Interview & Live-Gigs

Doppelfinger: Freuden und Leiden der Diaspora

Wien
03.04.2022 10:00

Mit „By Design“ legt der 24-jährige Waldviertler Clemens Bäre aka Doppelfinger ein akustisches Singer/Songwriter-Debütalbum voll zarter Melodien, persönlicher Unsicherheiten und selbstreferentieller Botschaften vor. Im großen „Krone“-Talk spricht der sympathische Musiker über seine Vergangenheit, die Bedeutung Bob Dylans und warum Musik die höchste Form der Kommunikation ist.

Ende Jänner waren Konzerte noch eine absolute Seltenheit. Umso glücklicher waren jene, die sich zu den famosen Oehl im Wiener Konzerthaus eingefunden haben und bei überpünktlichem Erscheinen einen magisch-ruhigen Auftritt eines bislang unbekannten jungen Herren beiwohnen durften. Der 24-jährige Clemens Bäre aka Doppelfinger (was, um das gleich einmal vorweg zu nehmen, einem angeborenen Doppelfinger geschuldet ist) übte sich in bedächtiger Ruhe an seiner Gitarre und verzauberte mit reduzierter Melancholie. Es ist kein Wunder, dass der gebürtige Waldviertler (Rastenfeld) ein Kindergartenfreund von Oska ist und auch in ihrer Band spielt. Aus dem Kältepol Niederösterreichs schießen die Singer/Songwriter-Talente scheinbar wie Schwammerl aus dem Boden. „Als Sechsjähriger zog ich nach Kirchschlag bei Linz und vor drei Jahren kam ich nach Wien“, erzählt er uns im Interview.

Lebensveränderung
In der faden oberösterreichischen Diaspora findet Doppelfinger früh zur Musik. „Wie fast jedes andere Kind am Land habe ich mit Blockflöte angefangen und dann die Posaune erlernt. Von dort ging es weiter zur Gitarre.“ Der Herr Papa ist selbst Musiker und gibt gerne mal ungefragt ein Ständchen zum Besten. Er verehrt Bruce Springsteen über alles. Die Mama orientiert sich lieber an der Klassik, doch beiden Eltern eint, dass sie Musik nicht für eine Karriere, sondern nur für sich und ihren Umkreis kreierten. Das Fantum des Vaters schlägt sich auf den zwölfjährigen Clemens nieder, als er Bob Dylans „Essential“ bekommt. Das Leben war fortan nicht mehr dasselbe. „Ich habe mir CDs gebrannt, YouTube-Songs auf den mp3-Player geladen und mir eine digitale Musikbibliothek aufgebaut. Im Schulbus zu sitzen und Musik zu hören war der perfekte Zufluchtsort. Wenn die Batterien leer waren, war der Tag gelaufen. Das hatte fast schon etwas Religiöses.“

Bäre war in der Schule kein klassischer Außenseiter, aber das Grundkonzept der Bildungseinrichtung hat er nie so ganz verstanden. Warum auch Latein lernen, wenn man sowieso weiß, dass man einmal Musiker wird? „Es war eine Mischung aus Sturheit und Naivität“, lacht er rückblickend, „das war natürlich ein bisschen dumm, aber ich war mir sehr sicher.“ Dylan wird in dieser Zeit zu seiner Religion. „Mich interessierten und faszinierten seine Spontanität und die unsympathische Attitüde. Dylan wurde früher gehasst, als er es wagte, die E-Gitarre in die Hand zu nehmen. So ging es mir auch, ich mochte zuerst nur den akustischen Dylan.“ Dazu kam die klassisch adoleszente Haltung, Künstler für sich alleine zu reklamieren. „Mir hat es natürlich gefallen, dass ihn niemand in meinem Umfeld hörte. Ich habe mich später in meinem Leben auch nie wieder so stark mit einem Künstler auseinandergesetzt.“

Songs für die eigene Seele
„By Design“, so der Name des brandneuen Debütalbums des jungen Musikers, ist beileibe keine reine Hommage an Dylan, aber der Song „A Place To Go“ ist die eindeutigste Referenz an das große Idol. Und zwar nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich. „Die Botschaft des Songs ist, dass man sich immer an etwas festhalten kann, das einem viel bedeutet, wenn die Zeiten manchmal hart sind. Bei mir war das immer die Musik.“ Das Album ist eine Reise in die persönliche Welt Bäres. Keine reine Zusammenstellung der letzten drei Jahre, in denen das Album entstand, sondern seines ganzen jungen Lebens. Mit seiner Musik wollte Doppelfinger anfangs gar nicht in die Öffentlichkeit. Zu intim und persönlich schienen die Songs und Gedanken. „Ich habe im Keller des Wiener Concerto ein paar Songs gespielt, mich immer öfter auf die Bühne getraut und daraus entstand der Mut. Wenn es die Leute interessiert: schön. Wenn nicht, dann habe ich auch keinem wehgetan.“

Doppelfinger als Künstlername ist nicht nur ein persönlicher Bezug, sondern auch ein Filter. Er gibt Clemens Bäre den Rahmen, seine Kunst freier auszuüben und persönliche Themen mit fiktiven zu vermischen. In der kleinen Wiener Indie-Bubble vernetzt er sich schnell. Die Seilschaften befruchten „By Design“ in allen Bereichen. Oska singt Backing-Vocals ein, Lukas Lauermann taucht als Gastcellist auf, Leyya-Hälfte Sophie Lindinger beteiligt sich am Mixing und Culks Sophie Löw schießt die artifiziellen Fotos, die schon mal in eine kuriose „Slenderman“-Richtung gehen. „Man tritt sich nicht gegenseitig auf die Füße, sondern unterstützt sich. Ich kenne diese Art von Zusammengehörigkeit auch sonst nirgends so. Das ist in Wien ganz besonders und einzigartig.“

Höchste Form der Kommunikation
Es liegt an Doppelfingers Songwriting-Talent, dass diese wesentlich bekannteren Szenenamen ihn nicht überlagern, sondern dem entschlackten Gesamtpaket dienlich sind. In zarten Songpreziosen wie „Trouble“ oder „How To Hide“ kehrt er seine Schüchternheit in den Vordergrund. „Die Songs entstehen aus dem Impuls und rückblickend schreckt es mich manchmal, dass da in Texten Themen vorkommen, die ich nicht einmal mit meinen engsten Menschen bereden würde. Musik ist für mich ein Spiegel der Vergangenheit und gleichermaßen die höchste Form der Kommunikation.“ Besonders offen erscheint ein Song wie „Seasonal Affective Disorder“. „Das kann einerseits eine klassische Winterdepression sein. Andererseits ein Datum, an dem man an etwas Furchtbares aus der Vergangenheit erinnert wird. Man will die Erinnerung loswerden, klammert sich aber gleichzeitig daran, weil auch Schönes dabei mitschwingt.“

Die persönlichen Lieblingssongs Doppelfingers verändern sich natürlich ständig, für „Quite Alright“ und „Fold My Fears“ hat er aber besonders viel Liebe übrig. „Die Songs sind natürlich selbstreferentiell gehalten. Ich beschreibe gerne Lebenssituationen. Etwa, dass man nicht immer nach Dingen suchen muss, sondern dass einen die Dinge finden. So wie bei mir die Musik. Wie gehe ich mit Unsicherheiten um? Bin ich gut genug, oder kann ich die Dinge besser machen? Erfülle ich meine eigenen Erwartungen an mich? Ich denke viel nach und reflektiere die ganze Zeit.“ Selbstliebe und Selbsterkenntnis ergießen sich in akustische, mit sanfter Elektronik durchzogene Kompositionen. „Es ist mir wichtig zu sagen, dass alles okay ist, so wie es ist. Der Albumtitel spielt mit meinem Künstlernamen zusammen. Ich bin nicht perfekt geboren, aber das passt so, denn man sucht es sich nicht aus.“

Alles ist möglich
Auch wenn das Album zeitweise sehr schwer sein kann, überwiegen ein positives Gefühl und das Prinzip Hoffnung zu jeder Zeit. Und neben Dylan gibt es in Doppelfingers Kosmos dann doch auch noch andere Heroen. „In meiner Teenie-Phase bin ich dem Post-Punk verfallen. Ich liebe Joy Division, Adrianne Lenker und Big Thief. Aldous Harding ist fast so etwas wie ein Gott“, lacht der sympathische Musiker, „mir ist es wichtig, mich nicht nur mit Gitarrenmusik zu beschäftigen. Ich finde Aphex Twin genauso geil wie Bob Dylan und gerade als Musiker sollte man sich mit der gesamten Bandbreite auseinandersetzen. Ich werde jetzt in Zukunft wohl keine 32 Bars rappen oder Deathcore machen, aber es ist nicht gesagt, dass es immer so weitergehen wird wie jetzt.“ Das ist noch Zukunftsmusik, jetzt kann man einmal in „By Design“ eintauchen - und dort gibt es wirklich viel zu entdecken.

Österreich-Tour
Im Mai geht Doppelfinger mit seinem famosen Debütalbum „By Design“ auf Tour. Am 19. Mai spielt er in der Bäckerei in Innsbruck, am 20. Mai im Grazer Orpheum Extra, am 21. Mai im Röda in Steyr und am 26. Mai im Wiener B72. Unter www.inkmusic.at finden sich alle Termine, weitere Infos und die Karten für die Konzerte.

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