Hannah Merrick und Craig Whittle haben mit ihrem Debütalbum „I‘m Not Sorry, I Was Just Being Me“ Ende Februar für einen der größten Indie-Hypes des Jahres gesorgt. US-Westküsten-Rock paart sich mit britischem Humor und einer untrüglichen Liebe zur handgemachten Musik und cineastischem Sentiment. Am Samstag spielt das Duo im Wiener Chelsea, davor erklären sie uns im Interview, was ihre Beziehung ausmacht und wieso man so dermaßen der US-Popkultur verfallen ist.
Die Beatles, Echo & The Bunnymen, Frankie Goes To Hollywood, Atomic Kitten oder die Extreme-Metal-Pioniere Carcass - die Musikhistorie der westbritischen Stadt Liverpool sucht ihresgleichen und sorgt seit jeher in unterschiedlichsten Sparten für Furore. Was aber, wenn man aus dem Herzen dieser Kulturmetropole kommt und sich so ganz und gar nicht mit den Klängen der Merseyside auseinandersetzen mag? Das hochgehypte Duo King Hannah kann davon mehr als nur ein Lied singen. Sängerin Hannah Merrick und Instrumentalist und Wohnungskollege Craig Whittle sehnen sich nämlich nicht nach den Fab Four, wiewohl die psychedelischen Seiten der Spät-Beatles nicht ganz aus dem King-Hannah-Kosmos getilgt werden können. Das Debütalbum „I’m Not Sorry, I Was Just Being Me“ fischt ganz woanders. The Doors, Stoner Rock, ein bisschen Lana Del Rey. Die amerikanische Westküste in all ihren stromgitarrenlastigen Ausformungen ist hier state of the art.
Go West
„Wir lieben auch britische Künstlerinnen wie PJ Harvey“, erklärt uns Whittle im gemeinsamen Zoom-Interview, „aber Amerika hat einen wirklich großen Einfluss auf uns, das brauchen wir nicht zu leugnen. Ich bin mit der US-Popkultur aufgewachsen. Die Musik, die Filme und die Bücher. Dieses Land ist so ungreifbar und groß. Es schwingt extrem viel Romantik mit, die uns beide besonders anspricht.“ Der Säulenheilige im Whittle-Camp ist eindeutig Bruce Springsteen. Den „Boss“ mag man nicht sofort aus den King-Hannah-Kompositionen heraushören, doch wenn man sich Zeit nimmt, um den Noir- und Roadmovie-Touch in sich einfließen zu lassen, dann ist Springsteens Geniestrich „Nebraska“ näher als man glauben mag. „Der 60er- und 70er-Sound aus Amerika hat mich aus der kalten Industriestadt Liverpool gebeamt“, erinnert sich Whittle schmunzelnd an die Teenager-Jahre zurück, „Bruce war für mich federführend, aber Hannah fängt nicht ganz so viel mit ihm an.“
Whittle ist für die trockenen Witze zuständig, Hannah Merrick ist dafür ganz klar als Rädelsführerin und wesentlich nachdenklichere Person einzuordnen. „Auch Film-Soundtracks haben für uns einen großen Wert. Wenn du dir unser Album genau anhörst, dann merkst du bei den Übergängen oder den instrumentalen Teilen gut, dass wir uns Anleihen von dort herausgezogen haben.“ Das Zusammenkommen der beiden Lebensmenschen, die dezidiert kein Paar sind, erinnert an ein Märchen. Die gebürtige Waliserin Merrick hatte sich King Hannah als Bandnamen schon fix in den Kopf gesetzt, bevor sie ihren Kumpel überhaupt wahrnahm. Whittle begann 2017 im selben Liverpooler Pub zu arbeiten, in dem sich Merrick Geld für ihr Musikstudium finanzierte. Er verliebte sich sofort in ihre Stimme und ließ solange nicht locker, bis die beiden zu einem künstlerischen Gespann wurden. Ein Glücksfall. Gleichermaßen für Musizierende wie deren Hörer. Und der Bandname begeisterte beide sofort.
Von 0 auf 100
„Craig hat unglaublich viel Geduld. Eine selten gewordene Fähigkeit, der er sich unbedingt bewahren sollte“, lacht Merrick, während Whittle im danebenstehenden Bildschirmkästchen lachen muss, „außerdem ist er ein fantastischer Gitarrist und ein wahnsinnig netter Kerl. Das war mir das Allerwichtigste.“ Whittle kann das Lob nur zurückgeben. „Hannahs Stimme ist unglaublich. Sie ist wie von Magie durchzogen und wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden. Sie kann Menschen mitreißen und ihre Geschichten auf eine einzigartige Art und Weise vermitteln.“ Ihre musikalischen Früherfahrungen und Projekte wurden sofort ad acta gelegt und die mitten im Lockdown 2020 erschienene Debüt-EP „Tell Me Your Mind And I’ll Tell You Mine“ wurde zum Indie-Hit. Von den ersten Proben über einen sanften Geheimtipp bis zum Hype geht es heute schon recht schnell. Davon können King Hannah ein Lied singen.
„Wir geben sowieso immer unser Bestes und können den Erfolg nicht mehr steuern. Ein bisschen Druck ist doch schön und schlaflose Nächte haben wir deshalb nicht“, so Merrick. Whittle pflichtet seiner Kollegin bei: „Den meisten Druck haben wir uns selbst gemacht. Wir wollen natürlich etwas erschaffen, zu dem wir stehen und worauf wir stolz sein können. Da sind die äußeren Einflüsse erst einmal zweitrangig.“ Noch viel stärker als auf der EP kristallisiert sich auf dem Debütalbum eine interessante Mischung raus: den trockenen Wüstensound á la Nevada würzt man nämlich mit typisch britischem Humor und ehrlichen Kindheitserinnerungen. Inhaltlich nimmt sich Merrick kein Blatt vor den Mund und erzählt launig, wie sie als Kind ins Bett gemacht hat („All Being Fine“), sich augenzwinkernd wünschen würde, ein Freund würde an Erdäpfeln ersticken („Big Big Baby“) oder wie ihre geliebte, doch mittlerweile leider verstorbene Großmutter ihre Kindheit prägte („Go-Kart Kid (HELL NO)“). „Das passiert unterbewusst“, lacht Merrick, „zuerst spiele ich auf der Gitarre und murmle irgendwas dazu. Irgendwie komme ich dann auf Themen von früher zurück.“
Flucht aus dem Alltag
Eine bestimmte Agenda verfolgen die beiden weder mit dem Bandnamen, noch mit Album- oder Songtiteln. Merrick geht in den Texten extrem persönlich und offen ans Werk, durch die Doppelbödigkeit und den klar herausgefilterten Humor verkommen die manchmal bewusst trägen und repetitiven Songs aber niemals zu einer peinlichen Vergangenheitsschau. Die Nostalgie begrüßen King Hannah, aber nur in der Musik und nicht beim Inhalt. „Die US-Musik, die wir gerne hören, lässt auch so ein nostalgisches Sentiment mitschwingen“, führt Whittle aus, „man hört sie und fühlt sich plötzlich ganz woanders. Es ist eine Flucht aus dem Alltag. Das versuchen wir umzusetzen und dafür haben wir uns die besten Vorbilder gesucht. Wichtig ist, dass unsere Songs nostalgisch, zeitlos und emotional klingen. Wie auch viele klassische Filme, die man immer wieder gerne sieht.“
Filmische Referenzen gibt es zuhauf. Im Titeltrack gibt es einen Verweis auf Komiker Steve Carrell, der titelgebende „Berenson“ ist eine Figur aus der Hollywood-Serie „Homeland“ und schon auf der EP gab es einen Wink Richtung Bewegtbild. „Bill Tench“ spielte auf die Serie „Mindhunter“ an. „Das ist so ein Nerd-Ding“, lacht Whittle, „wir haben in unseren Köpfen einen ganzen Katalog an potenziellen Seriendarstellern, die wir noch wo einbauen wollen. Es ist eine dämliche, aber witzige Idee, die wir vielleicht weiterziehen werden“. Diese Mischung aus einem ernsthaften Sound und humoristischen Inhalten teilen sie mit ihren Helden wie Kurt Vile, Courtney Barnett oder Bill Callahan. Allesamt Künstlerinnen, denen Selbstironie und Lockerheit nicht fremd sind. Auf Tour hat man, wie auch im Studio, eine volle Band mit. Die Zukunft bestreiten King Hannah aber weiterhin als Duo. „So bleibt die Kreativität ganz bei uns.“ Und davon wird auch zukünftig noch viel zu hören sein.
Live in Wien
‚Am 9. April spielen King Hannah das erste Mal in Österreich. Unter www.ticketmaster.at gibt es Karten und alle weiteren Infos für die Show im Wiener Chelsea. Sollte man keinesfalls verpassen.
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