Verliert Maß und Ziel

Wie aus dem KGB-Klon Putin ein Tyrann wurde

Ausland
12.03.2022 06:00

Was ist nur aus Österreichs gutem Freund Wladimir Putin geworden? Schunkeln, Tanzen, Winterfreuden mit Karl Schranz am Arlberg. Kaum für Österreich merklich hat sich der Charakter dieses Mannes Schritt um Schritt verfinstert. Oder hatte er als KGB-Sprössling immer schon eine unsichtbare Maske getragen, wie es gemäß Ausbildung der Geheimdienstler zur Tarnung und Täuschung gehört? Seine engste Umgebung sind bis heute alte KGB-Freunde, denen er vertraut.

Ich habe Putin zweimal im Kreml erlebt: das erste Mal als extrem jovialen Kumpel, das zweite Mal schon als Zar. Im ersten Interview hatte Putin noch festgehalten, dass der Rahmen der österreichischen Neutralität von Österreich allein bestimmt wird. Heute rügt das russische Außenministerium die nur noch „scheinbare Neutralität“ Österreichs und warnt, dass man sich das merken werde.

Putins 22 Amtsjahre können in zwei Hälften geteilt werden: Die ersten elf Jahre waren die eines Stabilisators, die zweite Hälfte ist geprägt von der Errichtung einer Diktatur mit Rückfall in altrussische Reflexe.

Putin hatte von seinem Vorgänger Boris Jelzin einen Staat in innerer und äußerer Auflösung übernommen - ein Russland als Bettler in tiefster Erniedrigung. Die Demokratie nach westlichem Vorbild verkam zu einer Farce. Oligarchen rissen sich (in blutigen Kämpfen) die Staatswirtschaft unter den Nagel und machten auch Politik. Die Menschen verarmten. 

„Die Schwachen werden geschlagen“
Das „demokratische Jahrzehnt“ unter Boris Jelzin war für die Russen ein Albtraum. So sah es auch Putin. Als er von Jelzin das Amt übernahm, musste er sich erst in persönlich gefährlichen Machtkämpfen durchsetzen - mit nicht zimperlichen Methoden seiner KGB-Gefährten. So hatte er in einer großen Konferenz den Oligarchen ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen sollten: Jeder von ihnen könne gut und noch besser leben, aber Hände weg von der Politik!

Wer nicht folgen wollte, bekam es zu spüren: Michail Chodorkowskij (Gefängnis, Exil), Boris Beresowskij (Exil, Selbstmord?), Wladimir Gussinskij (Exil). Aus der Zeit dieses Kampfes auch gegen den blutigen Terror aus Kaukasien stammt Putins Zitat mit Anspielung auf das Schulhof-Milieu: „Die Schwachen werden geschlagen.“ Demokratie bedeutete für ihn folgerichtig Schwäche. 

Treffen 2001 im Kreml: „Krone“-Redakteur Kurt Seinitz mit dem „frühen“ Wladimir Putin. Damals war er noch normal ansprechbar. (Bild: Martin A. Jöchl)
Treffen 2001 im Kreml: „Krone“-Redakteur Kurt Seinitz mit dem „frühen“ Wladimir Putin. Damals war er noch normal ansprechbar.

Wie die Macht schmeckt: Der Weg zum Putinismus
Putin stützte sich zusehends auf eine neue Herrschaftselite: die „Silowiki“ - Inhaber des Machtapparats- sowie auf die Bosse der zurückverstaatlichten (Rohstoff-)Industrie. Kommandozentrale ist die hypertroph aufgeblähte „Präsidialverwaltung“ des Kremls. Die neue Elite hatte bald mehr zusammengerafft und vom Volk gestohlen, als es die alten Oligarchen je zusammenbracht hatten. Diese „Silowiki“-Prätorianer huldigen großrussisch-konservativen Ansichten und der slawophilen Tradition, gepaart mit großrussischem Nationalismus.

Putin hatte dieses System des „starken Staates“, der „Ideologie der russischen Zivilisation, der russischen Welt“ und des Blut-und-Boden-Pathos bald verinnerlicht - den „Putinismus“. Laut dem Russland-Kenner Simon Sebag Montefiore ist der reaktionäre Zar Alexander III. Putins Lieblingszar. Von dem ist der Satz überliefert: „Ich brauche bloß zwei Verbündete: Armee und Marine.“

Wichtig für jedes autokratische System ist, Opposition in der Öffentlichkeit - das heißt: in den Medien - mundtot zu machen. Das Putin-System setzt keine Zensurkommissare in den Redaktionen ein, wie die alte Sowjetunion. Es lässt die Eigentumsverhältnisse wirken, und die sind überwiegend gebündelt in der Firma „Gazprom-Media“, mit einem Direkt-Zugriff aus dem Kreml.

„Krone“-Redakteur Kurt Seinitz 2001 bei Wladimir Putin im Kreml (Bild: Martin A. Jöchl)
„Krone“-Redakteur Kurt Seinitz 2001 bei Wladimir Putin im Kreml

Das Staatsfernsehen als das wichtigste Informationsinstrument entfaltete einen Personenkult sondergleichen. Putin erscheint als allwissender Führer, der beschämte Verantwortungsträger vor laufender Kamera in ihrer Arbeit belehrt oder abkanzelt.

Zu Putins 60. Geburtstag 2012 analysierte der „Focus“: „Je länger er das Riesenreich mit Gewalt zusammenhält und auf Unterdrückung setzt, umso größer wird die Gefahr des Auseinanderbrechens.“ Putin trat die Vorwärtsstrategie an und zog alle Macht in seiner Person zusammen.

Alle Sicherungen durchgeknallt
Im Laufe der Zeit waren die Prätorianer um den Kremlchef so weit ausgefiltert, dass nur noch Ja-Sager übrig blieben. Angela Merkel sagte es als Erste: „Er lebt in einer anderen Welt.“ Und Finnlands Präsident Sauli Niinistö, der Putin kennt wie kaum ein anderer Staatschef, sagte kürzlich im „Spiegel“-Gespräch: „Er hat sich (gegenüber früher) verändert. Er war viel entschlossener. Ich glaube, er sah eine Gelegenheit und wollte sie ergreifen, um das zu tun, was er schon länger im Kopf mit sich herumtrug …“ 

„Zuerst dachte ich, dass die Ukraine nur der Köder ist und die Forderungen gegenüber den USA und der NATO sind die eigentliche Beute. Aber vielleicht will Russland schließlich auch den Köder essen“, so Niinistö.

Schwarzenberg: „Mit dem Essen kommt der Appetit“
Wer ein so feines politisches Sensorium hat wie Karel Schwarzenberg, war schon vor Jahren gewarnt. Der vormalige tschechische Außenminister prophezeite 2014 nach der Annexion der Krim: „Ich kann Ihnen garantieren, dass einem Rechtsbruch der nächste auf dem Fuße folgt. Wir beobachten soeben, wie die Krim als Vorspeise eingenommen wird. Ich fürchte, wir werden noch eine georgische Suppe und vielleicht eine ukrainische Hauptspeise beobachten. Mit dem Essen kommt der Appetit.“

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