Zuflucht vor Bomben

Charkiw: Ärzte halten Sprechstunden in U-Bahn ab

Ausland
20.04.2022 08:45

Hunderte Menschen bringen sich in den U-Bahn-Stationen der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw vor den russischen Bombardements in Sicherheit. Dort betreibt die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF - Medecins Sans Frontières) Sprechstunden für kranke, verängstigte und traumatisierte Menschen. Der Bedarf ist groß: Mobile Kliniken führten schon mehr als 500 Konsultationen durch, denn Geflüchtete würden sich in allen Metrostationen aufhalten. 

Rund um die Uhr gebe es Bombenalarm, berichtete der Leiter des Einsatzes, Michel-Olivier Lacharité, an die Zentrale in Genf. Die U-Bahn-Schächte seien der sicherste Ort für die Menschen. „Es gibt drei U-Bahn-Linien in der Stadt, und praktisch alle Stationen werden genutzt.“

Menschen trotzen in Zelten der Kälte und Feuchtigkeit
In jeder Station hielten sich rund 100 Menschen auf, meist ältere und bedürftige. Nachts seien es bis zu dreimal so viele. „Sie sind seit mehr als 40 Tagen in der Kälte und Feuchtigkeit und schlafen in Zelten“, so Lacharité. Die Stadt hatte vor dem Krieg etwa 1,8 Millionen Einwohner. Etwa 350.000 seien noch dort.

Kliniken ziehen durch Tunnel zu Stationen
Die Helfer zögen wegen der Ausgangssperre nachts durch die Tunnel von einer Station zur nächsten. Die meisten Menschen hätten Infektionen der Atemwege und Bluthochdruck. „Selbst in den U-Bahn-Stationen spürt man die Vibrationen der Bombardierungen“, berichtete Lacharité. Alle hätten große Angst, ins Freie zu gehen. Je länger der Krieg dauere, desto größer werden die Gefahr angstbedingter Verhaltensstörungen.

(Bild: AP Photo/Felipe Dana)

Kälte und Schlafmangel
Lacharité zitiert Ludmilla, eine Mutter im Alter von 40 Jahren, die mit ihrem Sohn in der U-Bahn lebt: „Die Kälte, der Schlafmangel, all das ist nichts gegen den Krieg. Wenigstens sind wir hier sicher.“ Sie habe so lange es ging mit ihrem Sohn in ihrer Wohnung ausgeharrt, bis in der Nähe eine Bombe einschlug. „Mama, ich will nicht sterben“, habe ihr Sohn gesagt.

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