarova: „Wir müssen uns auf alle Szenarien vorbereiten. Putin wird vor nichts zurückschrecken, und sein Ziel ist es, die Ukraine komplett zu unterwerfen.“ Ein Putsch im Kreml sei nur dann möglich, sollte es im Kreig eine Kehrtwende geben, so Tchakarova. Putin habe sein Haus aber sehr gut im Griff, sagt Becirovic: „Er hat die Oligarchen zu Milliardären gemacht“, zusätzlich sei er ein Meister der Überwachung. „So einfach wäre das nicht. Die Menschen um ihn haben wirklich Angst vor dem Mann, und er ist ja auch gefährlich.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.