Mit dem Krieg in der Ukraine werden auf dem Balkan alte Ängste wach. Gleichzeitig ist Putins Angriff aber auch ein Weckruf für die EU, sich mehr um jene Staaten, die Europa seit vielen Jahren hinhält, zu kümmern und diese an den Westen zu binden. Denn der russische Despot im Kreml will auch in Serbien, Bosnien-Herzegowina und den umliegenden Ländern zündeln und destabilisieren.
Leere Versprechen und eine Hinhaltetaktik - das waren jahrelang die Hauptzutaten der EU-Politik am Westbalkan. Das rächt sich nun. Denn während die Staaten in Südosteuropa in der ewigen Warteschleife festhängen (Nordmazedonien ist seit 2005 Beitrittskandidat, Montenegro seit 2010, Serbien seit 2012, Bosnien-Herzegowina ist nicht einmal das, und Kosovo wird sogar noch die Visafreiheit vorenthalten), versucht China, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu schaffen - und Russland will seinen Einfluss vergrößern und die Region destabilisieren.
Ukraine-Krieg könnte auf Balkan überschwappen
Experten warnen nun davor, dass der Krieg in der Ukraine auf den Westbalkan überschwappen und die Region zu einem weiteren Konfliktherd machen könnte. Die EU dürfe den Balkan nicht Russland überlassen, betont daher Nehammer bei seiner Reise nach Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Er ist der erste Regierungschef, der den Westbalkan besucht, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Es brauche sichtbare Zeichen, Österreich wolle ein Brückenbauer sein, so der Kanzler.
Immer wieder prorussische Demos in Serbien
Dass dies jedoch nicht so einfach ist, zeigt sich schon bei der ersten Station der Reise, in Belgrad. Immer wieder kommt es in Serbien zu prorussischen Demonstrationen, die staatliche Fluglinie Air Serbia baute nach Kriegsbeginn ihre Flüge nach Moskau aus (nachdem der Druck zu groß geworden war, wurden die Verbindungen wieder reduziert), Serbien beteiligt sich nicht an den Sanktionen gegen Russland.
Man pflege gute Beziehungen mit Russland, macht Premierministerin Ana Brnabic auch nach dem Gespräch mit Nehammer klar, die beiden Länder verbinde die Kultur, die Religion, die Tradition und auch die Energie. Serbien habe der UN-Resolution gegen Russland zugestimmt, aber Sanktionen sehe man nicht als Lösung des Konflikts, so Brnabic. Nehammer zeigte Verständnis für die Position Serbiens, mehr sei für das Land, das selbst unter Sanktionen gelitten hatte, eben nicht machbar.
Hass auf NATO verbindet
Was Serbien und Russland auch noch verbindet, ist der Hass auf das Militärbündnis NATO. Kaum ein Gespräch, das man derzeit hier zum Krieg in der Ukraine führt, bei dem nicht erwähnt wird, dass Serbien während des Jugoslawien-Krieges 1999 von der NATO bombardiert wurde. Auch Brnabic lässt den Verweis darauf beim Besuch aus Österreich nicht aus.
Bei einem einstündigen Vieraugengespräch Nehammers mit Serbiens Präsident Aleksandar Vucic - dieser kennt Putin besonders gut, hat ihn bereits 19-mal getroffen - ging es vor allem um Wege aus dem Konflikt. Beide zeigten sich beunruhigt, Vucic will eine weitere Eskalation nicht ausschließen.
Auch in Bosnien wird gezündelt
Einfacher wird es auch in Bosnien-Herzegowina, der zweiten Station Nehammers, nicht. Dort wird im Herbst gewählt, und der serbische Nationalist Milorad Dodik zündelt - mit Putins Hilfe. Er will die staatlichen Strukturen zerstören und den Landesteil Republika Srpska abspalten. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock fand dafür deutliche Worte: Man werde „denen Einhalt gebieten, die den Frieden aus selbstsüchtigen Motiven aufs Spiel setzen“. Ob das reichen wird?
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