Wie Sting und Peter Gabriel ist auch David Byrne einer höchst erfolgreichen Bandformation entsprungen, um als Solokünstler eine mindestens ebenso höchst erfolgreiche Karriere hinzulegen. Sein künstlerisches Spektrum reicht über Sänger, Songwriter, Musiker weit hinaus, er ist auch Filmregisseur, Produzent, Autor, Dozent, Fotograf, Kurator und bildender Künstler. Heute, am 14. Mai, wird der „Rock‘s Renaissance Man“, wie er 1986 am Cover des „Time Magazine“ betitelt wurde, 70 Jahre alt.
David Byrne wurde am 14. Mai 1952 im schottischen Dumbarton geboren, zwei Jahre später übersiedelte die Familie nach Kanada, bis sich die Byrnes acht, neun Jahre später schlussendlich unweit von Baltimore im US-Staat Maryland niederließen. Ambitionen für ein Design- und Kunststudium verpufften rasch, erste musikalische Gehversuche reichen in seine High-School-Zeit zurück. Die 1975 in New York gegründeten Talking Heads mit Byrne als Sänger und Mastermind mauserten sich in kürzester Zeit zum angesagtesten Act der Punk- und New Wave-Szene, geleitet von der eindeutigen Absicht, das vorherrschende Rock‘n‘Roll-Klischee nach Strich und Faden zu konterkarieren. 1983 kreierten sie mit „Stop Making Sense“ die Mutter aller Konzertfilme, 1991 folgte die nicht ganz einvernehmliche Auflösung der Band.
Besondere Kooperation
Byrnes Solokarriere begann eigentlich schon 1981 mit der ersten, albumfüllenden Zusammenarbeit mit Brian Eno, ein Zweckbündnis, dessen Produktivität bis in die Gegenwart reicht. Erfolgsrezept: „Wenn wir uns treffen, reden wir oft gar nicht über Musik“, so Byrne einmal in einem Interview. Weitere Bausteine für ein gedeihliches Single-Künstler-Dasein: Die Gründung des eigenen Plattenlabels und der später erfolgten logischen Erweiterung des Online-„David Byrne Radio“.
Die Zählung seines Solo-Outputs ist nicht ganz einfach: Zu den neun reinen David Byrne-Alben gesellen sich vier Kollaborationen, vier Bühnenmusiken, vier Soundtracks und weitere Remix-, Live- und Castproduktionen. Gleichermaßen unberechenbar sind auch seine Live-Auftritte, die der ehemals notorisch menschenscheue und mit leichtem Asperger-Syndrom behaftete Musiker im Lauf der Zeit mehr und mehr zu genießen lernte: Auf eine Latin-Combo folgte ein minimalistisch-nihilistisches Setting, er präsentierte sich in seiner Electrophase in rosa Zotteloutfit und Körperwelten-Anzug und revolutionierte zuletzt den Live-Gig an sich: Seine „American Utopia“-Tour absolvierte er auf einer völlig unverkabelten Bühne und ohne Standinstrumente - absolute Bewegungsfreiheit spektakulär umgesetzt.
Keine Grenzen in der Zusammenarbeit
Ungewöhnlich auch Byrnes künstlerische Liaisons - neben der wechselseitigen Befruchtung mit Brian Eno führte die Zusammenarbeit mit Annie Clark alias St. Vincent zur einer stark bläserlastigen Ausbeute („Love This Giant“), Norman Cook alias Fatboy Slim lieferte reichlich Input zu einer seltsamen musikalischen Hommage an die philippinische Diktatorengattin Imelda Marcos („Here Lies Love“). Bühnen- und Tanzkapazunder wie Twyla Tharp, Robert Wilson und Wim Vandekeybus bediente er ebenso wie Filmemacher. Für seine Mitwirkung am Soundtrack zu „Der letzte Kaiser“ von Bernardo Bertolucci erntete er die wertstabilen Statuetten Oscar, Golden Globe und Grammy.
Markant, unverwechselbar und immer ein Streitpunkt: Byrnes Stimme. Aus dem Schulchor flog er mangels Eignung raus. Auch sein Vater, der die musikalischen Ambitionen von klein auf miterlebte, bestätigte später: „Nein, singen konnte er nicht.“ Dennoch gilt die stimmliche Klangfarbe als sein Markenzeichen. Mit gesanglicher Fülle, Wärme oder Resonanz kann er nicht aufwarten, dafür aber sehr wohl mit jeder Menge Inbrunst, wenn auch gerne mal einen Halbton daneben. Georges Bizets „Au fond du temple saint“ (im Duett mit Rufus Wainwright) und „Un dì, felice, eterea“ aus Verdis „La traviata“ auf ein Popalbum zu packen, zeugt von Selbstbewusstsein. Letzteren Arien-Klassiker aber auch live zu intonieren beweist: Genierer kennt er keinen.
Bunte Karriere
David Byrne ist aber nicht nur ein brillanter Musiker und Schöpfer zeitloser Hits wie „Psycho Killer“, „Once In A Lifetime“ oder „Road To Nowhere“, auch abseits des Genres findet er Nebenbeschäftigungen, die gleich zwei ganze Leben füllen könnten - beispielsweise als Filmregisseur („True Stories“), Kurator (Londoner Meltdown-Festival) und Juror (Filmfestspiele Venedig). Eine autobiografische, hochtheoretische Anthropologie hat er bereits zu Papier gebracht („How Music Works“), ebenso seine Erlebnisse als passionierter Radler („Bicycle Diaries“) - von ihm entworfene Fahrradständer wurden in New York City aufgestellt. Über seine Visionen einer lebenswerten Welt dozierte er in der Vortragsreihe „Reasons To Be Cheerful“, „Alien Cups“ nannte er sein für den italienischen Kaffeeröster Illy designtes Espressoservice - längst ein hochbegehrtes Sammlerobjekt.
Erst seit 2012 ist Byrne auch amtlicher US-Amerikaner. Dazu ein kleiner Exkurs ins amerikanische Wahlrecht: Als gebürtiger Brite ging Byrne bei Wahlen immer wieder mal zur Stimmabgabe, weil er dachte, als Green-Card-Inhaber dürfe er das, bis irgendwann einmal - spät, aber doch - wider Erwarten sein Ausweis kontrolliert wurde. Nach einer ganzen Lebzeit in den Staaten beantragte er folglich als bereits 60-Jähriger die Staatsbürgerschaft. David Byrne lebt in New York, ist geschieden und Vater einer erwachsenen Tochter.
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