Das kleine Österreich auf großer weltpolitischer Bühne: Als erster EU-Staatschef seit der russischen Invasion in der Ukraine trifft Bundeskanzler Karl Nehammer am Montag Wladimir Putin, den Kriegstreiber im Moskauer Kreml.
Was der Bundeskanzler Sonntagnachmittag nach der Rückkehr von seinem Solidaritätsbesuch in Kiew bei Präsident Wolodimir Selenskyj in einer Gesprächsrunde am Ballhausplatz platzen ließ, kann man durchaus als politischen Coup - allerdings mit einigen Fallstricken - bewerten.
Wien-Türkei-Russland
Denn via Türkei flog Karl Nehammer noch am Abend nach Russland. Um Montagnachmittag als erster Staatschef eines EU-Landes seit Moskaus Angriffsbefehl auf die Ukraine Putin höchstpersönlich im Kreml zu treffen!
Warum diese Reise?
Aber warum die Reise zu einem Kriegsverbrecher? Der ehemalige Berufssoldat im Rang eines Leutnants wird bei der Antwort emotional: „Es ist meine Menschenpflicht, alles zu tun, um diesen Krieg zu beenden oder zumindest humanitäre Korridore zu schaffen. Neben dem Telefon muss es auch persönliche Diplomatie geben.“ Wenn er nur einen kleinen Baustein für eine Dialogbrücke beitragen kann, werde er das tun. „Und ja, ich werde auch die Kriegsverbrechen ansprechen!“, stellt Nehammer unmissverständlich klar. Die Moral werde er nicht an der Türschwelle zum Kreml abgeben ...
Kritik von einzelnen Staaten ist gewiss
Über die heikle Reise ins Ungewisse habe er Selenskyj informiert, zudem sei der Gipfel beim „Zar“ in Moskau mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan, Deutschlands Kanzler Olaf Scholz, EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel besprochen. Der ÖVP-Chef: „Niemand hat mir gesagt, nicht zu fahren.“ Viel Kritik besonders von den baltischen Staaten und Polen ist dem Kanzler aber sicher gewiss.
Für Frieden muss man alles tun. Ich werde aber nicht moralisch neutral sein und auch die Kriegsverbrechen bei Putin ansprechen.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
„Habe Grenzen und muss Energieversorgung sichern“
Und wie kam es überhaupt zu dem Treffen? Die Initiative ging von Österreich aus. „Wir haben als kleines neutrales Land eine hohe Glaubwürdigkeit in der Mittlerposition und auch einen guten Ruf als redlicher Makler“, erklärt der Kanzler.
Er fliege freilich ohne Erwartungen nach Moskau. Aber man müsse miteinander reden und könne nicht am Spielfeldrand der Politik danebenstehen. Sonst werde der Krieg nie aufhören. Die berüchtigte Kreml-Propaganda ist Nehammer bei der - wie er sagt - „Risiko-Reise“ durchaus bewusst. Denn für Putin ist der Besuch des ersten EU-Staatschefs seit Kriegsbeginn natürlich auch eine Möglichkeit für positive weltweite Schlagzeilen.
Bilder von Nehammers Ukraine-Reise:
Es gehe laut Nehammer auch darum, keine leeren Versprechen gegenüber der Ukraine abzugeben, etwa beim heiß diskutierten Gas-Embargo. Österreich ist ja mit 80% Gas aus Russland total abhängig von der Gunst Putins. Der ÖVP-Chef: „Ich habe Grenzen als Kanzler Österreichs und muss die Energieversorgungssicherheit aufrechterhalten.“ Was bzw. ob ein Dialog mit einem Kriegsverbrecher überhaupt etwas bringt, wird die Zukunft weisen.
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