Angst vor Offensive

Raketenangriff auf Bahnhof: 50 Flüchtende getötet

Ausland
08.04.2022 16:28

Sie hatten Koffer und Taschen dabei und wollten vor dem erwarteten russischen Großangriff flüchten - nun starben am Freitag bei einem Raketenangriff am Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk nach offiziellen Angaben mindestens 50 Menschen, darunter fünf Kinder. Der Ort befindet sich im ukrainischen Verwaltungsgebiet Donezk. Laut Gouverneur Pawlo Kyrylenko warten Tausende in Kramatorsk auf ihre Evakuierung, Tausende sind bereits geflohen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, die Ukrainer „zynisch zu vernichten“, und bezeichnete den Angriff als „das grenzenlose Böse“. Er sprach von 300 Verletzten.

Laut Eisenbahnchef Olexander Kamischyn schlugen zwei Raketen ein. Ein AFP-Reporter vor Ort sah mindestens 20 Tote in Leichensäcken und unter Plastikplanen. Zuvor hatte er in der Früh Hunderte Menschen gesehen, die auf einen Zug zur Flucht Richtung Westen warteten.

Vor dem Bahnhofsgebäude standen nach dem Angriff ausgebrannte Autos, am Eingang und in der Bahnhofshalle waren Blutlachen und verkohlte Sitzbänke zu sehen. Auf dem Bahnhofsvorplatz lagen die Überreste einer Rakete mit der russischen Aufschrift „Für unsere Kinder“. Der Platz war mit verlassenen Gepäckstücken, Scherben und Splittern übersät.

Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld
Die ukrainische Seite gab russischen Truppen die Schuld. Kyrylenko warf Russland vor, absichtlich auf Zivilisten gezielt zu haben. „Sie wollten so viele friedliche Menschen wie möglich als Geiseln nehmen, sie wollten alles Ukrainische zerstören“, schrieb der Gouverneur im Kurznachrichtendienst Telegram. Ein gelöschtes und wiederhergestelltes Posting dürfte diesen Verdacht bestätigen (siehe unten). Dort wird der Angriff von einem für eine prorussische Plattform schreibenden Journalisten als gelungene Attacke auf eine Gruppe ukrainischer Kämpfer bezeichnet.

Hingegen sprachen die prorussischen Separatisten in der selbst ernannten Volksrepublik Donezk von einem ukrainischen Raketenangriff. Es seien Teile einer Rakete vom Typ „Totschka-U“ zu Boden gefallen. Auch die Separatisten teilten mit, in Kramatorsk sei gerade eine Evakuierung gelaufen, Menschen hätten in Sicherheit gebracht werden sollen. Die Menschen wollten aus Angst vor Angriffen die Stadt verlassen. Auch das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, der bei dem Angriff eingesetzte Raketentyp werde nur von der ukrainischen Armee verwendet.

Flucht vor erwartetem Großangriff
Die ukrainische Führung hatte die Menschen in der Ostukraine zuvor aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen und das Gebiet möglichst Richtung Westen zu verlassen. Russland hatte angekündigt, seine Angriffe auf die Region zu konzentrieren. Zum Zeitpunkt des Einschlags hatten sich laut Bürgermeister Olexander Hontscharenko 4000 Menschen am Bahnhof aufgehalten. Kramatorsk liegt in dem Teil des umkämpften ostukrainischen Gebiets Donezk, der von der Ukraine kontrolliert wird. Prorussische Separatisten erheben Anspruch auf das gesamte Verwaltungsgebiet.

Dutzende Raketenangriffe auf Militärziele
Im Rahmen der jüngsten Angriffe der Luft- und Raketenstreitkräfte seien 81 Militärobjekte beschossen worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Zum Vergleich: Am Donnerstag hatte das Militär den Beschuss von 29 Objekten gemeldet. Unter den getroffenen Zielen seien Kommando- und Stützpunkte der ukrainischen Armee sowie Artilleriegeschütze und Mehrfachraketenwerfer im Donbass.

„Nahe der Ortschaft Staraja Sbrujewka hat die russische Luftabwehr zwei ukrainische Kampfhubschrauber vom Typ Mi-8 und Mi-24 abgeschossen“, sagte er. Zudem habe die russische Flotte ein Sammel- und Ausbildungslager „ausländischer Söldner“ nahe Odessa vernichtet.

Ukraine: Region Sumy „frei von Orks“
Ukrainische Truppen haben unterdessen nach Behördenangaben die Kontrolle über die gesamte Region Sumy an der Grenze zu Russland zurückerobert. „Das Gebiet ist frei von Orks“, erklärte Regionalgouverneur Dmytro Schwyzkyj. Er nutzte dabei ein ukrainisches Schimpfwort für russische Soldaten.

Der Gouverneur warnte geflüchtete Bewohner vor einer raschen Rückkehr: „Die Region ist nicht sicher. Viele Gebiete sind vermint und noch nicht geräumt.“ Die 350 Kilometer östlich von Kiew gelegene Stadt mit ursprünglich 250.000 Einwohnern und die umliegende Region waren wochenlang Schauplatz schwerer Kämpfe.

Ukrainischen Angaben zufolge konzentrieren sich die russischen Truppen weiter auf die Eroberung der südlichen Hafenstadt Mariupol. Zudem legten die russischen Truppen laut Generalstabsbericht ein Hauptaugenmerk auf eine Offensive rund um die von ihnen besetzte Stadt Isjum im Gebiet Charkiw im Osten des Landes. Dort hatte Russland zuletzt nach Angaben aus Kiew Truppen konzentriert, um so in Richtung der Stadt Slowjansk im Donezker Gebiet vorzustoßen. Es gebe weiter russische Luftangriffe und Beschuss durch Raketenwerfer in mehreren Städten in den Gebieten Luhansk und Donezk.

Der Abzug der russischen Truppen aus dem Norden der Ukraine ist nach Erkenntnissen britischer Geheimdienste abgeschlossen. Mindestens ein Teil dieser Kräfte werde wohl zum Kampf in die östliche Region Donbass verlegt, hieß es in einer Mitteilung des britischen Verteidigungsministeriums am Freitag auf Twitter.

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