Angst vor Putin
Russen im Exil: „Wir glauben an nichts Gutes mehr“
Durch die westlichen Sanktionen wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine bricht die Wirtschaft ein, Russland wird zunehmend abgeschottet. Immer härter geht Putins Regierung gegen Kritiker vor. Viele Russen wollen den Repressionen in ihrer Heimat entkommen. Oft sind es Leute, die ihren Job bei einer internationalen Firma aufgrund der Sanktionen verloren oder für ein Medium gearbeitet haben, das nun zusperren musste. Zehntausende Menschen verlassen Russland: Flüge nach Eriwan, Baku oder Tiflis sind voll. Von dort wollen viele Russen weiter nach Europa, um in Freiheit leben zu können.
Nicht nur über die Länder am Kaukasus, auch über die Türkei oder Singapur gehen Flüge, die Russen ins Ausland bringen sollen. Die Züge von St. Petersburg aus Richtung Finnland sind vollgepackt mit Russen, die in die EU wollen, viele gehen auch zu Fuß über die Grenze. Beamte gehen an der Grenze grob gegen Menschen vor, die ausreisen wollen: Grenzpolizisten befragen Emigranten eingehend, schauen das Smartphone durch. „Sie wurden behandelt wie Kriminelle“, fasst ein Russe die Berichte von Bekannten zusammen. Viele verlassen das Land völlig ohne Perspektive oder Plan. „Niemand hat erwartet, dass es wirklich einen großen Krieg mit einem anderen Land geben würde. Das ist ein kompletter Schock für alle.“
krone.at hat mit Russen gesprochen, die jetzt in Österreich leben. Sie wollten nur unter Zusicherung der absoluten Anonymität sprechen. „Ich habe Angst, dass ich Probleme bekomme, falls ich zurückkehren muss“, sagt ein Mann. Viele versuchen, in Europa Aufenthaltsberechtigungen zu bekommen, wissen aber nicht, ob sie im Land bleiben können. „Wir haben auch Angst vor Putin“, wird betont.
Polizisten kontrollieren Smartphones
Kontakt halten die Exil-Russen mit Freunden in ihrer Heimat weiterhin, Telefonieren funktioniert, auch Chat-Apps wie Telegram und WhatsApp sind noch nicht gesperrt. Soziale Medien wie Instagram, Twitter und Facebook erreicht man in der Russischen Föderation aber nur noch über VPN, die die Ländersperre umgehen. Es gibt zudem Gerüchte, dass der Kreml das komplette Internet abschalten und ein eigenes „Intranet“ im Land schaffen will. Eine Anordnung, die das nahelegt, wurde vor Kurzem bekannt. In Moskau patrouillieren Polizisten mit Gewehren, die willkürlich Passanten anhalten und die Nachrichten auf ihren Smartphones kontrollieren - ohne Gesetz, das dies erlauben würde.
Für Russen im Exil ist der Trend erschreckend: „Sie wollen sich abschotten und den Eisernen Vorhang wiedererrichten. Vielleicht wird es ein totalitärer Staat, wer weiß?“, so ein Mann, der kürzlich nach Österreich kam. Die Aussichten für ihr Heimatland sind düster. Was aktuell in Russland geschehe, sei eine „Revolution von oben“. Zuvor habe es Hoffnungen gegeben, dass sich das Land demokratisiert und nach Westen orientiert. „Mit einem Tag sind alle Hoffnungen zerstört“, fasst eine Russin die Gefühlslage zusammen. „Nach dem 24. Februar glauben wir an nichts Gutes mehr“, resigniert ein Russe im Gespräch. „Alle Fortschritte, die in den 30 Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gemacht wurden, sind damit zunichte.“
„Immer noch besser als Nordkorea“
Oppositionsführer, die seit Jahren gegen das Regime waren, wurden oft als Pessimisten oder Panikmacher abgestempelt. „Jetzt müssen wir einsehen, dass sie schon immer recht hatten und wir naiv waren.“ Was bleibt, ist der Galgenhumor: „Selbst wenn das Internet abgeschaltet wird, wäre Russland immer noch besser als Nordkorea, weil dort gibt es gar nichts!“
Schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gab es kaum einflussreiche unabhängige Medien in Russland. In den vergangenen Wochen wurden zehn weitere kritische Sender von der Behörde blockiert. Einer davon der Radiosender Echo Moskwy, der seit über 30 Jahren, seit der Perestroika, berichtete. „Das waren die letzten unabhängigen Medien. Ich weiß nicht, was sonst noch überleben wird“, äußert sich ein Exil-Russe pessimistisch gegenüber krone.at. Wer in Russland jetzt den Fernseher aufdreht, bekommt nur die zensierten Nachrichten der Staatsmedien mit. „Viele glauben das, was die Staatsmedien erzählen. Ihnen wird eine Gehirnwäsche verpasst“, erzählt er. „Man hat das Gefühl, dass man es mit programmierten Robotern zu tun hat, den Menschen wird die Propaganda richtiggehend eingetrichtert“, sagt eine Frau.
„Haben wirklich Angst“
Wer Dinge beim Namen nennt, dem droht eine Haftstrafe: Das Anfang März erlassene Gesetz gegen „Fake News“ verbietet es, von „Krieg“ anstatt von einer „Spezialoperation“ zu sprechen oder darüber zu berichten. Wer es doch tut, kann zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Eine Frau erzählt von befreundeten Journalisten, die zu Anfang der russischen Invasion von „Putins Krieg“ schrieben. „Seit dieses Gesetz verabschiedet wurde, sind sie verstummt und schreiben nicht mehr über den Krieg. Sie haben wirklich Angst“, sagt sie. Viele haben auch aufgehört, ihre Meinung in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen, seit das Gesetz gilt.
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Laut Verfassung sind Demonstrationen in Russland grundsätzlich erlaubt, Zusatzgesetze machen inzwischen aber jeden Protest illegal. Die russische Polizei geht immer härter vor. Schon wer nur „Nein zum Krieg“ ruft, wird von Beamten ergriffen. Bei Demonstrationen wurden Alte und sogar Kinder mit Anti-Kriegs-Plakaten vorübergehend festgenommen. „Es sind auch Leute mit leeren Plakaten ohne Text demonstrieren gegangen. Auch sie wurden festgenommen, weil sie auch damit versucht haben, etwas zu sagen“, erzählt ein Russe. Es kursiert ein Gerücht, dass Protestteilnehmer bald durch ein Gesetz zum Einsatz bei der „Spezialoperation“ in der Ukraine gezwungen werden.
„Wir brauchen keinen Krampus“
Im Gespräch wirken die Interviewpartner emotional und bedrückt, der schwarze Humor bleibt ihnen aber erhalten. Österreicher erzählten ihnen vom Brauch der Krampusläufe, die manchmal durchaus brutal werden können. Die Reaktion eines Russen: „Wir brauchen keinen Krampus, wir haben unsere Polizisten in Russland. Die sind auch alle schwarz gekleidet, verbreiten Angst und versuchen dich zu schlagen.“
Die westlichen Sanktionen treffen nicht nur die Regierungsclique und Oligarchen: Visa und Mastercard haben ihren Betrieb eingestellt, auch Russen, die aus dem Land flüchten, können ihre Kreditkarten nicht mehr verwenden. Jenen, die nach Österreich gekommen sind, geht es vergleichsweise gut. Nach Russland wollen sie nicht mehr zurück. Viele Österreicher würden verstehen, dass normale Russen unter der aggressiven Politik Putins und den Sanktionen leiden, und sind bereit zu helfen. Dennoch gibt es Angst vor Übergriffen: Manche trauen sich gar nicht zu sagen, dass sie aus Russland sind, oder ändern sogar ihren Namen.
„Krieg zwischen zwei Systemen“
Wer die wirklich Leidtragenden des Krieges sind, bleibt aber klar: „Es ist überhaupt nicht möglich, das Leid der Russen mit dem der Ukrainer zu vergleichen“, betont ein Exil-Russe. Der Krieg Putins gegen die Ukraine sei eine „Tragödie innerhalb einer großen Gesellschaft“. Denn zwischen der Ukraine und Russland gebe es viele familiäre Beziehungen, viele Ukrainer leben in Russland und umgekehrt. „Es ist wie Krieg zwischen Brüdern - und ein Krieg zwischen zwei Systemen“: Putins autoritärer Staat gegen europäische Demokratie.
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