Sie blieb in Kiew
Timoschenko: „Unsere Kinder wollen nicht sterben!“
Aus Kiew geflohen sind viele ukrainische Politiker. In der Stadt blieb ein politisches Urgestein - die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz traf sie zum Interview.
Im Innenhof der Zentrale der Vaterlandspartei in Kiew herrscht rege Betriebsamkeit. Mitarbeiter be- und entladen humanitäre Hilfsgüter, die sich beim Eingang in das Hauptgebäude stapeln. Dazu zählen Decken, Kleidung und unzählige Kartons mit anderen Waren. Sie stehen auch beim Aufgang zum Büro von Julia Timoschenko, die eigentlich zum politischen Urgestein in der Ukraine zählt. Nach der Orangen Revolution im Jahre 2004 war sie einige Jahre Ministerpräsidentin.
Christian Wehrschütz: Wie versuchen Sie Ihrem Land in dieser Zeit zu helfen?
Julia Timoschenko: Ich habe herzliche und freundschaftliche Beziehungen zu vielen Politikern in der Welt, zu ehemaligen Regierungschefs, und ich tue alles, um sie und durch sie die Regierungschefs, Präsidenten, Premierminister davon zu überzeugen, dass die Ukraine jetzt eine umfassende militärische Unterstützung braucht. Außerdem organisieren wir die Evakuierung von Kranken, schwer kranken Kindern, Krebspatienten, Kindern mit seltenen Krankheiten.
Ist das für die Ukraine ein Kampf auf Leben und Tod?
Absolut wahr, jetzt stehen die Ukrainer fest, niemand wird Politikern erlauben, über eine Kapitulation zu entscheiden, all diese Ultimaten von Putin zu erfüllen. Das Volk wird es nicht akzeptieren, selbst wenn die Politiker es wollen. Die Menschen sind heute so kategorisch: Ich gehe jetzt oft in Krankenhäuser, wo unsere Verwundeten sind. Wir unterstützen sie, helfen ihnen, und ich möchte sagen, wie stolz ich bin! Sie liegen verwundet, angeschossen, manchmal mit schweren Folgen, aber sie sind alle so stark im Geiste, dass sie alle eines sagen: „Wir werden siegen! Stell uns so rasch wie möglich wieder auf die Beine, und wir gehen an die Front!“
Ihr militärisches Anliegen ist eine Flugverbotszone über dem ukrainischen Luftraum?
Der geschlossene Himmel ist gleichbedeutend mit dem Sieg, und der geschlossene Himmel ist gleichbedeutend mit dem Schutz der Ukrainer. Kinder wollen nicht sterben, unsere Familien wollen nicht sterben, und der geschlossene Himmel bedeutet das Leben der Ukraine und unserer Familien.
Aber der Westen fürchtet, in einen Krieg mit Russland hineingezogen zu werden, wenn er den Luftraum sperrt.
Schauen Sie, Angst ist Putins Waffe. Sie beginnt zu wirken, wenn die wichtigsten Führer der Welt anfangen, unangemessene Angst zu haben. Ich möchte sagen, dass die NATO-Führer keine Angst haben dürfen, wenn es darum geht, dem absoluten Bösen entgegenzuwirken. Wenn wir die Anatomie dieser Angst erklären, werden die Länder, die an der Schaffung eines geschlossenen Himmels über der Ukraine beteiligt sind, zunächst Schläge auf ihrem Territorium erhalten - so lautet die Befürchtung. Doch schauen Sie sich den Zustand der Armee genau an, die gegen uns kämpft: demoralisierte Soldaten, die nicht verstehen, wofür sie kämpfen; schauen Sie sich an, mit welchen Infanteriewaffen sie kämpfen, das ist das vorige Jahrhundert; nur wenige Waffen sind neu.
Lesen Sie hier das Interview von Conny Bischofberger mit Jewgenija Timoschenko, der Tochter von Julia Timoschenko, aus dem Jahr 2012.
Welche Chancen räumen Sie den Verhandlungen mit Russland ein?
Ich bin an den historischen Grundsatz gewöhnt, dass, wenn die Diplomatie funktioniert, die Waffen schweigen. Doch wie soll die Diplomatie funktionieren, wenn die Waffen nicht schweigen und wenn Verhandlungen geführt werden und unsere Kinder, die durch humanitäre Korridore gehen, aus nächster Nähe erschossen werden? Wenn unsere Städte und Flughäfen sowie Krankenhäuser bombardiert werden? Ich glaube, dass dies getan wird, damit sich das russische Militär neu formieren kann. Die Russen haben nicht damit gerechnet, dass die Ukrainer einen derartigen Widerstand leisten werden, und brauchen daher jetzt Zeit.
Das heißt, der Krieg in der Ukraine wird noch weitergehen?
Putin wird nicht aufhören. Dieser Krieg ist sein Vabanquespiel - da gibt es nur ein Entweder - Oder. Wenn sie gewinnen, wird die Welt nicht mehr in der Lage sein, über die Werte zu sprechen, mit denen wir alle die Welt in unseren Herzen aufgebaut haben. Dann wird nicht nur die Ukraine zerstört, sondern die ganze zivilisierte Welt. Das ist der entscheidende Kampf des schwarzen Bösen mit dem Teil der Menschheit, der auf der Seite des Lichts steht. Dieser Krieg muss mit einem Sieg für die Kräfte des Guten, die Werte unseres Glaubens, die richtigen Ansichten über die Welt enden.
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