Russische Reporterin:
„Nur in Moskau entkommt man der Propaganda“
Die bedenklichen Missstände in Russlands Medienlandschaft eskalierten durch den Krieg völlig. Viele Journalisten fliehen ins sichere Ausland. Die „Krone“ hat mit Angelina Davydova gesprochen.
Ein Glas Wein in der Hand auf einem Balkon in Berlin - der Blick dem Himmel zugewandt. Wo einige ihrer Journalistenkollegen, die sich nicht der russischen Propaganda angeschlossen haben, bereits weilen. Angelina Davydova ist die Flucht gelungen, aus einem Land, in dem ein freier Journalismus kaum noch möglich ist. „Seit dem Krieg gibt es klare Regeln, die vom Innenministerium vorgegeben werden“, weiß die Russin, die jahrelang für führende Medien wie „The St. Petersburg Times“, „Expert“ oder den Rundfunksender Echo Moskau tätig war.
Davydova berichtet von einer fast flächendeckenden Medien-Überwachung durch den Staat. „Der freie Journalismus wird unterdrückt. Wenn man kein Internet hat, ist deine Meinung durch die Zensur komplett beeinträchtigt. Gerade mal in Moskau gelingt es, der Propaganda durch Internet-Radiosender über VPN zu entkommen.“
Mediensteuerung wirkt bei Umfragewerten
Daher sei es auch nicht überraschend, dass viele Russen den Krieg laut Umfragen befürworten. „Diese Befragungen sind nur schwer zu glauben. Rund 20 Prozent stehen sicher für den Krieg ein. Der Großteil ist sich aber nicht sicher, was er von der Situation halten soll“, so Davydova.
Viele Medienhäuser wurden bereits geschlossen, zahlreiche Journalisten in Haft genommen. Davydova hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wahrheit über ihr Land zu erzählen. „Der Einmarsch in die Ukraine hat mich geschockt. Ich kann es nicht akzeptieren, dass mein Land so etwas macht. Das ist die schwerste Zeit meines Lebens.“
Ich kann es nicht akzeptieren, dass mein Land so etwas macht. Das ist die schwerste Zeit meines Lebens.
Angelina Davydova
„Da wusste ich, dass es richtig gefährlich wird“
Wie der 44-Jährigen ergeht es auch ihrem Freundeskreis. „Zu Beginn des Krieges haben wir auf der Straße protestiert. Das ist in letzter Zeit aber immer weniger geworden. Viele Friedensaktivisten wurden verhaftet, darunter auch viele Künstler. Dabei wäre es so wichtig, mit friedlichem Widerstand aufzuzeigen.“ Als zahlreiche Wohnungen ihrer Freunde von der Polizei durchsucht wurden, war es Zeit zu fliehen. „Da wusste ich, dass es richtig gefährlich wird.“
Aggressoren pfeifen auf die Pressefreiheit
Für unerwünschte Berichterstattung stehen in Russland seit dem 4. März bis zu 15 Jahre Haft. Mit ein Grund, warum der Pressefreiheit-Index den Aggressor nur noch auf Rang 155 von insgesamt 180 Ländern ausspuckt. Fünf Journalisten sind alleine im ersten Monat der Kriegshandlungen ums Leben gekommen. Damit rutschte man sogar noch hinter den kleinen Bruder Weißrussland (mehr als 20 Medienmitarbeiter sitzen dort im Gefängnis) zurück, beide Länder befinden sich nun in der „dunkelroten“, sehr ernsten Zone. Vergleichsweise vorbildlich - aber immer noch mit erkennbaren Problemen - verhält sich die Ukraine bei der Pressefreiheit.
„Zuwiderlaufende Zustände“ in Österreich
Kaum ein Land allerdings stürzte im Ranking so weit ab wie Österreich, von Platz 17 auf 31. „Es gibt Zustände, die dem korrekten Verhältnis zwischen Regierung und Journalismus in einer liberalen Demokratie zuwiderlaufen“, so Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen.
Keine Veränderung gibt es an der Spitze: Norwegen (zum sechsten Mal Spitzenreiter), Dänemark und Schweden stehen auf dem Treppchen, dahinter stieg überraschend Estland als ehemals kommunistisch-regierter Staat auf Platz vier auf.
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