Krisensituation

Inflation macht auch Arbeitern das Leben schwer

Vorarlberg
01.05.2022 07:00

Am 1. Mai 1890 veranstaltete die Wiener Arbeiterschaft die erste Kundgebung im Wiener Prater. Seitdem gilt der erste Tag im Mai auch in Österreich als Tag der Arbeit. Es geht um gute Arbeitsbedingungen und Löhne, von denen jeder leben kann. Angesichts der hohen Inflation wird das jedoch auch für Menschen mit Vollzeitjob immer schwieriger. Nicht zu reden von jenen, die keinen Job haben und auf Unterstützung angewiesen sind.

Die wirtschaftlichen Umstände sind aktuell für alle herausfordernd: Für jene, die einen Job haben und für jene, die keinen Job haben. Für Bezieher von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe ist es schwierig, die laufenden Kosten zu decken. Doch auch für Männer und Frauen mit einem Vollzeitjob wird es finanziell immer enger. Ein Unding findet der ÖGB-Landesvorsitzende Reinhard Stemmer, denn „von Arbeit muss man leben können!“

Reinhard Stemmer. (Bild: Privat)
Reinhard Stemmer.
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Hinter der Rekordinflation stecken Lieferengpässe und gierige Unternehmen, die den Hals nicht voll genug bekommen!

Reinhard Stemmer, ÖGB-Landeschef

Er verteidigt deshalb auch die Forderungen der Gewerkschaften bei den aktuellen Lohn- und Gehaltsverhandlungen: Um sechs Prozent etwa sollen die Löhne und Gehälter in der Papier- und Elektroindustrie steigen. „Der Spielraum ist da. Die Coronakrise war für viele Firmen nicht so schlimm wie erwartet. Dafür haben Kurzarbeit und Staatshilfen gesorgt.“ Viele Unternehmer würden davon ausgehen, heuer ihre Verluste wieder wettmachen zu können. Einige - vor allem ATX-Unternehmen - hätten sogar in der Krise „fette Gewinne“ gemacht und Dividenden an ihre jeweiligen Aktionäre ausgeschüttet.

Weitere Bedenken wegen Gasboykott der Russen
Wirtschaftsforscher bestätigen, dass die Coronakrise den Großteil der produzierenden Unternehmen nicht so stark getroffen hat, wie zunächst befürchtet. Das Wirtschaftswachstum ist laut aktueller Schnellschätzung im ersten Quartal um 2,5 Prozent gestiegen. Die Arbeitgeber bremsen jedoch die Erwartungen: Neben den Verteuerungen bei Rohstoffen würde ein Boykott von Russengas „ein Drama auslösen“. Aufgrund der unsicheren Lage würden zu hohe Gehaltsabschlüsse die Wettbewerbsfähigkeit und Jobs gefährden. Nicht zuletzt wurde das Argument vorgebracht, höhere Einkommen würden die Inflation noch weiter anheizen.

Stemmer sieht andere Gründe für die Teuerung
Den Argumenten der Arbeitgeber und Unternehmer will Stemmer nicht folgen - im Gegenteil: „Das ist Blödsinn. Die aktuelle Rekordinflation ist nicht gestiegen, weil die Gehälter so hoch sind - dahinter stecken Lieferengpässe, Ukrainekrieg und gierige Unternehmen, die den Hals nicht voll genug bekommen! Wir wollen, dass die Arbeitnehmer das zurückbekommen, was ihnen die Teuerung genommen hat.“

Auch für die hart Arbeitenden in Vollzeitbeschäftigung wird es immer schwerer vom Lohn leben zu können. (Bild: Privat)
Auch für die hart Arbeitenden in Vollzeitbeschäftigung wird es immer schwerer vom Lohn leben zu können.

Stemmer will auch die Bundesregierung in die Pflicht nehmen. Nach den Energie- und Treibstoffpreisen haben zudem die Lebensmittelpreise ordentlich angezogen: Der Mikrowarenkorb - das sind die Einkäufe des täglichen Lebens - hat sich um 14 Prozent verteuert. Für Stemmer ist klar: „Die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sollte halbiert oder für ein halbes Jahr ausgesetzt werden. Die Maßnahme muss aber auf Grundnahrungsmittel beschränkt werden. Kaviar und Schampus müssen nicht billiger werden.“ Stemmer fordert zudem Entlastung im Bereich Energie und Treibstoffe. „Derzeit verdient sich der Finanzminister eine goldene Nase.“ Laut Agenda Austria spült die derzeitige Inflation bis zu elf Milliarden Euro in die Staatskasse. „Das Geld muss an die Menschen zurückfließen!“

Arbeitlosigkeit als strukturelles Problem
Während die einen sich darum sorgen, mit ihren Einkommen über die Runden zu kommen, geht es bei anderen um die Existenz. „90 Prozent der Arbeitslosen erhalten weniger als 1200 Euro im Monat. Damit liegen sie unter der Armutsgefährdungsschwelle“, erklärt der Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, Michael Diettrich.

Michael Diettrich. (Bild: Mathis Fotografie)
Michael Diettrich.
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Arbeitslosigkeit ist ein strukturelles, kein individuelles Problem. Das Arbeitslosengeld muss erhöht werden.

Michael Diettrich, Armutskonferenz

Ein degressives Arbeitslosengeld, wie es aktuell diskutiert wird, lehnt er strikt ab. „Es gibt genügend Studien, die nachweisen, dass dieses Modell nicht zu mehr Arbeitsaufnahme führt - wie soll es auch: Arbeitslosigkeit ist ein strukturelles, kein individuelles Problem. Im Sinne der Armutsvermeidung bin ich klar für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70 Prozent.“

Diettrich fordert zudem eine Erhöhung der Sozialleistungen. „Seit vielen Jahren schon sind die Wohnkosten gerade in Vorarlberg der größte Treiber bei der Armutsentwicklung.“ Über eine höhere Wohnbeihilfe könnte das Land ärmere Haushalte bis in die untere Mittelschicht effektiv entlasten. Die Bundesregierung hat angekündigt, Härtefälle bei der Sozialhilfe beseitigen zu wollen. „Es wurden drei von zehn Giftzähnen gezogen, aber es tut immer noch weh“, meint Diettrich. 

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