Taxi-Geschichten

Am Ende trifft es doch immer nur die Kleinen

Wien ist leiwand
12.03.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Der drohende Klang der Sirenen, der ständige Lärm von Erschütterungen und die nackte Angst der Menschen sind Branko noch immer allgegenwärtig. Dabei liegt der Kosovokrieg schon mehr als 20 Jahre zurück. Doch Leid und Schrecken vergisst man nicht. Während er mich an einem viel zu warmen Märzmorgen Richtung Flughafen fährt, reden wir natürlich über den furchtbaren Krieg in der Ukraine. Egal, wie sehr man es auch versucht, man kommt nicht daran vorbei. Das Thema ist omnipräsent und weckt in Branko böse Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit. Der Serbe lebte an der Grenze zum Kosovo und bekam die Luftangriffe und Bombardierungen der NATO direkt mit. „Was Putin in der Ukraine macht ist schrecklich“, zeigt er sich erschüttert, „es ist durch nichts zu entschuldigen. Aber dass die Amerikaner uns damals angriffen, das wurde in der Welt einfach zur Kenntnis genommen.“

Bei Branko kochen die Emotionen los. Er ist wütend und die Erinnerungen an früher lassen ihn erschaudern. Nur mit Mühe kann er sich in unserem Gespräch davon abbringen, allzu politisch zu werden. „Die Leidtragenden sind am Ende doch immer die Menschen. 1999 waren wir das in Serbien und im Kosovo, jetzt sind es die Ukrainer. Die Staaten boykottieren Russland und versehen das Land mit Sanktionen. Wir zahlen beim Tanken und beim Heizen den Preis dafür.“ Den russischen Angriff findet er abscheulich. Die Reaktion der Menschen darauf versteht er nur bedingt. „In Syrien geht es seit Jahren so zu. Wen interessiert das hier? Wer kümmerte sich so um sie? Es ist schön, dass den Ukrainern geholfen wird, aber diese Miteinander sollten wir auch bei anderen Nationen spüren.“

Branko selbst tut sein Möglichstes, um zu helfen. In seinem Heimatbezirk Floridsdorf spendete er noch am Abend vor unserer Fahrt alte Kleidung und Decken. Er übergab die Hilfsgüter mit seinen Kindern, obwohl es daheim auch alles andere als rosig aussieht. Sein Unternehmen hatte vor Corona noch 13 Autos in der Flotte, jetzt seien es bloß noch vier. „Ich war die meiste Zeit arbeitslos. Am Höhepunkt der Pandemie war überhaupt nichts los. Normalerweise hat jeder von uns zehn bis zwölf Fahrten pro Tag. Damals hatte einer von uns oft nur eine Fahrt. Jetzt geht es langsam wieder los, aber längst nicht so wie früher. Die Touristen bleiben aus und ohne die Russen wird es noch schlimmer werden.“ Durch seinen Job ist Branko im Zwiespalt. Er verurteilt das Vorgehen Putins, weiß aber auch, dass ein Wien ohne Russland-Touristen negative Auswirkungen auf seinen Job hat.

Zu lange plagt ihn schon die Existenzangst, als dass er sich einem reinen Schwarz/Weiß-Denken ergeben würde. „Keiner will Krieg. Weder Ukrainer, noch Russen, Serben oder Kosovaren - aber trotzdem sind am Ende alle davon betroffen. Es ist zum Verzweifeln, nichts ändert sich.“ Den Glauben an die Menschheit hat Branko trotz alledem nicht verloren, auch wenn die Sorgenfalten rundum größer werden. Der Familienvater feierte unlängst seinen 60. Geburtstag und hat schon viel zu viel erlebt, als dass er sich der steigenden Tristesse einfach so ergeben würde. „Wenn du den Krieg direkt vor deiner Haustür miterlebt hast, dann siehst du die Dinge mit anderen Augen.“ Es gehe ihm nicht um Verharmlosung der Situation, sondern eher um eine Art von Zweckoptimismus. „Man muss immer darauf hoffen, dass sich die Dinge wieder einpendeln.“

Noch viel mehr Sorgen als die Weltlage bereitet Branko seine persönliche. „Ich habe 35 Jahre lang als Kellner gearbeitet. Früher in Serbien, dann auch in Österreich. Ich habe mit dem Trinkgeld immer sehr gut verdient und sehr viel gespart. Ohne die Ersparnisse wüsste ich jetzt nicht, wie ich leben sollte.“ In seiner kleinen Wohnung im 21. Bezirk schnellen die Energie- und Heizkosten in schwindelerregende Höhen, dazu kommt das Parkpickerl, das ihm mit seinem Fahrzeug mit niederösterreichischem Firmenkennzeichen Probleme bereitet. Manchmal hilft wirklich nur mehr das Credo: die Hoffnung stirbt zuletzt.

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