Auslieferung erfolgt
Mladic in Den Haag: Anklage-Verlesung vor dem Tribunal
Mladic muss in Den Haag jetzt innerhalb von 48 Stunden erstmals vor dem Richter des UNO-Tribunals erscheinen. Dann wird ihm die Anklage verlesen, anschließend muss er sich für schuldig oder unschuldig bekennen. Wenige Stunden vor der Auslieferung hatte ein Gericht in Belgrad einen Einspruch der Verteidigung gegen die Überstellung nach Den Haag abgelehnt. Justizministerin Snezana Malovic unterzeichnete daraufhin die Auslieferungspapiere.
Der ehemalige Oberkommandant der bosnischen Serben im Bürgerkrieg (1992 - 1995) ist des Völkermordes angeklagt. Er muss sich für die schwersten nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa begangenen Kriegsverbrechen verantworten. Unter anderem geht es um die Ermordung von 7.800 muslimischen Männern und Jugendlichen im ostbosnischen Srebrenica im Juli 1995, um Grausamkeiten in Gefangenenlagern, sogenannte ethnische Säuberungen und den jahrelangen Beschuss von Sarajevo mit schweren Waffen, wobei Tausende Menschen getötet wurden. Insgesamt waren im Bosnien-Krieg aufseiten der Muslime, Kroaten aber auch der Serben insgesamt zumindest 100.000 namentlich benannte Menschen ums Leben gekommen. Mladic war am vergangenen Donnerstag nach fast 16-jähriger Flucht verhaftet worden.
Vor seinem Abflug aus Belgrad hatte die Polizei aus Sicherheitsgründen ein Verwirrspiel organisiert. Insgesamt drei Kolonnen mit Polizei-Jeeps hatten im Abstand von einer Stunde das Gericht in Belgrad verlassen, in dem Mladic seit seiner Verhaftung in einer Zelle saß. Die Autobahn von der Innenstadt in Richtung Flughafen wurde von der Polizei blockiert.
Zusammenlegung mit Karadzic-Prozess "nicht wahrscheinlich"
Die immer wieder ins Spiel gebrachte Zusammenlegung des Verfahrens von Mladic mit dem Prozess von Radovan Karadzic sei "nicht wahrscheinlich", kündigte der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, in einem Interview mit der Belgrader Zeitung "Novosti" an. Zwar seien viele Anklagepunkte gegen beide Männer identisch, allerdings laufe das Verfahren gegen den ehemaligen politischen Führer der bosnischen Serben im Bürgerkrieg schon seit eineinhalb Jahren.
Der Prozessauftakt gegen Mladic hänge davon ab, wie viel Zeit dieser zur Vorbereitung seiner Verteidigung benötige. Die Verteidigung habe ihr Beweismaterial schon längst zusammengetragen, weil "wir das schon oft in anderen Prozessen genutzt haben", sagte der Ankläger weiter.
Ashton: "Bedeutender Moment"
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton begrüßte die Überstellung Mladics an das UNO-Kriegsverbrechertribunal. Dies sei ein "bedeutender Moment" für die Versöhnung in den Balkanländern und die internationale Justiz, erklärte Ashton am Dienstagabend in Brüssel. Der Prozess gegen den früheren bosnisch-serbischen Armeechef vor dem UNO-Tribunal werde dazu beitragen, die Wahrheit aufzudecken, und für Gerechtigkeit sorgen, und damit eine "Verpflichtung" gegenüber den Opfern und ihren Familien erfüllen.
Ähnlich äußerte sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. "Es ist ein starkes Signal für die gewachsene Kraft des internationalen Rechts, dass sich dieser mutmaßliche Kriegsverbrecher jetzt vor Gericht verantworten muss", sagte er am Mittwochmorgen. Es sei eine "wenn auch späte Genugtuung für die Opfer der Untaten, die Mladic zu verantworten hat".
"Serbien hat seine moralische Verpflichtung erfüllt"
Die serbische Justizministerin Snezana Malovic hatte zuvor bestätigt, dass sich durch ihre Unterschrift die Gerichtsentscheidung über die Überstellung von Mladic an das UNO-Tribunal bestätigt habe. Der pensionierte General sei auf Basis der Tribunalsanklage und des Haftbefehls überstellt worden, sagte sie. Ihm würden schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerste Verletzungen des internationalen humanitären Rechts zur Last gelegt.
"Serbien hat mit der Auslieferung von Mladic an das Haager Tribunal seine internationale und moralische Verpflichtung erfüllt. Wir haben gezeigt, dass wir Menschen sind, die Wort halten. Dass Mladic vor das Gericht gestellt wird, ist eine Genugtuung für die Opfer und ihre Familien, unsere Tat stellt auch einen Akt dar, der zur Versöhnung in der Region beiträgt", so die serbische Justizministerin.
Serbien sei kein Unterschlupf für Kriegsverbrecher
Zahlreiche Sicherheitsexperten behaupten allerdings, die Regierung habe immer gewusst, wo sich Mladic bei seiner 16-jährigen Flucht aufgehalten habe, Staatspräsident Boris Tadic hatte das als "Blödsinn" bezeichnet. Die Behörden hätten den Angeklagten sofort verhaftet, nachdem sie sein Versteck bei der Stadt Zrenjanin nördlich von Belgrad entdeckt hätten.
Justizministerin Malovic kündigte daher auch Ermittlungen über das Netz von Fluchthelfern Mladics an. Serbien werde kein Unterschlupf für Kriegsverbrecher, auch nicht für organisierte kriminelle Gruppen, versicherte die Ministerin. "Wir werden im Interesse der Bürger Serbiens, im Interesse unserer Kinder weiter arbeiten", sagte sie.
Mladic durfte Grab seiner Tochter besuchen
Zuvor hatten die Belgrader Behörden, die bereits mehrere Wünsche Mladics wie etwa nach Erdbeeren und einem Fernsehgerät in der Gefängniszelle erfüllten (siehe Story in der Infobox "Ratko Mladic: Kriegsverbrecher mit Starallüren"), ein weiteres Anliegen des Angeklagten umgesetzt. Kurz nach 6 Uhr konnte er das Grab seiner Tochter Ana auf einem Belgrader Friedhof besuchen. Die Medizinstudentin hatte sich 1994 das Leben genommen. Mladic legte Medienberichten zufolge Blumen nieder. "Ihr habt Wort gehalten", soll der Ex-General nach der Rückkehr dem Justizpersonal gegenüber erklärt haben.
Tausende feierten Mladic als Held
Mehrere tausend bosnische Serben haben sich am Dienstag zu einer Protestkundgebung gegen die Festnahme Mladics in Banja Luka, dem Verwaltungszentrum der Serbischen Republik, eingefunden. Ihr einstiger Militärchef sei ein Held und kein Kriegsverbrecher, hieß es. Die bosnisch-serbischen Behörden wurden aufgefordert, die Verteidigungskosten für Mladic zu übernehmen.
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