Nach dem artifiziellen Doppelschlag „mea culpa“ und „Vernissage My Heart“ 2018 und 2019 wagt Österreichs spannendster Pop-Export Bilderbuch nun eine leichte Rückbesinnung auf Leichtigkeit und bekömmlichere Klänge. „Gelb ist das Feld“ ist die Blaupause für ein optimales Frühlingsalbum, auch wenn nicht alle Ideen zünden und eine knappe Stunde Spielzeit am Ende etwas zu viel des Guten ist.
Im Vorfeld gab es keine Interviews und auch keinen Pressetext. Frei nach dem Prinzip „let the music do the talking“ ließen sich die heimischen Pop-Größen Bilderbuch vorab nicht in die Karten schauen. Ob da eine gewisse Arroganz dahintersteckt oder doch auch die Tatsache, dass man sich aufgrund des Krieges in der Ukraine nicht zu sehr mit dem Lebensglücksspender Musik zentrieren wollte, das bleibt offen. Wiewohl natürlich der Auftritt beim „We Stand With Ukraine“-Benefiz-Konzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion ein Statement war - aber auch schon damals ohne genauer erläuternde Wortspenden. Dass Reden Silber und Schweigen Gold ist, kann man von Frontmann Maurice Ernst ansonsten nicht behaupten, denn auf dem siebenten Studioalbum „Gelb ist das Feld“ sind die Lyrics ein zentrales Thema.
In den Winkeln des Unterbewusstseins
Dass man den Terminus Liebe erstmals prominent ins Licht rückt, wie es der Mitbewerb gerne in seinen Rezensionen schreibt, ist, mit Verlaub, Blödsinn. Für das schönste Gefühl der Welt war bei Bilderbuch schon immer reichlich Raum. Natürlich nicht so expressionistisch wie in der italienischen Variante bei den Wiener Kollegen mit der Lederjacke, aber doch markant und wiederkehrend. Dass man die halbe Farbe der ukrainischen Landesflagge in den Albumtitel gepackt hat ist freilich Zufall, beweist aber nur einmal mehr, welch zeitgeistiges Gespür diese Band selbst in den hintersten Winkeln des Unterbewusstseins besitzt. Das Cover-Artwork ist so farbenfroh, intensiv und leichtfüßig wie das Album selbst. Das Überraschungsmoment zieht sich wie ein roter Faden durch das Schaffen von Bilderbuch und wer nach dem 2018/2019-Doppelschlag „mea culpa“ und „Vernissage My Heart“ die endgültige Abkehr ins Artifizielle erwartet hat, wird wieder einmal überrascht.
Das bereits im letzten Jahr ausgekoppelte Single-Doppel „Nahuel Huapi/Daydrinking“ hat die Realitätsflucht in romantisch-damenspitziger Weise angekündigt. Es ist dem großen Pop-Gestus Bilderbuchs zu verdanken, dass man diese Haltung nun auch eine knappe Stunde lang auf Langstrecke durchzieht. Die treue Indie-Fanbase mag ob der luftigen Tracks vielleicht die Nase rümpfen, aber rein Indie sind Bilderbuch ja spätestens seit dem 2015er Top-Erfolg „Maschin“ längst nicht mehr. Damals, als man gemeinsam mit Wanda und Seiler und Speer Österreich wieder so fett auf die Pop-Landkarte setzte wie seit den 80er-Jahren nicht mehr und ganze Heerscharen von Bands zu eigenen kreativen Höchstleistungen animierte, die bis heute knospen und fruchten. Bilderbuch anno 2022 sind längst Mainstream und Indie zugleich. Bombastische Shows vor ausverkauften Arenen paaren sich mit der Liebe zu den Smiths, Echo & The Bunnymen oder gar Bronski Beat. Alles Einflüsse, die mehr oder weniger deutlich auf „Gelb ist das Feld“ zum Vorschein kommen.
Das Kollektiv ist der Star
Schrammelgitarren und harsche Rock-Ausritte kehren vielleicht irgendwann wieder, im gegenwärtigen Kosmos der Oberösterreicher hat das allzu maskuline Ausgrätschen mit der Sechssaitigen nur wenig Raum. Zuweilen geht das natürlich zulasten von Gitarrist Michael Krammer, der sein Instrument einem Maler gleich eher tupfend zur Verfügung stellt, aber auch wenn die Inszenierung der handelnden Personen manchmal anderes vermuten lassen würde, hier geht es am Ende immer um das große Ganze und dafür muss sich auch einmal ein Maurice Ernst opfern. Der kommt in den etwas zu sehr dahinplätschernden Momenten wie bei „La Pampa“ oder dem mindestens zwei Minuten zu weit ausgedehnten Opener „Bergauf“ nicht immer so prominent an die Front wie sonst. „Let the music do the talking“ heißt es nämlich auch hier, wie etwa beim Gitarrensolo des grandiosen „Zwischen deiner und meiner Welt“, wo sich Krammer kurz doch dem mannschaftsdienlichen Rhythmus zu entziehen weiß.
Wer sich nach knapp zwei Dekaden Bilderbuch noch über Stilwechsel wundert, hat die Band ohnehin nicht verstanden. Von den Hip-Hop-Parts, die vor sieben Jahren zum großen Durchbruch führten, ist so gut wie nichts mehr übrig. Künstlerische quertreibende Instrumentierungen wurden zugunsten einer sommerlichen Catchyness geopfert und auch die Stiefel des allmächtigen Prince scheinen vorerst ausreichend ausgelatscht zu sein. Stattdessen: sehr viel New-Wave-Romantik aus den 80er-Jahren, ein Titeltrack, der klanglich an Tourbuddy Roosevelt erinnert und Maurice‘ denglische Texte, die so viel Liebe, Hingabe und Freude ausstrahlen, dass man sich auch nicht daran stört, wenn man in Zeilen wie „meine Welt ist in a shake, wo sind sexy Nächte ohne Break“ an das Wiener Urgestein Moneyboy denken muss, der die Sprachenkreuzung vor mehr als einer Dekade salonfähig machte. Musikalisch flirrt und summt es, als würden die Bienen im Frühling die Blumen bestäuben. Den „Blütenstaub“ gibt es wohl nicht umsonst auch als Song. Pop, Indie, Shoegaze, New Wave, ein bisschen Dandy-Rock - alles darf, nichts muss. Wie ein Befreiungsschlag aus einer Umklammerung, die die Band ohnehin nie zuließ.
Frühlingsschlaf und Damenspitz
„Gelb ist das Feld“ ist ein Trostspender zur richtigen Zeit. Ein Album, das sich wie ein geformtes Popmesser durch die Pandemie-, Klimakrisen- und Kriegsbutter kämpft, um aus dem hässlichen Entlein Realität einen Schwan einer viel besseren Welt zu formen. Die einen sehen darin notwendigen und willkommenen Eskapismus, andere mögen sich am waldorfartigen Dadaismus der Texte stoßen. So frei und ungezwungen wie Bilderbuch auf „Gelb ist das Feld“ musiziert in ganz Österreich aber auch weiterhin keine Band. Mut kann man nicht kaufen, auch wenn man die Spielzeit etwas knackiger hätte halten können und man als Hörer in der Frühlingssonne zwischendurch Gefahr läuft, etwas wegzudösen. Doch wir wissen alle: ein kurzer Frühlingsschlaf ist genauso erfrischend wie ein durch den Tag getragener Damenspitz. Beides wissen auch Bilderbuch zu schätzen. Man kann den Pop halt nicht immer revolutionieren.
Live in Österreich
Zwischen Ende April und Anfang Juli sind Bilderbuch mit „Gelb ist das Feld“ und allen großen Hits der Vergangenheit quer durch ganz Österreich auf Tour. Auf www.bilderbuch-musik.at gibt es noch einmal alle Termine und Kartenkaufmöglichkeiten. Da heißt es aber schnell sein, denn die Tickets für die Open-Air- und auch Indoor-Highlights verkaufen sich aktuell wie die warmen Semmeln.
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