Die deutsche Erfolgsband Rammstein hat während der Pandemie ihre Kreativität gefunden und denkt gerüchteweise an einen Abschied. Viele Zeichen stehen dafür, andere aber auch nicht. Bevor sie zum „Krone“-Livedoppelschlag am 25. und 26. Mai im Klagenfurter Wörtherseestadion laden, zitieren sie sich auf dem siebenten Studioalbum „Zeit“ noch einmal selbst. Kurzweilig, aber auch leidlich unspannend.
Die Corona-Jahre hat jeder von uns anders verbracht. Die einen wurden zu Meisterköchen und -bäckern, andere verloren soziale Interaktionsfähigkeiten und wiederum andere entdeckten, dass sie beruflich oder auch privat gerne in neuen Gefilden wildern möchten. Bei der deutschen Vorzeigestahlschmiede Rammstein wurde offenbar eifrig darüber diskutiert, ob knapp drei Dekaden Weltkarriere dann jetzt nicht einmal genug wären. Ob die Zeichen nun wirklich auf Abschied stehen oder die ganz sicher nicht billige Marketingabteilung der Berliner einfach wieder geschickt Gerüchte-Brotkrumen streut, das werden wir erst in ein paar Jahren wissen, aber wer sich den inhaltlichen Spannungsbogen des siebenten Albums „Zeit“ genauer durch die Gehörgänge rieseln lässt, kann zumindest nicht ganz davon absehen, dass man sich langsam auf die Bandrente vorbereitet.
Sich selbst genügen
War der unbetitelte Vorgänger mit dem simplen Streichholzcover nach zehn Jahren Albumpause noch verstörend langweilig und musikalisch unausgegoren, finden Rammstein auf „Zeit“ wieder in die Spur zurück. Das ist aber auch gleichbedeutend mit der Tatsache, dass man sich mehr denn je selbst zitiert und wenig Neues und Spannendes an die musikalische Oberfläche spült. Freilich, es ist jammern auf hohem Niveau und man kann es sowieso nie allen recht machen, aber die martialisch-breitbeinigen Riffs, Tills Noir-provokantes Grusel-Gesäusel oder die atmosphärisch eingestreuten Engelschöre haben sich schon in der Hochzeit zwischen 1994 und 2004 erfolgreich entfaltet. Dass die beiden ersten Single-Auskoppelungen gleich einmal die Charts-Spitze eroberten ist eindeutig mehr dem Kult um die Band zu verdanken als der musikalischen Leistung.
Der Titeltrack wühlt sich in Dunkelschlager-Gefilden á la Unheilig, das kokett den grassierenden Instagram-Schönheitswahn persiflierende „Zick Zack“ mit den Harald-Glööckler-Gedächtniskostümen könnte ein direkter Nachfolger des „Mutter“-Geniestreichs „Zwitter“ sein, geht aber doch wesentlich schaumgebremster und gediegener über die Ziellinie. Auch bei anderen Tracks fällt auf, dass sich Rammstein auf „Zeit“ zwar gerne im eigenen Erfolgsschlamm der Vergangenheit suhlen, aber der unbedingte Hunger und die Lust an der großen Provokation fehlen. Dass „OK“ für „ohne Kondom“ steht ist nach einem Porno wie „Pussy“ ebenso abgefrühstückt wie der mit jedem Albumzyklus wiederkehrende Ödipus-Komplex Lindemanns, der sich auf „Meine Tränen“ balladesk, textlich und musikalisch aber recht spannungsarm gestaltet. Das alte Problem der Provokation: sind erst einmal alle Barrieren eingerissen, lässt es sich halt nur mehr schwer Staub aufwirbeln.
Sublime Aggression
Lindemann selbst rollt und schlurft sich durch seine Lieder, aber die Altersmilde angesichts des schon bedrohlich nahenden 60ers kann er nicht abstreifen. War auf dem letzten Werk zumindest noch das psychopathisch-intensive „Puppe“ ein spätes Mahnmal seines angeborenen Wahnsinns, begibt er sich auf „Zeit“ kaum mehr aufs glitschige Eis des Irrsinns. Wie schon spätestens seit „Reise, Reise“ vor auch schon wieder 18 Jahren sind Rammstein vornehmlich eine visuelle Band. Die Videos und das komplette Marketingkonzept sind hochbudgetiert und von Profis durchdacht. Der Kern der Sache, die bloße Musik, verkümmert dabei zusehends. Doch all die harsch klingende Kritik soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rammstein auch mit zunehmendem Nekromantik-Touch und alterndem Industrial-Goth-Stil bei ihren stahlharten Riffs und der bedrohlichen Grundstimmung ein einzigartiges Gespür für eine sublime Art von perverser Aggression besitzen.
Dem allgemeinen Weltempfinden gemäß ist die ganze Platte selbst für Rammstein-Verhältnisse sehr negativ konnotiert. Und den fein angedrohten Abschied zieht man nicht nur durch das pathetische Schlussstück „Adieu“. Sachte nuanciert werden immer wieder Müdigkeitserscheinungen propagiert. Mal bewusst, dann wohl wieder unterbewusst. Gerade ein Stampftrack wie „Dicke Titten“, trotz gewollter Ironie sehr primitiv gehalten, erreicht dafür wieder Lindemanns gewünschtes Ziel, den urbanen Mainstream aus den Stiefeln zu kippen. In einer Gesellschaft, die jedes Wort auf die Goldwaage legt und mit Cancel Culture Geschichts- und Diskursbewusstsein ad absurdum führen möchte, kann man schon mit dem Zurschaustellen der niedersten Urinstinkte anecken. Hätte sich vor wenigen Jahren wohl auch niemand gedacht, dass Rammstein mit einfach Plattitüden am meisten Wind aufwehen werden können. Also doch noch Provokation! Was gibt es sonst noch? Eine persiflierende Autotune-Stimme in „Lügen“ und pathetische Elektronik im depressiven Opener „Armee der Tristen“. Das ist alles sehr nett und kurzweilig, aber mit „Zeit“ reißen Rammstein keine großen Wände mehr ein. Trotz allem ist weit und breit keine Konkurrenz in Sicht - die Meriten sind schon lange verdient.
Feuer frei live
Am 25. und 26. Mai kommen Rammstein mit den neuen Songs, allen großen Hits und einer garantiert pervers-pyromanischen Pyroshow für zwei großen Open-Air-Events ins Klagenfurter Wörthersee-Stadion. Für den ersten Tag gibt es sogar noch Tickets: www.oeticket.com. Gediegener und ruhiger wird es dafür, wenn Keyboarder Flake im Herbst mit seinem aktuellen Buch „Heute hat die Welt Geburtstag“ auf Lesetour geht. Am 28. November im Wiener Globe, am 30. November im Grazer Orpheum, am 2. Dezember in der Music Hall in Innsbruck und am 4. Dezember im Linzer Posthof. Tickets sind auch hier noch vorhanden.
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