Wollen Sie Anstand in der Politik, einen starken Rechtsstaat, mehr Unabhängigkeit der Justiz und weniger Korruption? Sind Sie gegen eine Impfpflicht? Verlangen Sie eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der Notstandhilfe? Fordern Sie ein bedingungsloses Grundeinkommen? Wollen Sie Maßnahmen für die psychische Gesundheit junger Menschen? Lehnen Sie Schlachtviehtransporte ab?
1. Zu all diesen Fragen können Sie noch bis morgen eines von sieben Volksbegehren unterschreiben. Oder alle. Im Internet mittels Bürgerkarte oder Handysignatur sowie in Eintragungslokalen in ganz Österreich. Die Themen sind hier vereinfacht dargestellt, die genaue Begründung der Inhalte umfasst jeweils viele Seiten. Doch gab es in sämtlichen Fällen mindestens 8401 Unterstützungserklärungen.
2. Das sind etwas mehr als ein Promille der Wahlberechtigten. Was genügt, damit das Innenministerium die Eintragungswoche für ein Volksbegehren festsetzt. Sie sind für oder gegen etwas anderes? Nichts einfacher als das. Jedenfalls ist es nicht allzu schwierig: Formulieren Sie den Text eines Volksbegehrens in Form eines Gesetzesantrages oder als Anregung. In der Kurzbezeichnung reichen drei Worte.
3. Benennen Sie sich selber als Bevollmächtigten und finden Sie einen Stellvertreter. Ein bisschen Kleingeld brauchen Sie freilich. Sie müssen als Kostenbeitrag 559,40 Euro auf ein Konto des Ministeriums überweisen, und können danach loslegen, Unterstützer zu suchen. Später kommen nochmals 2517,40 Euro dazu.
4. Aber Vorsicht! Sie müssen aufpassen, dass Ihr Begehren eine durch Bundesgesetz regelbare Angelegenheiten betrifft. Schönes Wetter, bessere Fernsehprogramme, hübschere Bürgermeister oder niedrigere Müllabgaben an Ihrem Heimatort sind somit als Inhalt unzulässig. Weniger Steuern hingegen wären als Begehren ebenso möglich wie Abschaffung der Neutralität und NATO-Beitritt oder EU-Austritt.
5. Was aber dann? Erst ab 100.000 Unterschriften muss ein Volksbegehren im Parlament tatsächlich behandelt werden. Nicht mehr und nicht weniger. Unsere gewählten Volksvertreter könnten ein entsprechendes Gesetz beschließen. Oder die Sache einem Ausschuss zuweisen und sie dort diskursiv für immer und ewig vergammeln lassen. Sozusagen als politisches Begräbnis erster Klasse.
6. Im internationalen Vergleich haben wir weder sehr viel noch besonders wenig Direktdemokratie. In anderen Ländern - etwa der Schweiz und Italien - sind ab einer bestimmten Unterschriftenzahl eines Volksbegehrens verpflichtende Volksabstimmungen vorgesehen. Umgekehrt gibt es in Deutschland und den USA auf Bundesebene überhaupt keine direkte Beteiligung des Volkes.
7. Aus geschichtlicher Sicht muss man das deutsch-österreichische Misstrauen gegenüber mehr Direktdemokratie verstehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen und Österreicher ein Volk, das die Nazis viele Jahre lang indoktriniert hatten. Mit gleichgeschalteten Propagandamedien und zahlreichen Mitgliedern in der NSDAP. Bei den Lehrern etwa 98 Prozent. Da wären die Alliierten zu Recht nicht mit Grundgesetz und Staatsvertrag einverstanden gewesen, wenn das Volk alles entscheiden hätte wollen.
8. In Großbritannien finden Abstimmungen des Volkes wie bei uns nur statt, wenn das Parlament sie beschließt. Was beim Brexit - dem Verlassen der EU durch die Briten - der Fall war, und viele Abgeordnete heute bereuen. Das zeigt die Tücken im Detail: Was passiert, wenn das Volk zum Beispiel alle paar Monate einmal für und einmal gegen die Mitgliedschaft in EU, NATO, UNO und so weiter wäre? So geht das nicht.
9. Darf man mit einer Mehrheit alle Minderheitenrechte abschaffen? Nein. Sonst könnten wir ja auch mit Zustimmung einer klaren Mehrheit der Wiener, Nieder- und Oberösterreicher sowie Steirer die kleineren Bundesländer Burgenland, Kärnten, Steiermark, Tirol und Vorarlberg ersatzlos abschaffen. Rechnerisch würde sich das ausgehen.
10. Muss sich eine Mindestzahl von Bürgern an Volksabstimmungen beteiligen, damit das Ergebnis zählt? Das wäre schlecht, weil Politiker dadurch womöglich lieber das Thema in der Öffentlichkeit verschweigen, als ihren Standpunkt zu argumentieren. Um nämlich geringe Beteiligungsraten und daher ungültige Abstimmungen zu erreichen. Die Moral der Geschichte ist, dass wir durchaus mehr Direktdemokratie vertragen. Nur so ist feststellbar, welches der sieben dieswöchigen Begehren eine Mehrheit hinter sich hat. Oder wobei die Unterstützer das bloß als falsche Behauptung plappern. Politische Parteien sollen nicht nur für Volksabstimmungen sein, wenn sie selber nicht regieren, also keinen Machtverlust befürchten müssen. Doch wir brauchen sachliche und klug überlegte Spielregeln, wann worüber abgestimmt werden soll.
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