Volksbegehren

Arbeitslosigkeit führt direkt in die Armut

Vorarlberg
08.05.2022 10:55

Viele Arbeitssuchende fragen sich derzeit: Spare ich beim Essen oder beim Heizen, um über die Runden zu kommen? Ein höheres Arbeitslosengeld könnte etliche Haushalte in Vorarlberg auffangen. Bis morgen kann ein entsprechendes Volksbegehren unterschrieben werden. Die „Krone“ hat nachgefragt, warum man das tun sollte.

Fast 20 Prozent der Vorarlberger sind armutsgefährdet - darunter könnte auch der Nachbar ums Eck samt Frau und Kindern fallen. Armutsgefährdet zu sein, bedeutet, dass das Geld für Nahrungsmittel gegen Ende Monat knapp wird, dass beim Heizen gespart werden muss und die Wohnung kalt bleibt und dass Kino- oder Zoobesuche Luxus sind. Wer arbeitslos wird, verliert von einem Tag auf den nächsten fast die Hälfte seines vorherigen Einkommens.

Die Nettoersatzrate liegt bei 55 Prozent. 90 Prozent der Arbeitslosen leben laut Armutskonferenz in Armut. Sie erhalten weniger als 1200 Euro im Monat, damit liegen sie 171 Euro unter der sogenannten Armutsgefährdungsschwelle. Was letztlich auch bedeutet: Am Ende des Monats bleibt nicht nur nichts übrig, es müssen sogar neue Schulden gemacht oder Inventar verkauft werden. Und so dreht sich die Spirale immer weiter nach unten.

Ein Kampf gegen arbeitslose Menschen?
Der Vorarlberger Historiker Harald Walser und der Politikwissenschaftler Emmerich Talos, ehemaliger Professor an der Uni Wien, unterstützen daher das Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf!“. „Arbeitslosigkeit ist für die Betroffenen ein schwerer Schicksalsschlag. Derzeit hat man oft den Eindruck, bestimmte Politiker bekämpfen lieber die Arbeitslosen als die Arbeitslosigkeit“, ärgert sich Walser. Besonders verwerflich sei, dass diese Politiker auch den Eindruck erwecken wollen, arbeitslose Menschen seien einfach zu faul, um sich einen Job zu suchen.

Der Weg zum AMS fällt den meisten Betroffenen sehr schwer (Bild: P. Huber)
Der Weg zum AMS fällt den meisten Betroffenen sehr schwer

„Das ist gefährlich und drängt Arbeitslose immer weiter an den Rand der Gesellschaft. Das Volksbegehren hilft, diesen Eindruck zu korrigieren“, erklärt der Historiker seine Beweggründe für seine Unterschrift. „Ich halte das Anliegen gesellschaftspolitisch für sehr wichtig. Das Volksbegehren kann zur Sensibilisierung für die Arbeitslosenproblematik wesentlich beitragen“, betont auch Emmerich Talos, der sich während seiner gesamten akademischen Laufbahn intensiv mit dem Sozialstaat beschäftigt hat.

Professor Emmerich Talos. (Bild: Bernd Hofmeister)
Professor Emmerich Talos.
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Arbeitslosigkeit mit Faulheit in Verbindung zu bringen, ist eine unverantwortliche Hetze. Das Arbeitslosengeld hilft, um über diese Zeit hinwegzukommen und verführt keineswegs zum Nichtstun. Das Volksbegehren kann zur Sensibilisierung für die Problematik wesentlich beitragen.

Emmerich Talos, Politikwissenschaftler

Unterstellungen und üble Hetze
Auch Vorarlberg sei keine „Insel der Seligen“ mehr, sagt Walser. Das Ländle habe zwar den Schwenk vom ehemaligen „Textilland“ und „Niedriglohn-Gebiet“ hin zum Industrieland geschafft, „viele soziale Einrichtungen bestätigen aber leider, dass es dennoch auch bei uns eine zunehmende Zahl von Menschen gibt, die für ihren Lebensunterhalt nicht mehr sorgen können.“ Mit das größte strukturelle Problem ist die Langzeitarbeitslosigkeit, welche sich durch die Pandemie weiter verfestigt hat. Ende des vergangenen Jahres lag diese um 55 Prozent über dem Niveau von 2019 - ein historischer Höchststand.

Dabei wird in vielen Branchen händeringend nach Mitarbeitern gesucht. Sind die Arbeitslosen an ihrem Schicksal also selbst schuld, wie das manche Politiker behaupten? „Das ist eine der gängigen Behauptungen neoliberaler Positionen. Eng verbunden damit ist eine andere falsche Behauptung: Der Sozialstaat verleite zu Missbrauch. Diese Debatte blüht immer dann, wenn der Arbeitsmarkt versagt“, erklärt Talos. „In einer kapitalistischen Wirtschaft können sich Menschen nicht aussuchen, ob sie arbeiten wollen oder nicht - sie müssen arbeiten, um die materielle Basis für ihr Leben zu schaffen.“

Der Historiker und frühere Grünen-Politiker Harald Walser. (Bild: KRISTIAN BISSUTI)
Der Historiker und frühere Grünen-Politiker Harald Walser.
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Arbeitslosigkeit ist für die Betroffenen ein schwerer Schicksalsschlag. Derzeit hat man oft den Eindruck, bestimmte Politiker bekämpfen lieber die Arbeitslosen als die Arbeitslosigkeit. Das ist gefährlich und drängt Arbeitslose immer weiter an den Rand.

Harald Walser, Historiker

Talos verweist auf die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung: Demnach sind drei von vier Arbeitslosen gekündigt worden, von 100 Arbeitslosen wurden nur vier auf eigenen Wunsch im Zuge einer einvernehmlichen Kündigung arbeitslos und nur acht von 100 sind freiwillig aus der Beschäftigung ausgeschieden. „Arbeitslosigkeit mit ’Faulheit’ in Verbindung zu bringen, ist eine unverantwortliche Hetze. Das Arbeitslosengeld hilft, um über diese Zeit hinwegzukommen und verführt keineswegs zum Nichtstun“, ist auch Walser überzeugt.

Win-win-Situation für die gesamte Gesellschaft
Kernpunkt des Volksbegehrens ist die Anhebung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe auf mindestens 70 Prozent der Nettoersatzrate. Zudem sollen die unter der alten schwarz-blauen Bundesregierung vorgenommen Verschärfungen wieder korrigiert werden - etwa die Zumutbarkeitsbestimmungen. Walser und Talos ist aber noch eine andere Botschaft wichtig: Von einer Erhöhung der Unterstützungsleistung würde die gesamte Gesellschaft profitieren. „Ein höheres Arbeitslosengeld nützt der Wirtschaft, weil es beispielsweise höhere Ausgaben für Konsum ermöglicht“, erklärt Talos.

„Gerade die Unterstützung von Menschen in Armut rechnet sich volkswirtschaftlich, da sie das Geld umgehend wieder in den Wirtschaftskreislauf bringen, den Konsum und somit die Wirtschaft ankurbeln“, ergänzt Walser. Und: Ein höheres Arbeitslosengeld wäre auch eine Gewähr dafür, dass Arbeitssuchende nicht in den Niedriglohnsektor gedrängt werden. Wer von diesen Argumenten nicht überzeugt ist, der sollte sich durch das deutsche Privatfernsehen zappen: Dort ist nämlich zu sehen, welche „Blüten“ ein Modell à la Hartz IV treibt.

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