Filzmaier analysiert

Warum Staaten so oft Kriege führen

Politik
06.03.2022 11:05

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Vereinten Nationen in Artikel 2 ihrer Charta einen Gewaltverzicht festgeschrieben. Dieser reicht sogar über ein bloßes Kriegsverbot hinaus. Eingefordert wird bereits der Verzicht auf die Androhung zwischenstaatlicher Gewalt. Warum halten sich viele Mitgliedstaaten, darunter ja auch Russland, nicht daran?

  • Das Modell der UNO geht davon aus, dass Einzelstaaten sich Regeln internationaler Organisationen unterwerfen und nicht egoistisch gewaltsam handeln, weil sie sich davon irgendeinen Nutzen versprechen. Warum sollten Staaten aber ihre Handlungsfreiheit einschränken? Weil Regel- und Verhandlungssicherheit für alle Vorteile bringen, während Dauerkonflikte des Typs „Jeder gegen jeden!“ beispielsweise in der internationalen Wirtschaftspolitik allen schaden.
  • In der Politikwissenschaft wird das als Theorie des Internationalismus bezeichnet. Das Problem ist jedoch offensichtlich, dass die UNO als übergeordnete und verbindliche Instanz nur sehr unzureichend akzeptiert wird. Das Vetorecht der Supermächte im UN-Sicherheitsrat, über welches auch Russland verfügt, verhindert sowieso ein Durchgreifen im Kriegsfall.
  • Doch warum führen Staaten überhaupt Krieg? Mindestens in „zivilisierten“ Gesellschaften und angesichts der schrecklichen Kriegserfahrungen sollte das ja für niemand und nirgends eine Option mehr sein. Die Pauschalerklärung, dass es leider immer ein paar irre Diktatoren gebe und Wladimir Putin ein solcher sei, ist zu einfach. Gerade im Fall Putin steht strategisches Machtkalkül mit eiskalter Überlegung dahinter.
  • Deshalb steht dem beschriebenen Institutionalismus das Konzept des Realismus gegenüber. Russlands Außenpolitik folgt demzufolge dem Prinzip, Macht zu erhalten, zu vermehren und zu demonstrieren. Macht wiederum ist – so der Soziologe Max Weber – die Chance, seinen eigenen Willen gegen Widerstand durchzusetzen. Egal, worauf diese Chance beruht. Wer wie Wladimir Putin Gewalt und Krieg für chancenreich hält, wird stets militärische Mittel statt der Diplomatie bevorzugen.
  • Dahinter steht eine sehr pessimistische Sicht der menschlichen Natur. Die politische Philosophie der Realisten beruht darauf, dass der Zweck die Mittel heiligen würde und infolge des Machtstrebens bis zum eigenen Tod unser Zusammenleben ein „Krieg aller gegen alle“ wäre. So war es jedenfalls schon vor vielen Jahrhunderten bei den klassischen Staatstheoretikern Niccolò Macchiavelli und Thomas Hobbes nachzulesen.
  • Unter den Politikwissenschaftern ist der US-Amerikaner Kenneth Waltz der prominenteste Realist. Er beschreibt, warum ein internationales Ordnungssystem der UNO oder auch der EU nur bedingt funktionieren kann. Es gibt keine logische Aufgabenteilung von Staaten. Jeder Staat will dasselbe machen und erreichen sowie den größtmöglichen Vorteil – zum Beispiel wirtschaftlichen Reichtum – daraus ziehen.
  • Nach einer Kosten-Nutzen-Analyse ist es da speziell für „Großmächte“ wie die frühere Sowjetunion – Putin sieht Russland unverändert gerne in deren Rolle – verlockend, Armeen zur Vorteilsgewinnung einzusetzen. Man will „der Starke“ sein und nicht in mühsamen Verhandlungen mit anderen und kleineren Staaten auf einen Teil der tatsächlichen oder vermuteten Stärke verzichten.
  • Wobei die Sache mit dem Nutzen oder Vorteil der Starken relativ ist. Auch wenn Russland den Krieg schnell und klar gewinnen sollte, würde die russische Bevölkerung womöglich meinen, dass die Menschen im Land davon genau gar nichts haben. Damit das nicht so ist, setzt das Regime von Putin eine Propagandamaschinerie in Gang, den eigenen Angriffskrieg als Verteidigung oder Befreiung von konstruierten Neonazis in der Ukraine darzustellen. In Wahrheit nutzt der Krieg nicht „den Russen“. Sondern bloß den Machtinteressen einer kleinen Gruppe politischer Eliten.
  • Selbstverständlich gibt es manchmal andere Kriegsgründe. Auch kleinere Staaten führen Krieg, wenn sie sich in der Welt so sehr benachteiligt oder gefährdet fühlen, dass sie meinen, keine andere Wahl zu haben. Was bleibt der Ukraine übrig, als sich heftig zu wehren, wenn sie nicht ihre Eigenständigkeit aufgeben oder gar von der Weltlandkarte verschwinden will? Genauso gibt es kriegsführende Staaten mit gefährlich missionarischem Sendungsbewusstsein für eine Ideologie oder Religion.
  • Apropos Wahl: In der internationalen Politik gibt es anders als in den einzelnen Staaten kein Regulativ demokratischer Wahlen, wer „da oben“ Entscheidungen treffen darf und notfalls friedlich abgewählt werden kann. Deshalb sollten wir uns keinerlei Illusionen machen, dass Kriege als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln – so Carl Philipp Gottlieb Clausewitz, preußischer Generalmajor und Militärwissenschafter im 19. Jahrhundert – jemals Vergangenheit sein werden.
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