Einen schönen Dienstagabend.
Die politische Benchmark ist also die, dass Österreich begeistert ist, wenn sich der amtierende Bundeskanzler im Ausland nicht bis auf die Knochen blamiert. So wie es Karl Nehammer bei Wladimir Putin gelungen ist, dessen gemeinsames Gespräch 75 Minuten gedauert hat - nach Abzug der Übersetzung bleibt da nicht mehr viel übrig. Ich habe schon in der Tiefkühlabteilung des Supermarktes längere Gespräche geführt, meist gegen meinen Willen. Apropos: Wer glaubt, dass die aktuelle türkis-grüne Politik das Schlechteste aus zwei Welten ist, hat noch nicht die neue Dr. Oetker Fischstäbchenpizza gesehen. Die gibt es wirklich, sie liegt beim Spar um die Ecke in der Vitrine als Mahnmal menschlicher Perversion. Unabhängig der Konzerngeschichte, hatte ich bei Dr. Oetker immer einen putzigen Arzt vor dem geistigen Auge, einen Mann mit Falten und Glatze, Hornbrille und festeren Backen, der uns mit Götterspeise und Mousse au Chocolat verwöhnt. Doktor vielleicht deshalb, weil er als genialer Süßspeisenchemiker die feinsten Kreationen erschafft, wie ein Dr. House der Desserts, vielleicht auch deshalb Doktor, weil er nach einer Überdosis Hagelzucker gleich den Myokardinfarkt mitbehandeln kann. Wie auch immer, aus dem lieben Opa wurde für mich ein Dr. Frankenstein der Tiefkühlkost, ein Gefriergut-Sadist. Fischstäbchenpizza. Was kommt als Nächstes? Beuschel-Pudding?
Verzeihen Sie, der Corona-Fieberwahn, ich schweife ab. Man kann zu Nehammers Trip stehen wie man will, die einen wollen ihm den Friedensnobelpreis verleihen, die anderen sind von seiner Naivität überrascht. Wir sind das Land der Extreme, die Wahrheit wird wohl wieder einmal in der Mitte liegen; am Ende hat die Zusammenkunft nichts gebracht, aber auch nicht groß geschadet. Meine Lieblingsfrage an den Bundeskanzler war heute im Ö1-Morgenjournal zu hören: „Sie sind der erste EU-Regierungschef seit Beginn dieses Krieges, der nach Moskau reist. Haben Sie Bedenken, dass Ihr Besuch von der russischen Staatspropaganda verwendet werden könnte? Dass sich Putin mit Ihrem Besuch schmücken könnte?“ Antwort Nehammers: „Das Risiko gibt es. Bisher ist es aber nicht erkennbar.“ Putin schmückt sich mit Nehammer. Einen besseren Beleg dafür, dass Putin den Krieg verloren hat, gibt es wohl nicht.
Überrascht bin ich von der Heftigkeit mancher Kritiker. Peter Pilz hält Nehammers Putin-Visite für ein Ablenkungsmanöver nach der Schluckspecht-Affäre rund um dessen Ehefrau und den Cobra-Beamten. Das ist doch reichlich übertrieben, zumal eine Begegnung mit einem Kriegstreiber kaum noch Platz für Steigerungen lässt. Was soll Nehammer denn nach dem nächsten Debakel à la Impfpflicht unternehmen? Wochenend-Trip mit Kim Jong-un? „Wenn es nur ein PR-Gag war, reden wir in Wien weiter über Cobra-Libre“, twitterte Pilz. Ausgerechnet jener Pilz, der einst in Alpbach auch nicht nur mit Wasser gegossen wurde. Wer im Glashaus schwipst, soll nicht mit Weinsteinen schmeißen. Oder so ähnlich. Peter Pilz ist in Sachen Promille keine moralische Instanz. Was Nehammer in Russland nicht gelungen ist, hat Pilz in der Heimat geschafft: sich zu blamieren.
Ich wünsche einen schönen Feierabend, so Sie einen haben.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.