Am Samstag findet der ÖVP-Bundesparteitag statt. Kanzler Karl Nehammer sprach vorab im „Krone“-Interview über die Angst vor dem Scheitern, Zuversicht trotz Krisen und ein Gas-Ultimatum an Russland.
„Krone“: Herr Bundeskanzler. Sie haben Ihr Ministerteam nach den beiden Rücktritten radikal umgebaut. Ist die türkise Familie damit Geschichte?
Karl Nehammer: Ich finde nicht, dass das eine Frage ist, ob türkise Geschichte fortgeschrieben oder beendet ist. Es war für mich von Vornherein klar, dass, wenn es eine Gelegenheit gibt, die Ministerien neu zu ordnen sind. Deshalb auch die rasche Umsetzung.
Der Bundespräsident bräuchte bei den ständigen Angelobungen eigentlich schon eine Drehtür. Sie sind ja auch Offizier. War das tatsächlich ein generalstabmäßig geplanter Neustart oder hat die ÖVP ein Personalproblem?
Mir war immer wichtig, dass die Minister für sich selbst entscheiden können, wann es nicht mehr passt. Hinter jedem Minister steht auch ein Mensch mit Angehörigen. Wir sind seit zweieinhalb Jahren im Krisenmodus. Die Anfeindungen und Angriffe bis zur Lebensbedrohung hinterlassen schon Spuren. Wir müssen die vielen Rücktritte in der Regierung auch damit in Verbindung bringen.
War es das jetzt mit neuen Gesichtern?
Von meiner politischen Gestaltungsabsicht, ja. Persönliche Gründe kann man aber nie ausschließen.
Die ÖVP ändert ihren Namen und das Logo. Haben nach dem quasi Personenkult durch die Änderung des Parteistatus jetzt wieder die Länder das Sagen?
Mich prägt der schlaue Spruch: Wenn du das Statut brauchst, hast du schon verloren. Gesprächsbedarf mit den wichtigen Personen in der Volkspartei hat sich auch unter Sebastian Kurz nicht geändert. Aber die Entscheidungen in allen Fällen, auch was die Personen betrifft, treffe immer ich. Ich muss sie auch verantworten.
Die Opposition will Neuwahlen, politische Beobachter sprechen von Chaos. Ganz ehrlich: Ist die Koalition noch handlungsfähig?
Die volle Handlungsfähigkeit besteht ja darin, dass politisch etwas gestaltet und verändert wird. Von aktuell der Thematik Pflege bis hin zur Frage der Energieversorgungssicherheit mit erstmals in der Zweiten Republik dem Anlegen einer strategischen Reserve. Die Gasspeicher füllen sich. Und wir werden etwa darauf achten, wenn die russische Gazprom unser größtes Lager (Anm. d. Redaktion: Haidach in Salzburg „gehört“ dem Moskauer Energieriesen und ist derzeit de facto leer) nicht befüllen, dass wir ihnen diesen für andere Anbieter wegnehmen! Die Frage ist, wie bringen wir die Energiepreise hinunter. Es braucht dafür auf europäischer Ebene eine Diskussion darüber der Gas- und Strompreis (Anm. d. Redaktion: Derzeit richtet dieser sich an der teuersten Produktion) entkoppelt wird.
Sie wollen die Energiefirmen als Krisengewinner zur Kasse bitten. Wie soll so eine staatliche Gewinnabschöpfung aussehen?
Die Menschen, die Industrie, die Unternehmer und die Landwirtschaft müssen entlastet werden. Deswegen habe ich den Finanzminister und auch den jetzigen Wirtschafts- und Arbeitsminister beauftragt, Modelle zu entwickeln, wie wir die immens hohen Gewinne von auch teilstaatlichen Betrieben für die Entlastung verwenden können. Wir denken in Richtung Herbst und darüber hinaus an die Abschaffung der Kalten Progression und bei Einkommensgruppen mit niedriger Lohnsteuer aber hohen Sozialversicherungsabgaben an Entlastungen. Bei dieser Dimension von Krisen greifen die alten Schemata nicht. Es gibt kein Rezept dafür, weder bei der einen noch der anderen Partei, die in Schubladen liegen. Ich will auch nicht reverstaatlichen, aber wir müssen uns in der Gesetzgebung darauf vorbereiten, direkt einzugreifen, wo es notwendig ist.
Beim Parteitag am Wochenende werden Sie offiziell zum ÖVP-Obmann gewählt. Ihr Vorgänger hatte bei der Wiederwahl 99,4 Prozent, Grünen-Chef Werner Kogler 96,4 Prozent. Ist alles darunter ein Misserfolg?
(Schmunzelnd) Es ist alles ein Erfolg, was besser ist als das Parteitagsergebnis von Rendi-Wagner (Anm. d. Redaktion: 75 Prozent).
Der Ex-Kanzler hat in Graz einen Kurz-Auftritt ohne Rede, wie wollen Sie die Delegierten davon überzeugen, dass Sie der Richtige an der Spitze sind?
Ich werde die Funktionärinnen und Funktionäre mit meiner Redlichkeit, meiner Leidenschaft für die Volkspartei und meinen Ideen für Österreich versuchen mitzureißen.
Wie gehen wir miteinander um erfordert tatsächlich eine gesellschaftliche Diskussion. Politiker sind keine Maschinen, sondern Menschen mit Familien.
Bundeskanzler Karl Nehammer
Die WKStA ermittelt gegen eine zweistellige Zahl aktiver und ehemaliger ÖVP-Politiker. Haben Sie noch Vertrauen in Klubobmann August Wöginger, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka oder Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner?
Es sind Menschen, die ich schon sehr lange kenne, und ich bin von deren Redlichkeit zu 100 Prozent überzeugt. Ich habe überhaupt keinen Zweifel an ihren Ausführungen. Ich finde, es steht uns allen gut an, dass nur Gerichte über Schuld oder Unschuld entscheiden und nicht die Opposition oder der Stammtisch.
Unter Türkis-Blau hat es eine Regierungschat-Gruppe gegeben. Wie stimmt man sich jetzt ab?
Das Telefon spielt eine wichtige Rolle, aber es wird wieder mehr gesprochen als geschrieben.
In den meisten Umfragen verliert die Volkspartei und liegt hinter der SPÖ. Haben Sie Angst vor dem Scheitern?
Ich habe Respekt vor der Aufgabe als Parteiobmann, die Volkspartei wieder in deutlich bessere Zeiten zu führen, und versuche, die von Pandemie und Inflation beschwerten Menschen von unserer Klarheit und Zukunftsplänen zu überzeugen. Wir brauchen auch wieder ein Stück Zuversicht. Als Österreicherinnen und Österreicher haben wir gelernt, dass wir gut darin sind, Krisen zu meistern.
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