Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Die Tage werden länger und die Temperaturen steigen. Das ist auch im oft so mieselsüchtigen Wien ein gutes Indiz dafür, dass sich die Alltagslaunen deutlich verbessern. Ich kann den Fahrer meines bestellten Ubers gar nicht ordentlich grüßen, weil sich sofort ein Schwall von Freundlichkeit über mich ergießt. Er heißt Baran, trägt eine löchrige Jeans, sportliche Sneakers, einen Kapuzenpulli und ein schief abgewinkeltes Baseball-Cap. Seine leuchtenden Augen verraten keinesfalls das Alter, das ich im Laufe der Fahrt erfrage: 37. Doch hinter diesen schnöden Zahlen verbirgt sich ein juveniler Schelm, der den Schalk im Nacken sitzen hat und keine Pointe auslässt. Hinter dem vordergründigen Spaß verbirgt sich aber auch eine kräftige Dosis Reflektion.
Baran stammt aus der iranischen Hauptstadt Teheran und fährt gerade Doppelschichten. Anders kommt er mit seiner Familie nicht über die Runden. Vor allem nicht dann, wenn man sich neben dem simplen Überleben auch etwas mehr gönnen möchte. „Meine Frau und meine zwei Kinder sind derzeit im Iran auf Urlaub“, erzählt er mir mit etwas Wehmut, „alle zusammen können wir nicht hinfahren, dafür reicht das Geld nicht.“ Allein der Flug koste pro Person rund 600 Euro. Seine Frau arbeitet in einem Halbtagesjob, ansonsten könnten sie sich die jährlichen Heimatbesuche abschminken. „Ich muss momentan eine Maschine sein“, lacht er, „viel Schlaf bleibt da nicht übrig, ansonsten würden die Einkünfte nicht reichen.“
Vor der Geburt seiner heute drei- und sechsjährigen Kinder war Baran vorwiegend nachts unterwegs. Mehr Fahrten, weniger Verkehr, höhere Trinkgelder. Mit der Gegenwart lässt sich diese Phase seines Lebens aus mehreren Gründen nicht mehr vergleichen. „Die Leute sind irgendwie reifer und erwachsener geworden“, sinniert er über seine Fahrgäste, „ich habe das Gefühl, sie trinken weniger und sind verantwortungsvoller. Vielleicht liegt das an der Pandemie, ich weiß es nicht. Es fällt mir jedenfalls ständig auf.“ Der noch wichtigere Grund, warum das Nachtfahren für Baran heute angenehmer ist? „Die Leute haben viel mehr Respekt und das liegt hauptsächlich daran, dass ich heute Uber fahre.“
Das Uber wird mit der App bestellt. Man bezahlt seinen Fixpreis für die angegebene Fahrtstrecke und Fahrer als auch Fahrgast haben gegenseitigen Zugriff auf Namen und Daten. „Die Leute kommen dadurch seltener auf blöde Ideen. Früher wurde ich in der Nacht bei Lokalen oder irgendwo am Straßenrand herangewunken und dann gab es viele ungute Situationen. Das passiert nicht mehr. Alle Fahrgäste wissen, dass ich mich in der Uber-Zentrale beschweren kann. Sie haben ein Konto in der App und sind nicht anonym. Dadurch verhalten sie sich besser.“ Und wenn doch einmal einer über die Stränge schlägt? „Wenn ich schon beim Ranfahren merke, dass der Gast völlig besoffen ist, dann nehme ich in gar nicht mit. Muss ich ja auch nicht.“
Auf seine geliebte Heimat Iran muss Baran noch etwas warten. Frühestens Anfang 2023 plant er wieder einen Besuch, so es die finanzielle Lage zulässt. Seine Familie lebt dort und er plant fix, irgendwann wieder einmal dorthin zu ziehen. „Wenn ich jetzt hinfliege, bin ich maximal vier Wochen dort. Länger halte ich es bei meiner Mutter nicht aus“, lacht er wieder laut auf, „und eine eigene Wohnung macht keinen Sinn.“ Auch wenn er Wien liebt, bleibt der Iran seine Heimat. „Teheran ist eine wunderschöne Stadt, aber die Arbeitslage dort ist schwierig. Die meisten Iraner sind Wirtschaftsflüchtlinge, weil es einfach keine Jobs gibt. Wenn ich einmal die Pension antrete, dann will ich aber wieder hin.“ Die Kinder sind dann längst erwachsen und werden selbst über ihre Zukunft entscheiden. In der Schule reüssieren sie angeblich überdurchschnittlich. „Den Fleiß haben sie schließlich von mir“, lacht er wieder schelmisch. Die gute Laune kann ihm wahrlich nichts verderben.
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