Auf einer Deponie im steirischen Pernegg lagern Tonnen an hochgefährlichem Tunnel-Aushubmaterial. Das Gelände wurde zur Sperrzone. Gutachter sprechen von akuter Gefahr. Wurde beim Bau der S 35 gepfuscht?
Trügerische Idylle: Die Frauenkirche und Schloss Pernegg bilden eine nahezu malerische Kulisse für viele Spaziergänger, die auf der darunter liegenden Wiese die frische Luft genießen. Doch eigentlich dürften Menschen, die wir auch beim „Krone“-Lokalaugenschein antrafen, diese Grasfläche gar nicht mehr betreten. Laut Bescheid des Landes vom 12. August des Vorjahrs müsste nämlich ein zwei Meter hoher Zaun das Grundstück umgeben.
Auf der mittlerweile stillgelegten Tieber-Deponie wurden bei Probeschürfungen offenbar derart hohe Gefahrenwerte ermittelt, dass die Behörde das Gebiet zur Sperrzone erklärte. Weiters wurde die sogenannte Nachsorgedauer auf zumindest 30 Jahre festgesetzt und die gesamte Nutzung der Deponiefläche dauerhaft untersagt.
Bis sich das Land aber zu diesem drastischen Schritt entschloss, floss viel Wasser die nur wenige Meter entfernte Mur hinunter. Der „Krone“ liegen umfangreiche Dokumente vor, die den Schluss nahelegen, dass beim Bau des im Jahr 2010 eröffneten S-35-Abschnitts Fragen zum Thema Umweltschutz völlig ignoriert wurden. Unabhängige Gutachten belegen, dass der erlaubte Asbest-Grenzwert einer Bodenaushubdeponie hier um das bis zu 500-Fache überschritten wurde. Ebenso soll das deponierte Material weit über das rechtlich erlaubte Maß hinausgehend Schwermetalle beinhalten, insbesondere Chrom und Nickel.
Ping-Pong-Spiel von Asfinag und Abteilung 13?
Im Zentrum dieser Affäre stehen der österreichische Autobahnbetreiber Asfinag und das Amt der steirischen Landesregierung und dessen Abteilung 13, die auch in der von der „Krone“ aufgedeckten Affäre um dubios abgelaufene Umweltverträglichkeitsprüfungen im Visier der Ermittler steht.
Der Asbest-Fall im Detail: Am 15. Dezember 2006 startete der Tunnelvortrieb für den etwas mehr als zwei Kilometer langen Kirchdorftunnel. Laut Protokollen der Asfinag stieß man bereits am 14. Februar 2007 auf erste freigelegte Asbest-Fasern. Für Fachleute keine große Überraschung, denn schon Jahre davor, bei den ersten Standortuntersuchungen, wurde festgestellt, dass im Berg asbesthaltiges Gestein enthalten ist. Und doch war die Aufregung groß. Arbeiter weigerten sich aus gesundheitlichen Gründen weiterzugraben, Geologen wollten nicht mehr die Verantwortung übernehmen. Folge: Der Vortrieb wurde für neun Monate eingestellt und erst nach großen Sicherheitsanstrengungen fortgesetzt.
Die große Frage, welche die Verantwortlichen aber weiter beschäftigte: Wohin mit dem asbesthaltigen Bauschutt? Die Meinung von zu Rate gezogenen Experten wie einem Professor der Montanuniversität Leoben war klar: „Eine angedachte Ablagerung in einem Schotterteich unter der Grundwasseroberfläche (Anmerkung: eben in der eingangs erwähnten Deponie) ist definitiv nicht möglich und wäre strafbar.“ Nun waren kreative Lösungen gefragt: Denn auch beim Land war man zunächst der Meinung, dass eine Entsorgung auf der Tieber-Deponie nicht möglich ist. „Die Ablagerung dieses Materials ist auf einer Bodenaushubdeponie gemäß Deponieverordnung nicht zulässig“, hieß es aus der Abteilung 13 am 9. März 2007.
Kehrtwende beim Land
Am 5. Oktober 2007 dann die Kehrtwende: Per Bescheid wurde der Asfinag der Betrieb einer Bodenaushubdeponie genehmigt. Laut Gutachten des von der Asfinag beauftragten Geologen wurden keine Asbest-Fasern nachgewiesen - dazu seien bei der Bildung des arithmetischen Mittels der Analysewerte (Chrom, Nickel, Kobalt) für die gesamte Länge des Tunnels keine Überschreitungen der Grenzwerte festgestellt worden. Laut Fachleuten ein verbotenes Rechenspiel - da der asbesthaltige Serpentinit nur in den ersten gut 500 Tunnelmetern vorkommt und der Mittelwert nur daraus errechnet werden dürfte.
Trotz dieser und vorangegangen Expertisen gab man sich beim Land Steiermark mit den Ausführungen der Asfinag aber offenbar zufrieden. Und so war die Deponie bis zu ihrer Stilllegung per Bescheid vom 18. Dezember 2012 in Betrieb.
Erst im Februar 2019 kam wieder Bewegung in die Sache, als einem Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Bruck-Mürzzuschlag in einem Bericht des Verkehrsministeriums zur Nachkontrolle des S-35-Baus auffiel, dass abfallrechtliche Bescheide im Zusammenhang mit der Deponie nicht berücksichtigt wurden. Was die steirische Umweltanwältin Ute Pöllinger auf den Plan rief.
Gutachten attestiert Umweltgefährdung
Sie schrieb an das Ministerium - beigelegt ein Gutachten, das die Grenzwertüberschreitungen bei der Tieber-Deponie belegt. Erstellt wurde dieses Gutachten in ihrem Auftrag von Christian Scholler, beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger. Der Experte schreibt darin etwa von „unkontrolliert im Grundwasser abgelagerten Tunnel-Ausbruchmaterial“ oder von einer „potenziellen und aktuellen Gefährdung für Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden und Grundwasser“, die von der Deponie ausgeht. Dazu seien aus seiner Sicht die Genehmigungsverfahren, der Betrieb, die Kontrolle und zuletzt das Schließungsverfahren auf sehr unübliche Art und Weise durchgeführt worden.
Aufgrund dieses Gutachten veranlasste die Behörde dann doch Probeschürfungen auf dem Gelände der Deponie. Die Ergebnisse waren derart alarmierend, dass sich das Land zum eingangs erwähnten Bescheid gezwungen sah. Dass von den darin aufgetragenen Maßnahmen noch nichts zu sehen ist, liegt daran, dass sowohl die Asfinag als auch das Bauunternehmen Tieber als Grundstückseigentümer Beschwerde einlegten. „Der Akt wird aktuell bearbeitet - aller Voraussicht wird es zu einer mündlichen Verhandlung kommen“, heißt es dazu auf „Krone“-Anfrage vom Landesverwaltungsgericht.
„Gestein ist ident mit jenem, das in dieser Gegend in der Natur vorkommt“
Beim Autobahnbetreiber Asfinag kann man die Aufregung nicht verstehen: „Es handelt sich bei dem auf der Deponie Tieber abgelagerten Material um nichts anderes als um das Tunnel-Ausbruchsmaterial des benachbarten Berges. Das heißt, das Gestein ist ident mit jenem, das in dieser Gegend in der Natur vorkommt“, teilte ein Unternehmenssprecher mit.
Die zuständige Umweltlandesrätin Ursula Lackner (SPÖ) gab keine Stellungnahme ab, der Fall sei „ein reines Behördenverfahren“. Aus der Abteilung 13 wurde mitgeteilt, dass die Deponie behördlich laufend kontrolliert wurde: „Aufgrund der bekannten erhöhten Gehalte an asbestführenden Fasern wurden auch für die Dauer der Deponierung laufend Fasermessungen in der Luft durchgeführt und durch die Behörde überwacht.“ Die Ausführungen der Asfinag wurden durch die Behörde unter Beiziehung von Amtssachverständigen geprüft, und diese seien nachvollziehbar gewesen.
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