„Kein Ausweg“
FSB-Informant: Krieg ist „Fehlschlag“ für Russland
Ein Brief, der angeblich von einem Analysten im russischen Geheimdienst FSB, dem Nachfolger des KGB, stammt, beschreibt den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als „kompletten Fehlschlag“, den man mit der Niederlage von Nazi-Deutschland vergleichen könne. Russland habe keinen Überblick über die eigenen Verluste, zudem sei der ukrainische Widerstand zu stark. Veröffentlicht wurde der Bericht von einem russischen Menschenrechtsaktivisten. Die Echtheit ist fraglich: Es könnte eine von der Ukraine gestreute Fälschung sein. Ein Experte hält den brisanten Bericht aber für authentisch.
Der angebliche Whistleblower schreibt, dass Agenten in Russlands Sicherheitsapparat über den Plan Putins, die Ukraine anzugreifen, im Dunkeln gelassen worden seien. Dabei wird der FSB von Alexander Bortnikow, einem Vertrauten Putins, geleitet. Die beiden sind alte Bekannte: Sie kennen sich seit den 1970er Jahren, als sie beide als KGB-Offiziere in Leningrad dienten.
Dem FSB werde demnach die Schuld für die Invasion gegeben, sei aber selbst nicht gewarnt worden - und damit auch nicht vorbereitet auf die weitreichenden westlichen Sanktionen. So hätten Beamte des FSB den Auftrag bekommen, die Auswirkungen der Sanktionen zu beurteilen, allerdings sei ihnen gesagt worden, dass es sich dabei um eine hypothetische Übung handle. „Du musst die Analyse so schreiben, dass Russland als Gewinner aussteigt“, schreibt der Whistleblower. Andernfalls werde man infrage gestellt, weil man keine gute Arbeit leiste.
Dem Dokument zufolge, über das zuerst die britische Tageszeitung „The Times“ berichtete, könnten bereits 10.000 russische Soldaten getötet worden sein. Auch das ukrainische Militär schätzt die Zahl der russischen Verluste ungefähr in dieser Höhe ein. Das Verteidigungsministerium in Moskau hingegen sprach zuletzt von 498 getöteten russischen Soldaten. Laut dem Whistleblower wisse die russische Regierung die genaue Zahl der Toten aber nicht, da man zu „wichtigen Divisionen den Kontakt verloren“ habe.
„Keine Optionen für einen Sieg“
In dem Bericht wird das komplette russische Handeln in der Ukraine infrage gestellt, dieses geschehe aus einem „Gefühl“ heraus. „Unsere Einsätze müssen immer höher werden, in der Hoffnung, dass plötzlich etwas für uns herauskommt“, so der mutmaßliche Informant. „Im Großen und Ganzen hat Russland aber keinen Ausweg. Es gibt keine Optionen für einen Sieg, nur eine Niederlage“, schreibt er.
In dem Brief wird auch geschrieben, dass der tschetschenische Führer Ramsan Kadyrow, ein Verbündeter Putins, kurz davorsteht, auf Konfrontation mit dem russischen Präsidenten zu gehen. Der Grund dafür sei, dass eine Elitetruppe Kadyrows, die Präsident Wolodymyr Selenskjy töten sollte, von ukrainischen Streitkräften vernichtet wurde. Auch wenn Selenskyj getötet werden sollte, hätte Russland keine Chance, die Ukraine zu besetzen, so die Einschätzung des angeblichen FSB-Beamten. „Sogar mit minimalem Widerstand der Ukrainer bräuchten wir über 500.000 Soldaten.“
Laut dem Analysten soll der russische Auslandsgeheimdienst SWR versucht haben, über die Ukraine „Dreck auszugraben“, um behaupten zu können, dass das Land Atomwaffen gebaut habe -was als Vorwand für einen Präventivschlag gelten sollte.
„Kein Zweifel“ an Echtheit
Das Dokument wurde vom russischen Menschenrechtsaktivisten Wladimir Osetschkin, der die Aufdecker-Website Gulagu.net betreibt, auf Facebook veröffentlicht. Es ist fraglich, ob es sich tatsächlich um die Aussagen eines FSB-Agenten handelt, oder um eine Fälschung. Christo Grozev, ein Experte für russische Geheimdienste bei der investigativen Plattform Bellingcat schrieb auf Twitter, dass er den Brief zwei FSB-Beamten gezeigt habe. Beide hätten „keinen Zweifel“ daran gehabt, dass das Dokument von einem Kollegen stamme - sie würden allerdings seine Ansichten nicht teilen.
Grozev wies darauf hin, dass die Ukraine schon zuvor gefälschte FSB-Briefe verbreitet habe - als psychologische Kriegsführung. „Dieser Brief schien jedoch anders zu sein. Er kam von einer seriösen Quelle und war viel länger, als es ein Fälscher ihn gestalten würde“, schrieb er. Denn je länger ein Text, desto eher könne es einen inhaltlichen Fehler geben. Das fragliche Dokument hat 2000 Wörter.
„Büchse der Pandora geöffnet“
Der Whistleblower schreibt, dem Krieg sei eine „vorläufige Frist“ bis Juni gesetzt worden, weil bis dahin die russische Wirtschaft zusammengebrochen sein werde. „Ich habe in letzter Zeit kaum geschlafen, arbeite rund um die Uhr, bin wie benebelt“, berichtet er. „Vielleicht liegt es an der Überarbeitung, aber ich fühle mich wie in einer surrealen Welt. Die Büchse der Pandora ist geöffnet worden“.
Der angebliche FSB-Beamte schreibt, er könne einen internationalen Konflikt nicht ausschließen und erwarte, dass „irgendein verdammter Berater die Führung überzeugt“, dem Westen ein Ultimatum zu stellen und mit Krieg zu drohen, falls die Sanktionen nicht aufgehoben würden. „Was, wenn der Westen sich weigert?“, fragt er. „In diesem Fall schließe ich nicht aus, dass wir in einen echten internationalen Konflikt hineingezogen werden, genau wie Hitler 1939.“ An anderer Stelle des Briefes heißt es: „Unsere Position ist wie die Deutschlands 1943-44 - aber das ist unsere Ausgangslage.“
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