Der Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist mehr als nur außenpolitische Symbolpolitik. Wichtig: der Zeitpunkt - und dass es nicht beim Besuch bleibt.
Auf den ersten Blick sieht es aus wie simple Politik, die mit starken Bildern Emotionen generieren soll. Doch gerade jetzt darf man eben die Wirkung des Besuchs von Nehammer bei Selenskyj nicht unterschätzen.
Es sind wieder Bilder eines westeuropäischen Regierungschefs bei Selenskyj. Bilder, wie sich ein EU-Regierungschef selbst ein Bild von den Gräueln des Angriffskriegs Russlands macht. Das Signal ist klar: „Moskau ist international isoliert, Kiew ist es nicht“, so Osteuropa-Experte Alexander Dubowy.
Gute Verbindungen zu den Klitschko-Brüdern
Die Reise wird in den nächsten Tagen stattfinden. Initiiert wurde sie durch die guten Verbindungen des Kanzlers zum Brüderpaar Vitali und Wladimir Klitschko. Und sie ist auch für Österreichs außenpolitische Orientierung wichtig. „Es ist ein notwendiges Risiko, diese Reise zu machen“, sagt Dubowy. Österreich hat international den Ruf, sehr russlandfreundlich zu sein.
Mit diesem Besuch zeigt Österreich klar seine Unterstützung für die Ukraine und distanziert sich von Moskau. Dahin gehend auch ein wichtiges Detail: der Zeitpunkt. „Es ist wichtig, dass Österreich vor - beispielsweise - Frankreich oder Deutschland nach Kiew reist“, erläutert Dubowy. Während Paris und Berlin sich zieren, ergreift Wien die Initiative.
„Es muss auch sichtbare Unterstützung geben“
Somit entsteht auch nicht der Eindruck eines „Selenskyj-Tourismus“. Nehammer ist nach dem polnischen, dem slowenischen und dem slowakischen der vierte EU-Regierungschef, der das Kriegsgebiet bereist. Aber, so Dubowy, es müsse klar sein, dass es mit der Reise allein nicht getan sein kann. „Parallel muss es auch sichtbare Unterstützung geben.“ Da Österreich keine militärische Unterstützung leisten kann und darf, stellt man stattdessen humanitäre Hilfsleistungen zur Verfügung. Helme, Schutzausrüstung oder finanzielle Unterstützung.
Wie die Reaktion Moskaus sein wird? „Man wird Österreich wieder vorwerfen, die Neutralität zu verletzen“, sagt Dubowy. „Aber das stimmt nicht: Militärisch sind wir neutral, politisch sind wir es nicht.“
„Krone“-Analyse von Peter Filzmaier
Als ein Hauptgrund wird die Besprechung humanitärer Hilfe genannt. Das ist unbestritten sehr wichtig, jedoch nur ein Teil der Geschichte.
Es ist mehr als ein Jahrhundert her, dass wir zur Zeit der Monarchie eine Großmacht waren. Der Kleinstaat Österreich kann kaum Einfluss auf Entwicklungen im internationalen System nehmen. Die Ukraine braucht neben Spenden vor allem politische Unterstützung, die den Angriffskrieg Russlands beendet. Da hilft ein Besuch des Bundeskanzlers aus einem kleinen Land leider sehr wenig bis gar nicht.
Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hätte viele Wünsche, die Karl Nehammer ihm nicht zusagen kann oder will. Neben militärischen Dingen zählen dazu ein Stopp des Kaufs von russischem Erdgas sowie eine Ausweisung zahlreicher Diplomaten Wladimir Putins aus Wien, die offenkundig Propagandisten und Spione statt Verhandler und Vermittler sind.
Apropos verhandeln: Bisher haben Kanzler Nehammer und sein Außenminister Alexander Schallenberg eine Chance konkreter Leistungen für die Ukraine verpasst: Wien hätte sich statt des NATO-Landes Türkei als neutraler Ort für Friedensgespräche angeboten. Ob die Reise nach Kiew dahin gehend etwas bewegt? Eher nein.
Als Symbol macht Nehammers Reisepolitik trotzdem Sinn. Es gab viel zu viele peinliche Bilder österreichischer Politiker mit Putin. Ein Bild Nehammers mit Selenskyj zeigt, dass nach österreichischer Auffassung dieser im Recht und Putin im Unrecht ist. Das ist gut so.
Solche Hochglanzbilder sind freilich dem Bundeskanzler auch innenpolitisch willkommen: Die Bühne in Kiew hat Nehammer ganz ohne Opposition allein für sich. Wenn Nehammer als Kanzler reist, erspart er sich für ein paar Tage Diskussionen über Themen, die ihn als ÖVP-Chef ereilen: zum Beispiel zweifelhafte Geldflüsse seiner Partei in Vorarlberg und anderswo sowie die Kritik an Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
So wird kurioserweise ein echter Kriegsschauplatz nebenbei zur Ablenkung vom parteipolitischen Kleinkrieg in Österreich.
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