Die wundervolle Indie-Rock-Band The War On Drugs ließ ihm zu wenig künstlerische Freiheiten, also versuchte es Slacker Kurt Vile vor knapp 15 Jahren solo. Acht Alben später ist der heute 42-Jährige nicht mehr aus der US-Songwriter- und Indie-Szene wegzudenken und hat sich durch fleißiges Touren auch in Europa einen Namen gemacht. „Watch My Moves“ ist sein erstes Werk auf dem Majorlabel Verve und beinhaltet 15 Songs mit gut 70 Minuten Spiellänge. All Killer, no Filler! Im „Krone“-Zoom-Talk gibt er Einblicke in sein stabiles Familienleben, warum er Bruce Springsteen und Neil Young vergöttert und wieso man als Indie-König auch problemlos einen Majorlabel-Plattenvertrag haben kann.
„Krone“: Kurt, bis zu deinem aktuellen Album „Watch My Moves“ ist sehr viel Zeit vergangen. Das lag aber nicht nur an der Pandemie?
Kurt Vile: Es hat lange gedauert, aber das war schon okay so. Natürlich hatte die Pandemie viele negative Seiten, aber ich bin die Dinge bewusst sehr langsam angegangen. Es ist verrückt, dass das Album jetzt erscheint, denn für mich fühlt es sich nicht so an, als wäre schon so viel Zeit vergangen. Es floss einfach sehr gemütlich dahin.
Auf dem Cover sitzt du mit Krokodilmaske zwischen deinen beiden Töchtern. Ist „Watch My Moves“ ein Familienalbum?
In vielen Bereichen ist das sicher der Fall. Meine Familie war immer bei mir, gerade in der Pandemie haben wir sehr viel Zeit miteinander verbracht. Ich war zwar auch in Los Angeles mit Produzent Rob Schnapf, aber den Hauptteil des Albums habe ich in meinem Heimstudio hier in Philadelphia eingespielt. Die Kids und meine Frau waren immer da. Es ist schon cool, dass man einerseits daheim ist, mit dem Kopf aber in ganz anderen Welten sein kann.
Sind deine Töchter auch schon der Musik verfallen?
Absolut. Sie sind besessen von Musik, sie fließt durch ihre Venen. Sie sind schon richtig infiziert damit.
Du warst immer sehr oft und gerne auf Reisen. Dieses Mal mussten diese Reisen im Kopf stattfinden. Eine andere Form der Inspiration. Wie ging es dir damit?
Ich habe das schon mein ganzes Leben lang so gemacht, aber man muss auch die richtige Umgebung haben, um im Kopf reisen zu können. Ich lebe direkt neben einem Wald mit wunderschönen Bäumen. Wenn ich meinen Kopf drehe und beim Fenster rausschaue, kann ich mich sehr schnell in eine andere Welt träumen. Sobald ich davon inspiriert bin, gehe ich runter ins Studio und mache Musik.
Ist die richtige Umgebung für dich und deine Kreativität essenziell? Mount Airy Hill, dein Heimatbezirk in Philadelphia, hat sogar einen eigenen Song gewidmet bekommen.
Früher bin ich von langen Touren heimgekommen und dachte mir immer, ich hätte endlich Zeit, um Musik zu schreiben. Dann habe ich einen Song begonnen und mich auf das nächste Album fokussiert, war aber doch froh, wieder in den Alltagstrott zurückzukehren und eine ganze normale Routine zu haben. Ich wusste schon vor Ausbruch der Pandemie, dass ich mein Zuhause oft vermissen würde. In den letzten zwei Jahren war ich fast immer daheim und das war wundervoll.
Hat sich dein Leben in den letzten beiden Jahren stark verändert?
Durchaus ja. Ich habe viel über mein Leben nachgedacht, aber auch bewusst in der Gegenwart gelebt und alle Eindrücke aufgenommen, die sich mir geboten haben. Ich habe gelernt zu erkennen, wer und was in meinem Leben wichtig ist. Das wusste ich insgeheim schon immer, aber in so einer Situation wird es einem natürlich erst richtig klar.
Auf dem Opener „Going On A Plane Today“ kommt in einer Songzeile Neil Young vor, bei ihm hast du vor der Pandemie im Vorprogramm gespielt. Dazu gab es davor die EP mit dem kultigen John Prine, bevor er verstarb, und auch das Bruce-Springsteen-Cover „Wages Of Sin“ findet sich jetzt auf dem neuen Album. So viele popkulturelle Referenzen...
Das gehörte zu meiner Reflektion. Seit meinen frühen Zwanzigern bin ich ein Riesenfan von Springsteen. Ich höre ihn heute nicht mehr jeden Tag, kann mich aber sofort in das richtige Gefühl versetzen, wenn seine Musik läuft. In gewisser Weise gehören all diese Musiker zu meiner erweiterten Familie. Für mein letztes Album „Bottle It In“ war ich am Ende sehr lange in Europa auf Tour und ich fühlte mich ziemlich ausgebrannt. „Wages Of Sin“ und andere Songs von Springsteens „Tracks“ haben mir immer die nötige Energie verliehen. Es ist eine Compilation mit vielen Outtakes und sehr viele Songs darauf sind so gut und tiefgründig. Deshalb ist er auch „The Boss“. Er hat so viele grandiose Songs, die es noch nicht einmal auf ein Album schaffen. Ich strebe selbst immer danach, derart gute Songs zu schreiben. „Wages Of Sin“ ist natürlich Springsteens Song, ein bisschen gehört er jetzt aber auch mir. Der Track ist eine Rarität aus seinem Songkatalog, deshalb musste ich das Cover schnell machen, bevor jemand anderer noch schneller ist.
Du bist schon längst ein Idol für viele junge Musiker da draußen, aber im Vorprogramm von Neil Young bist du selbst wieder in die Fanboy-Rolle zurückgefallen?
Neil Young im Speziellen ist einer der lustigsten Typen, die ich kenne. Ich habe ihn schon öfters getroffen, mich dabei aber immer komisch angestellt. Seine Crew hat mir nie über den Weg getraut. Einmal bin ich nach einem Auftritt hinten auf der Rampe auf ihn zugelaufen, um ihm eine CD zu geben. Seine Crew hat mich sofort abgeblockt, weil sie dachten, ich wäre ein verrückter Fan. Das bin ich natürlich, aber trotzdem habe ich das Konzert für ihn eröffnet. (lacht) Das war schon ein spezielles Erlebnis, an das ich mich immer erinnern werde.
Nach neun Alben kann man getrost sagen, dass du längst deinen Stempel auf das große Buch des US-Songwritings gesetzt hat. Wie siehst du deine eigene Entwicklung über die Jahre und deinen Einfluss auf die US-Musikszene?
Es fühlt sich gut an, was ich so gemacht habe. Allein schon mit John Prine spielen zu dürfen, bevor er tragischerweise verstarb, war unglaublich. Diese EP kam während der Pandemie raus, dann bin ich von Matador Records zu Verve gewechselt, um das neue Album zu veröffentlichen. Ich liebe die Matador-Leute noch immer, aber es war ein wichtiger Schritt, der sich gut anfühlt. Ich habe noch viel zu sagen und zu geben und bin glücklich über alles, was schon bislang passiert ist. Ich bin sehr ambitioniert und ich kenne viele Musiker, die wesentlich populärer sind als ich. Das ist auch völlig okay, aber ich habe noch einiges, was ich der Welt mitteilen möchte.
Wie wichtig sind dir Parameter wie Popularität und der Applaus von Fans im Vergleich zur puren Freude, die man verspürt, wenn man etwas Kreatives erschaffen hat?
Zuerst schreibst du einen Song und hast ein wundervolles Gefühl, das sich daraus ergibt. Es ist fast multidimensional. Du hörst als erster, was du gemacht hast und sobald das Album draußen ist, verbindest du dich mit Hunderten oder Tausenden Menschen. Beide Gefühle sind großartig und einzigartig. Wenn du deine Kunst mit anderen teilst ist das so, als würde sich der Planet drehen. Eine ganz essenzielle Sache.
Bei „Watch My Moves“ hattest du stark das Gefühl, Musik wie früher zu komponieren. Bist du ein Nostalgiker? Jemand, der gerne zurückschaut?
Ich bin definitiv ein Nostalgiker. Jetzt mehr als früher. Nostalgie kann manchmal wie eine schöne, total verändernde Droge sein - ohne die bösen Nebeneffekte. Du fühlst ein gewisses Sentiment und sehnst dich in eine Welt zurück, die dir heil schien. Ich bin heute 42 und habe es geschafft, mit meiner Musik durchzukommen. Ich denke auch gerne daran zurück, wie meine zwei Töchter aufgewachsen sind und sich entwickelt haben. Diese Aspekte an Nostalgie mag ich und „Watch My Moves“ ist definitiv ein nostalgisches Album.
Würdest du manchmal gerne zu bestimmten Bereichen deiner Vergangenheit zurückgehen können? Um Dinge gleich oder ähnlich erleben zu können?
Das eher nicht. Ich habe sehr abgedrehte Erinnerungen. Manchmal kommt es mir vor, als könnte ich wortwörtlich zu einer Zeit zurückspringen, die ich schon erlebt habe. Das ist fast außerweltlich. Gleichzeitig blicke ich nach vorne und konzentriere mich darauf, was musikalisch oder familiär als nächstes passiert. Aber die Vergangenheit ist immer die Grundlage für alles Kommende.
Wie wichtig ist deine Familie, um zwischendurch aus dem Sog der Musikwelt herauszukommen?
Enorm wichtig. Früher habe ich gerne Urlaube gebucht. Irgendwo auf der Welt, wo ich schon immer hinwollte. Als ich dann oft auf Tour war merkte ich, dass ich dauernd müde bin. Ich war dann einfach froh, nicht mehr unterwegs zu sein und nicht schon wieder auf Reisen zu gehen. Ich mache die Pläne heute eher für daheim. Es geht darum, die richtige Balance zu finden und diese Balance geriet in den letzten Jahren etwas aus dem Gleichgewicht. Jetzt bin ich aber wieder froh, wenn ich woanders hinkomme.
Hat die Familie deine Perspektive auf Musik verändert? Ist die Musik vielleicht weniger wichtig, als sie vor deinen zwei Töchtern war?
Die Musik ist wichtig für die ganze Familie. Wir hören viel Musik und sie inspiriert uns. Da gibt es überhaupt keine Trennung.
Wird man deine Töchter dann schon am nächsten Album hören können? Geht die Tendenz in diese Richtung?
Sie haben großes musikalisches Talent. Meine jüngster Tochter Delphine ist wundervoll. Sie sagt mir immer, sie könne die Drums für mich einspielen oder würde gerne auf meinem Albumcover auftauchen. Ein echtes Goldstück.
Du hast vorher schon den Wechsel von Matador Records zu Verve angesprochen. Hast du dich beim alten Label zu lange zu wohl gefühlt?
Mein Vertrag bei Matador endete und Verve nahmen Kontakt mit mir auf. Das war primär der Grund für den Wechsel. Bei Verve waren Velvet Underground und es wurden dort viele tolle Jazzalben veröffentlicht. Ich war sehr glücklich, dass sie auf mich zukamen. Ich war damals knapp über 40 und hatte noch nie bei einem Majorlabel unterschrieben. Ich mir ein bisschen einen Kindheitstraum damit erfüllt. Früher habe ich mich immer nach einem großen Plattenvertrag gesehnt, mit dem ich mir viel Equipment leisten könnte. Ich wollte den Schritt jetzt endlich einmal wagen.
Wie würdest du „Watch My Moves“ in wenigen Worten zusammenfassen?
Die Musik ist eine gute Kombination aus sich in etwas verlieren und daheim zu sein. Seinen Frieden zu haben. Das Album projiziert die Gefühle, die ich in den letzten Jahren hatte. Ich lebte bei den Aufnahmen und beim Songwriting sehr im Moment. All das steckt in diesem Werk.
Muss man sich manchmal unkomfortabel fühlen, um ein gutes Album zu kreieren? Ist das ein wichtiger Aspekt für gute Kunst?
Anfangs muss es sich komisch anfühlen, weil es dann gleichzeitig neu ist. Aber das Unkomfortable muss komfortabel werden, nur so kannst du dein Schutzschild fallen lassen. Etwas Neues fühlt sich immer eigenartig an, aber mit den Erfahrungen kommt die Gewohnheit. Das ist alles eine Frage der Zeit. Am Wichtigsten ist es immer, die Musik einzufangen, die du ohne Schutzschild machst. Kein leichtes, aber ein lohnendes Unterfangen.
Kannst du dich immer noch gut mit deinen alten Alben und Songs identifizieren?
Auf jeden Fall. Ich bin sehr stolz auf all meine Alben. Jedes einzelne ist eine Momentaufnahme meines Lebens und ich kann mich immer noch sehr gut mit meiner eigenen Vergangenheit verbinden. Eine sehr coole Sache.
Hast du auch ein Opus Magnum in deiner Diskografie? Ein besonders wichtiges, über alle Maßen hervorstechendes Meisterwerk?
Die Antwort ist ein bisschen langweilig, aber ich bin mit Herz und Seele total in meinem aktuellen Projekt, weshalb dieses Album für mich das wichtigste ist. Ich kann aber absolut verstehen, wenn das andere anders sehen und ältere Alben von mir bevorzugen. Da schwingen dann eigene Gefühle und Erinnerungen mit. Es ist für mich immer das Ziel, dass das neueste Album mein bestes ist. Ansonsten dürfte ich nicht mehr an die Arbeit gehen.
Wie siehst du das als Fan von anderen Künstlern? Normal liebt man ja die Klassiker. Kann man neuere Werke einer Band überhaupt so lieben wie die alten?
Bob Dylans aktuellstes Album „Rough And Rowdy Ways“ ist unglaublich und ich habe ihn damit live gesehen. Neil Young habe ich schon sehr oft gesehen, aber vor ein paar Jahren hat er „Down By The River“ über 20 Minuten hinweg gespielt. So gut hatte ich ihn vorher noch nie gesehen. Ich habe eine Zeit lang nur alte Musik gehört, aber es gibt auch so viel gute junge Musik. Chris Cohen etwa ist grandios, aber noch sehr unbekannt. Es gibt rundum viel zu viele gute Künstler und Bands. Das ist verrückt.
Wie würdest du gerne wahrgenommen werden von den Menschen da draußen? Als Person und musikalisch?
Ich möchte mich durch meine Musik mit anderen Menschen verbinden können. Ich bin eine sehr sensible Person und schreibe auch Musik für sensible Personen. Meine Musik ist sehr emotional. Ich mache sie, um mir selbst und auch anderen zu helfen. Solange man Emotionen fühlt, wenn man meine Musik hört, bin ich mit allem zufrieden. Ich werde jetzt auf Tour gehen und würde gerne etwas mit den Avalanches machen. Was sonst so kommt, das weiß ich jetzt nicht. Aber diese Ungewissheit ist auch das Schöne am Leben. Ich habe gar keine Ahnung, wie mein nächstes Album klingen wird.
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