Vergleiche mit 2015

Flüchtlinge: Expertin warnt vor „Spaltungsdiskurs“

Österreich
10.04.2022 09:06

Die Innsbrucker Bildungswissenschaftlerin Frauke Schacht warnt vor einer „brandgefährlichen“ Unterscheidung zwischen „Geflüchteten erster und zweiter Klasse“. Damit meint die Forscherin den Umstand, wie Geflüchtete in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Politiker differenzieren in ihren Stellungnahmen nämlich zwischen der Flüchtlingswelle 2015 und der aktuellen Situation. Dadurch bediene man aber einen „Spaltungsdiskurs“.

Sie habe „von großem Unmut“ unter Geflüchteten gehört, die sich schon länger im österreichischen Asylverfahren befinden und nicht verstehen, warum Ukrainerinnen und Ukrainern weniger „Steine in den Weg gelegt“ würden, sie weniger „administrative Hürden“ erfahren, so Schacht im Gespräch mit der APA. Der Krieg in der Ukraine legt nach Ansicht der Bildungswissenschaftlerin Rassismen und „festgefahrene Denkmuster“ offen. Und diese würden auch durch hochrangige Politiker wie Kanzler Karl Nehammer oder Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) bedient.

Kanzler Nehammer und Integrationsministerin Raab (Bild: APA/Helmut Fohringer)
Kanzler Nehammer und Integrationsministerin Raab

„Keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse“
„Dass Karl Nehammer zwischen Geflüchteten aus Afghanistan und jenen aus der Ukraine unterscheidet, ist brandgefährlich“, hält Schacht, Senior Scientist an der Universität Innsbruck, fest. „Eine Unterscheidung entlang festgefahrener und stereotyper Vorstellungen unter geflüchteten Menschen zu treffen, ist eine äußerst gewaltvolle Handlung. Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben“, betont Schacht. Das sei „Gift für die gesamte Gesellschaft“. „Es geht nicht darum, zu entscheiden, wem man hilft, vielmehr ist es unsere historische und globale Verantwortung“, unterstreicht die Expertin.

Es gebe unterschiedliche Erklärungen für den „Doppelstandard“, der derzeit zu beobachten sei. „Rassismus wäre dafür eine zu vereinfachte Erklärung“, legt Schacht dar. Vor allem aber die räumliche Nähe zur Ukraine spiele „eine wesentliche Rolle“, so die Expertin. Diese mache die Krise „erfahrbarer“. Menschen kämen oft über den Landweg und seien weniger lange unterwegs. Ferner könne man die unterschiedliche Wahrnehmung auch aus einer kritischen Genderperspektive erklären: „Frauen und Kinder werden häufig als unschuldige Opfer gesehen, Männer hingegen eher als übergriffig und gewalttätig.“ Tatsächlich waren es 2015 vor allem junge männliche Geflohene, die nach Österreich gekommen sind. Jetzt sind es vor allem Frauen, Kinder und betagte Personen.

Reduktion der Menschen auf Fluchterfahrung
Schacht macht sich in ihren Arbeiten gegen eine „Viktimisierung“ geflüchteter Menschen stark und setzt sich dafür ein, dass jene nicht nur auf ihre Fluchterfahrung reduziert werden. Vielmehr müsse man sich auf die Begegnung mit seinem Gegenüber an sich konzentrieren - ob mit oder ohne Fluchterfahrung. Öffentlich von der eigenen Fluchterfahrung zu sprechen und damit eine Art „Seelenstriptease“ zu vollziehen, erfordere schließlich auch ein „gewisses Vertrauensverhältnis“ und sei „in vielen Kontexten daher nicht möglich - geschweige denn gewollt“.

Dadurch, dass zwischen unterschiedlichen „Kategorien“ von Menschen unterschieden wird, würden „eigene Missstände oft ausgelagert“, gibt Schacht abschließend zu bedenken. Die der Gesellschaft inhärente Unterdrückung von weiblich gelesenen Menschen, eine steigende Zahl an Femiziden (so bezeichnet man die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechtes, Anm.) und Sexismus seien Beispiele hierfür. Der Fokus müsse vielmehr auf „das große Ganze und die Fluchtgründe per se“ gerichtet werden. Hier gehe es auch um „postkoloniale Machtverhältnisse“, so die Bildungswissenschaftlerin.

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