Facebook und der Sonnenbrillenhersteller Ray-Ban haben mit ihrem Gemeinschaftsprodukt „Stories“ eine intelligente Bluetooth-Sonnenbrille nach Österreich gebracht, die mit Kamera und Mikro-Lautsprecher ausgestattet und an die zugehörige Facebook-Applikation „View“ für Android oder iOS gekoppelt ist. Ersetzt das 330-Euro-Gadget Handykamera und Kopfhörer? Wir haben es ausprobiert.
Facebook wirbt für die Wearable-Hardware als „neue Art, etwas einzufangen, zu teilen und zuzuhören“. Dafür packt der mittlerweile auch als Meta bekannte Social-Media-Konzern allerlei Hightech in die 50-Gramm-Sonnenbrille: Sie ist mit einem maßgefertigten Qualcomm-Prozessor ausgestattet, bietet Speicher für rund 500 Fotos oder 30 halbminütige Videoclips, nimmt Bildmaterial mit zwei 5-Megapixel-Kameras im Brillengestell auf und besitzt obendrein Bluetooth, WLAN, zwei winzige Mikro-Lautsprecher sowie drei Mikrofone für die Telefonie.
Die Akkulaufzeit beziffert der Hersteller mit bis zu sechs Stunden. Nach unserem Test können wir präzisieren: Man kann die Brille sechs Stunden tragen und dabei gelegentlich zum Telefonieren, Musikhören oder Fotos Knipsen verwenden. Wer durchgängig Musik hört oder telefoniert, zuzelt den Akku auch in drei Stunden leer. Danach heißt es ab ins Lade-Etui, das dank Puffer-Akku bis zu drei Ladevorgänge unterwegs ermöglicht, bevor über USB-C am Handynetzteil nachgeladen werden muss.
Fotos und Audio - wie beim Agenten
Was die Kooperation von Facebook und Ray-Ban von anderen intelligenten Brillen abhebt, ist ihr Funktionsumfang: Reine Audiobrillen gibt es schon, Kamerabrillen ebenfalls. Die Ray-Ban Stories kann als eine der wenigen Vertreterinnen ihrer Art beides. Gesteuert wird die Brille über eine touch-sensitive Fläche am Bügel, eine Aufnahmetaste und die Begleit-App. Winzige LEDs informieren bei der Benutzung über die gerade aktive Funktion.
Datenschutztechnisch wirft die Facebook-Brille Fragen auf. Einerseits für Leute, die dem Träger einer Stories-Brille begegnen. Für diese ist nicht zwingend ersichtlich, dass es sich um eine Datenbrille handelt, das Design könnte auch einfach jenes einer sehr wuchtigen Sonnenbrille sein und die Status-LED, die zeigt, dass gefilmt wird, kann man leicht übersehen. Der Träger muss andererseits, wenn er telefoniert oder sich etwas anderes anhört, erwarten, dass die Umgebung mithört: Zwar schicken die Mini-Lautsprecher Ton recht zielgerichtet ins Ohr, aber es ist eben nichts abgedichtet - in ruhiger Umgebung hört jeder mit, das birgt Abhör- und Konfliktpotenzial.
Gute Bildqualität bei Tageslicht
Ist man sich dessen bewusst, erhält man solide Bildqualität - vorrangig draußen bei Tageslicht, dem natürlichen Habitat einer Sonnenbrille. Dass die Mini-Bildsensoren in mäßig beleuchteten Räumen oder abends zum Rauschen neigen, ist wenig überraschend. Stimmt das Licht, liefern die elektronisch stabilisierten Minikameras aber trotz vergleichsweise geringer Auflösung scharfe und detailreiche Ergebnisse. Für den Posterdruck eignen sich die Aufnahmen aber nicht: Fotos gibt es maximal mit 2592 mal 1944 Pixeln Auflösung, bei Videos erhält man 1184 mal 1184 Pixel und 30 Bilder pro Sekunde. Das Sichtfeld der Brille bzw. der Kamera beträgt 105 Grad.
In der Nutzung ist die Facebook-Brille eher hakelig - das fängt beim Ladeetui an, das sehr heikel ist, was den magnetischen Kontakt zur Brille und folglich das Aufladen angeht. Beim Einlegen gilt es, genau darauf zu achten, dass die Metallkontakte auch tatsächlich aufliegen. Der Schieber, der als Einschalter dient, reagierte im Test nicht immer zuverlässig. Bei der Verbindung mit dem Smartphone müssen zwingend Updates eingespielt werden, bevor man die Brille überhaupt nutzen kann. All das gestaltet auch Pairing-Vorgang und Ersteinrichtung ziemlich kompliziert.
App mit umständlicher Bildübertragung
Ist es letztlich doch gelungen, App und Brille zu koppeln, fungiert diese einerseits klassisch als Bluetooth-Headset mit Touch-Lautstärkeregelung im Brillengestell, andererseits nimmt man auf Knopfdruck Fotos und bis zu 30-sekündige Videos auf. Selbige transferiert man über die Begleit-App und eine WIFI-Direct-Verbindung aufs Smartphone zur Weiterverarbeitung. Auch einen rudimentären Editor gibt es gleich in der App.
Die WLAN-Übertragung birgt Tücken, wenn man sich bereits in einem Heimnetz befindet: Man muss sich von selbigem trennen, um Bilder zwischen Smartphone und Brille übertragen zu können. Das macht den Vorgang mitunter mühsam. Sonst noch in der App: Hier wird eine Verknüpfung zum Facebook-Sprachassistenten, der bislang nur Englisch kann, und dem Messenger für Telefonate hergestellt. Außerdem gibt es ein Benutzerhandbuch, Datenschutz- und Produktinformationen.
Klang: Kein Bass, wenig Volumen
Klanglich sollte man sich von den Mikrolautsprechern in der Facebook-Brille nicht zu viel erwarten: Bauartbedingt gibt es wenig Bass und Volumen, für ernsthaften Musikgenuss erscheint uns so ein Mikro-Speaker im Brillengestell somit unterdimensioniert. Um sich eine WhatsApp-Sprachnachricht anzuhören oder die Stories-Brille als Freisprecheinrichtung zu nutzen, genügt das Gebotene aber - sofern die Umgebung nicht zu laut ist und man die fehlende Abschirmung zu tolerieren bereit ist.
Schwerer als „dumme“ Sonnenbrillen
Der Tragekomfort ist akzeptabel: Die Stories ist die schwerste Sonnenbrille, die unser Tester bisher getragen hat, und vor allem auch die wuchtigste - das fühlt sich durchaus ungewohnt an. Gegen Wind schirmt sie, verglichen mit sportlicheren Modellen, vor allem seitlich nur wenig ab. Gut haben uns hingegen die nachtönenden Gläser gefallen - drinnen ermöglichen sie eine gute Sicht, draußen werden sie zum adäquaten Blendschutz.
Die Verarbeitung wirkt halbwegs robust. Wie gut bewegliche Teile und die durch die Brille verlaufende Elektronik jahrelanger Nutzung standhalten, vermögen wir nach einigen Tagen Testdauer noch nicht zu beurteilen. Ob das eckig-wuchtige Design der Hightech-Brille gefällt, liegt ohnehin im Auge des Betrachters: Im Test sorgte die Facebook-Brille für gemischte Reaktionen. Wer Gefallen daran findet, wird vielleicht auch eher den hohen Preis verschmerzen können.
Fazit: Die Ray-Ban-Stories-Sonnenbrille erscheint uns um mehr als 330 Euro mehr als kurzlebige Spielerei denn als praktische Alltagshilfe. Sie ersetzt weder Handykamera noch Kopfhörer, trägt schwer auf und der Akku hält auch nicht sonderlich lang. Einer eher komplizierten Bedienung steht solide Fotoqualität gegenüber. Am ehesten können wir uns die Brille als teures, einen gewissen „Wow-Effekt“ erzeugendes Gelegenheits-Gadget für Social-Media-Intensivnutzer vorstellen. Doch auch die sollten sie - Stichwort: Datenschutz - möglichst umsichtig verwenden.
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