Kinderlähmung
WHO-Experte: Polio-Ausbruch im Westen der Ukraine
Der gebürtige Steirer Gerald Rockenschaub ist seit Anfang des Jahres Europa-Direktor für gesundheitliche Notlagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bis Sonntag war er in der Ukraine vor Ort - die Situation ist schwierig, es gab sogar einmal mehr einen Ausbruch der Kinderlähmung.
„Krone“: Herr Doktor Rockenschaub, Sie waren bis Sonntag in der Ukraine vor Ort. Wie war die Situation?
Gerald Rockenschaub: Eigentlich haben wir ein Büro mit etwa 100 Mitarbeitern in Kiew. Der Großteil der Leute musste in den Westen oder ins Ausland evakuiert werden. In Lemberg haben wir jetzt einen temporären Stützpunkt eingerichtet und bringen mit gepanzerten Fahrzeugen Leute rein.
Welche Aufgaben haben Sie dort?
Unsere logistische Basis ist dort in einer Lagerhalle aufgebaut. Wir bringen vor allem nötige Medikamente für chronisch kranke Menschen rein, wir können in Kiew 15.000 Menschen für drei Monate versorgen. Außerdem haben wir tonnenweise chirurgisches Verbrauchsmaterial gebracht. In Mariupol, wo die Lage ja besonders bedrohlich ist, konnten wir bis jetzt gar nichts reinbringen.
Welche Rolle spielt Corona gerade? Nicht einmal 40 Prozent sind geimpft, fast niemand hat den dritten Stich.
Das ist ein großes Problem. Noch dazu sind Infektionskrankheiten auf der Flucht immer eine Gefahr. Wir haben Beatmungsgeräte und Corona-Schutzkleidung nach Kiew gebracht. Im Westen hat es außerdem einen neuen Ausbruch von Kinderlähmung gegeben.
Fakten
Die Ukraine kämpft seit Jahren immer wieder mit Ausbrüchen des Polio-Virus. In Europa gilt die Krankheit eigentlich als ausgerottet - denn es gibt eine effektive Impfung für Kinder. Zur Impfrate in der Ukraine gibt es verschiedene Zahlen - sie reichen von etwa 50 bis 80 Prozent. Laut der WHO bräuchte es aber eine Rate von 95 Prozent, damit die Krankheit eingedämmt wird. Erst Ende 2021 startete die ukrainische Regierung wieder eine Offensive, um die Impfrate zu erhöhen. Polio kann zu Lähmungen - daher die deutsche Bezeichnung Kinderlähmung - und Tod führen, aber auch symptomlos verlaufen.
Sind Sie auch mit Kriegsverletzten konfrontiert?
Wir unterstützen die lokalen Krankenhäuser, indem wir die Chirurgen schon vorher für diese Verletzungen trainieren. Jetzt bringen wir ihnen die nötigen Instrumente. Außerdem haben wir internationale Notfall-Medizin-Teams in Lemberg, die die lokalen Einrichtungen unterstützen.
Die WHO ist schon seit Jahren in der Ostukraine tätig. Waren Sie darauf vorbereitet, dass der Konflikt so eskaliert?
Ich war vor einem Monat noch in Kiew, um zu schauen, was wir dort im Fall der Fälle brauchen. Wir waren also vorbereitet - aber dass es so schnell geht und diese Dimension erreicht, das hätten wir uns nicht gedacht.
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