Ein Grund: „Sexismus“
Deutsche Linke-Chefin Hennig-Wellsow tritt zurück
Nach nur einem Jahr und zwei Monaten an der Spitze der deutschen Linken ist Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow überraschend zurückgetreten. „Ich stelle heute mein Amt als Parteivorsitzende der Linken mit sofortiger Wirkung zur Verfügung“, schrieb sie am Mittwoch auf ihrer Internetseite. In ihrer Erklärung begründete die 44-Jährige den Schritt unter anderem mit nicht erfüllten Erwartungen bei der Erneuerung der Partei.
„Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben. Eine Entschuldigung ist fällig, eine Entschuldigung bei unseren Wählerinnen und Wählern, deren Hoffnungen und Erwartungen wir enttäuscht haben.“ Erneuerung sei nötig, „und diese Erneuerung braucht neue Gesichter, um glaubwürdig zu sein“.
Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben.
Susanne Hennig-Wellsow
Sexismus in den eigenen Reihen der Partei
Als weiteren Grund für den Rücktritt nannte Hennig-Wellsow den Umgang ihrer Partei mit Sexismus in den eigenen Reihen. Dieser habe „eklatante Defizite“ der Partei offen gelegt. Hennig-Wellsow spielte damit auch auf die aktuellen Verdachtsfälle zu sexuellen Übergriffen innerhalb der Partei an, über die das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am Freitag erstmals berichtet hatte. Es ging in dem Bericht um mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei.
Krisensitzung des Linken-Bundesvorstands
Nur wenige Stunden nach dem Rückzug Hennig-Wellsows trat am Mittwochabend der Linken-Bundesvorstand zusammen. Ursprünglich sollte es bei der Krisensitzung ausschließlich um das weitere Vorgehen im Umgang mit den Verdachtsfällen sexueller Übergriffe gehen. Als weiteres zentrales Thema sei nun aber auch der Rücktritt von Hennig-Wellsow auf die Tagesordnung gerückt, sagte ein Parteisprecher der dpa. Die scheidende Chefin bleibe den Beratungen fern.
Partei bei Wahl abgerutscht
Hennig-Wellsow war im Februar 2021 auf einem Parteitag gemeinsam mit Janine Wissler an die Spitze der Linken gewählt worden. Die Partei war bei der Wahl dann deutlich von 9,2 auf 4,9 Prozent abgerutscht und nur wegen dreier Direktmandate überhaupt wieder ins Parlament eingezogen. Anschließend kam es zu heftigen innerparteilichen Diskussionen über die Ursachen und den richtigen Kurs. Unter Druck kam dabei auch die Parteispitze mit Hennig-Wellsow, die im Wahlkampf persönlich offensiv für ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen auf deutscher Bundesebene geworben hatte, was nicht überall in der Partei ankam.
Eine Entschuldigung ist fällig, eine Entschuldigung bei unseren Wählerinnen und Wählern, deren Hoffnungen und Erwartungen wir enttäuscht haben.
Susanne Hennig-Wellsow
Wissler äußerte sich am Mittwoch zunächst nicht zum Rücktritt ihrer Co-Chefin. Ein Parteisprecher sagte der dpa, dass auch Wissler von dem Schritt überrascht worden sei und im Voraus nichts vom Rückzug ihrer Partnerin gewusst habe.
Ernst genommen und sofort gehandelt
Wissler, ehemalige Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, hatte mitgeteilt, die Vorwürfe von sexueller Belästigung, sexueller Gewalt und Missbrauch sehr ernst zu nehmen und sofort gehandelt zu haben, als ihr derartige Vorwürfe bekannt geworden seien. Der Parteivorstand habe im Oktober 2021 eine Vertrauensgruppe eingesetzt, als Hilfsinstanz für Betroffene.
Hennig-Wellsow führte für ihre Entscheidung auch private Gründe an. Sie habe einen achtjährigen Sohn, der sie brauche. „Aber auch die Linke braucht in dieser Situation eine Vorsitzende, die mit allem, was sie hat, für die Partei da ist.“ Parteimitglied will sie weiterhin bleiben und auch ihr Bundestagsmandat weiter wahrnehmen, erklärte Hennig-Wellsow. Wie die Besetzung an der Parteispitze künftig aussehen könnte, blieb am Mittwoch unklar.
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