Gefährlicher Assistent

BMW 220i Active Tourer: Hart am Thema vorbei

Motor
27.04.2022 05:01

Der BMW 2er Active Tourer war bei seiner Markteinführung eine Revolution: ein Van von BMW, und noch dazu mit Frontantrieb! Die Verkaufszahlen gaben den Münchnern derart Recht, dass sie nun die zweite Generation auf den Markt gebracht haben. Mit dabei: wieder eine Revolution. Sie lassen allen Ernstes den legendären, iDrive Controller genannten, Drehdrücksteller weg. „Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl hat den Active Tourer als 220i gefahren und ist dabei auch auf ein schwerwiegendes Problem mit dem Spurführungsassistenten gestoßen. Seine Eindrücke und Erfahrungen hier im Video!

(Bild: kmm)

Die Fahrzeuggattung hat vieles von dem, was gerade viele Autokäufer wollen: Das Auto ist höher, man sitzt höher und kann dementsprechend sehr leicht einsteigen - alles Eigenschaften, die SUVs im Allgemeinen mitbringen. Aber deren Image ist bekanntlich nicht so gut, obwohl sie die Zulassungsstatistiken dominieren. Im BMW 2er Active Tourer bekommt man den Nutzwert, ohne sich wegen eines SUVs schief anschauen lassen zu müssen. Nur typische Offroad-Insignien hat er halt nicht. Dafür gibt’s ihn auch als Allradler.

Apropos: Es gibt grundsätzlich vier Motorisierungen, alle sind mit Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe (von Magna) ausgestattet. Die Basis bildet der 136 PS starke 1,5-Liter-Dreizylinder im 218i. Der gleiche Motor kommt im 220i auf 156 PS und wird von einem 19 PS starken E-Motor unterstützt, der die Systemleistung auf 170 PS erhöht. Die gleiche E-Maschine unterstützt auch den Vierzylinder im 223i, der 204 PS aus dem Sprit holt. Der 223i ist als Einziger optional mit Allradantrieb bestellbar, sonst ist Frontantrieb obligatorisch.

Einziger Diesel ist der 218d mit 150-PS-Vierzylinder, der ohne E-Unterstützung auskommen muss.

(Bild: Stephan Schätzl)

Innenraum und Bedienung
Da man den 2er Active Tourer kaum wegen seines Antriebs, sondern eher wegen seiner Eigenschaften im Alltag anschafft, zunächst zum Innenraum. Der wirkt, als würde in der Mittelkonsole etwas fehlen. Dort steht eine sehr aufrechte Kunststoffwand, an der man ein Smartphone im Riesen-Format festklemmen kann, um es induktiv zu laden. Schön ist das nicht.

Die „schwebende“ Mittelarmlehne geht in ein Bedienteil über, das früher auf einer klassischen Mittelkonsole positioniert war. Top: Hier sitzt auch ein analoger Lautstärkeregler. Flop: kein iDrive Controller mehr. Auch die Fahrmodus-Tasten mussten weichen. Stattdessen gibt es nur noch eine einzelne My-Modes-Taste. Den Modus an sich muss man sich dann am Display ertatschen. Eco, Sport und Personal. Wobei man Personal nur konfigurieren kann, wenn man sich beim Auto mit einer speziellen ID angemeldet hat. Ohne ID muss man auf noch mehr verzichten, etwa auf den Speicher der letzten Navi-Ziele.

Es gibt grundsätzlich kaum noch Tasten, das Bediensystem BMW OS 8 kennen wir bereits aus den BMWs i4 und iX. Die Benchmark in Sachen Bediensystem gibt BMW damit auf.

Optisch wirkt das Cockpit ansprechend. Das große „Curved Display“, das zwei Bildschirme nahtlos zu einem zusammenfasst, wirkt hochwertiger als im teuren iX, weil es rechts nicht an einem Plastikständer hängt, sondern frei steht und insgesamt an die Konsole angelehnt ist.

Das Platzangebot ist gut, vor allem hat man auch auf den Rücksitzen viel Platz. Die Rückbank ist optional verschiebbar, das Umklappen ist aber mühsam (Näheres im Video). In den Kofferraum passen 415 bis 1405 Liter, bei den Versionen ohne Mildhybrid etwas mehr.

(Bild: Stephan Schätzl)

Fahren und Bremsen
Der Dreizylindermotor ist als solcher unmissverständlich erkennbar, aber nicht schlecht gedämmt. Gibt man ihm die Sporen, geht sich der Standardsprint in 8,1 Sekunden aus, aber mit der akustischen Contenance ist es dann auch vorbei. Auf der Autobahn gehen die Motor- in den Windgeräuschen unter.

Ist man in Fahrt, ist alles geschmeidig. Auch das Doppelkupplungsgetriebe gibt dann keinen Anlass zur Klage. Doch wehe, man will anfahren. Oder, noch schlimmer: Man hält an einer Einmündung kurz an und fährt sofort weiter, weil man sieht, dass der Querverkehr weit genug entfernt ist. In dem Fall schaltet die Start-Stopp-Automatik den Motor schon ab, noch bevor man ganz steht, und braucht dann zu lang, um zu realisieren, dass man schon wieder weiterfahren will. Es entstehen gefährliche Gedenksekunden, in denen man zwar auf dem Gas steht, aber ohne Antrieb in die Einmündung hineinrollt. Bis der Motor wieder anspringt und auch Gas annimmt, vergeht viel zu viel Zeit.

Das Anfahren passiert grundsätzlich leicht verzögert und meist ruckartig. Warum das so sein muss, ist nicht nachvollziehbar, denn eigentlich wäre es die Aufgabe des Elektromotors in dieser Mildhybridkonstellation, solche Unsauberkeiten auszugleichen. Auch ein Segeln mit abgeschaltetem Verbrenner steht nicht auf dem Programm. Insofern erschließt sich der Sinn des Systems nicht.

Dazu passt die kreative Bremse recht „gut“. Beim Tritt auf selbige wird zunächst rekuperiert und über den Einsatz des E-Motors als Generator das Fahrzeug abgebremst. Erst dann wird tatsächlich mit der Bremse gebremst. Das Pedalgefühl ist jedoch ein unangenehmes. Man merkt zwar nicht, wann die Scheibenbremsen aktiviert werden, aber man spürt, dass Pedalgefühl und Bremsdruck immer unterschiedlich bzw. schwer zu dosieren sind.

Der Testwagen ist mit dem adaptiven M Fahrwerk ausgestattet. Die Stoßdämpfer sind also adaptiv, aber es lassen sich keine unterschiedlichen Modi vorgeben. Noch so etwas, dessen Sinn sich nicht erschließt, denn das Fahrwerk ist grundsätzlich zu hart. Ein komfortablerer Modus mit dem treffenden Namen Komfort-Modus wäre mehr als wünschenswert. Dazu kommt, dass die zugehörige Progressivlenkung stark zu Nervosität tendiert, was auch nicht zu einem harmonischen Gesamtempfinden beiträgt. Das riecht stark nach Themaverfehlung, schließlich wird dieses Fahrzeugsegment besonders stark von älteren Kunden nachgefragt (siehe Mercedes B-Klasse, VW Golf Sportsvan).

Fahren lassen und schleudern
Es gibt jede Menge Assistenten für den 2er Active Tourer, u.a. einen Rückfahrassistenten, der eine zuerst vorwärts gefahrene, bis zu 50 Meter lange Strecke selbständig rückwärts fahren kann. Und der praktische BMW kann teilautomatisiert fahren. Man hat die Wahl zwischen klassischem Tempomat und Adaptivtempomat (umzuschalten über das Display) sowie das, was man landläufig als Autopilot bezeichnen könnte, also Adaptivtempomat mit automatischer Spurführung. Und genau diese Funktion kann gefährlich sein.

Das Problem: Das Auto folgt der Spur nicht einfach parallel zu den Linien, wie das jeder x-beliebige Autofahrer zusammenbringt, sondern fährt auch bei Geradeausfahrt immer ganz leicht in Schlangenlinien. Was bei österreichischem Autobahntempo entweder nicht auffällt oder nur Mitfahrern mit empfindlichen Magennerven, wird gefährlich, wenn man es auf einer deutschen Autobahn laufen lässt. Wohlgemerkt: Der Assistent arbeitet bei bis zu 210 km/h.

Das optionale Head-up-Display ist eine Plastikscheibe. (Bild: Stephan Schätzl)
Das optionale Head-up-Display ist eine Plastikscheibe.

Gefährlicher Lenkassistent
Bei Tempo 200 schaukelt sich das Auto wegen der Schlangenlinien innerhalb kürzester Zeit derart auf, dass es beängstigend ist. Es dann wieder einzufangen ist tatsächlich Aufwand, weil man gegen die Lenkung arbeiten muss, die dazu tendiert, das Aufschaukeln zu verstärken. Einfacher ist es, den Assistenten per Knopfdruck am Lenkrad oder durch bremsen zu deaktivieren, dann fängt sich der Wagen von selbst. Bleibt man untätig, verlässt er in einem Haken die Spur, mit unabsehbaren Folgen.

Die Preise
Der Basispreis für den BMW 218i Active Tourer liegt bei 36.400 Euro. Zweizonen-Klima, Navi, Parkassistent und Frontkollisionswarnung sind immer dabei. Der 220i kommt auf mindestens 38.000 Euro, der Vierzylinder auf 42.200/45.050 Euro (Frontantrieb/Allradantrieb). Der Diesel steht mit 39.900 Euro in der Liste. Der Testwagen kommt auf knapp 60.000 Euro.

Unterm Strich
Der BMW 2er Active Tourer erreicht nicht das Niveau, das wir von BMW gewohnt sind. Nervöse Lenkung, diffuse Bremse, unangemessen hartes Fahrwerk (Sportfahrwerk), schlechte Antriebsabstimmung und dazu ein Fahrassistent, der schlechter lenkt als jeder Fahranfänger und gefährliche Situationen hervorrufen kann - vom iDrive-Controller-losen Bediensystem ganz zu schweigen. Da bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Warum?
SUV-Eigenschaften, aber kein SUV
Für einen Van schnittiges Design

Warum nicht?
Antriebs- und Bremsabstimmung unangenehm
Probleme beim Spurführungsassistenten

Oder vielleicht …
… Mercedes B-Klasse, sonst diverse SUVs

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

(Bild: KMM)



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt